Linus Kebba Pook ist Vorstandsmitglied bei democ, einer Organisation, die demokratiefeindliche Bewegungen unter anderem auf der Straße beobachtet und dokumentiert. Ein Gespräch über Terrorsympathie, fehlende Solidarität und rechtsextremen Hass gegen Israel.
Belltower.News: Mit eurer Arbeit seid ihr auf das Beobachten und Analysieren demokratiefeindlicher Bewegungen spezialisiert. Welche Gruppierungen stehen seit dem 7. Oktober 2023 besonders in eurem Fokus?
Linus Kebba Pook: Wir haben vor dem 7. Oktober schon in den letzten Jahren immer wieder und verstärkt zu antiisraelischen Gruppierungen gearbeitet, die sonst medial und auch in der Zivilgesellschaft nicht so viel Beachtung finden. Konkret z. B. Gruppierungen, die sich politisch an der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) orientieren. Mit dem 7. Oktober hat sich das drastisch verschärft, da dieses Milieu plötzlich einen enormen politischen Aufwind erfahren hat und zu Demonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmer*innen mobilisiert.
Wie haben sich eure Analysen nach Symbolen und Parolen demokratiefeindlicher Bewegungen seit dem 07. Oktober verändert? Wie wird der öffentliche Raum dadurch geprägt?
Gerade israelbezogener Antisemitismus ist deutlich präsenter im öffentlichen Raum geworden. In Berlin ist man permanent mit antiisraelischen, teilweise antisemitischen, Symbolen konfrontiert. Zum Beispiel ist das rote Hamas-Dreieck omnipräsent in den Berliner Straßen und dadurch findet eine Normalisierung statt. Seit dem 7. Oktober ist kein anderer politischer Konflikt so präsent im Straßenbild wie der israelisch-palästinensische Krieg.
Der Durchschnittsdeutsche weiß ja jetzt nicht unbedingt, was das rote Dreieck bedeutet. Gleichzeitig tragen TikTok und Co. auch zur Normalisierung bei.
Der Konflikt hat natürlich massiv an Aufmerksamkeit gewonnen. Gerade in den sozialen Medien gibt es ja auch ein Stück weit einen Bekenntniszwang. Namhafte Creator*innen werden unter Druck gesetzt, sich zu diesem Konflikt zu positionieren oder sie werden schlimmstenfalls gecancelt. Das andere ist natürlich, dass viele dieser Symbole ein Stück weit verschleiert sind für Personen ohne Vorwissen. Ich glaube, dass sich das Feld der Personen, die damit doch etwas anzufangen wissen, durch die sozialen Medien enorm vergrößert hat, vor allem bei jungen Menschen. Auf der anderen Seite ist es für Juden und Jüdinnen sehr unverschleiert. Vor dem 7. Oktober gab es auch schon „Free Palestine“-Schmierereien, seit dem 7. Oktober ist durch das rote Dreieck jedoch eine enorm gewaltvolle Implikation dazu gekommen, da es eine Glorifizierung des Massakers darstellt. Und das macht für die Betroffenen schon einen großen Unterschied.
Welche sonstigen Chiffren und Narrative gibt es denn, die auf eine antidemokratische und antisemitische Gesinnung hinweisen?
Einmal ist das die Glorifizierung des 7. Oktober als Akt des legitimen Widerstands. Das sieht man durchaus auch in breiteren Kreisen der Bevölkerung, an Äußerungen wie „Der Konflikt hat nicht am 7. Oktober angefangen und ist nur Ausdruck gegen die Unterdrückung der Israelis“. Das ist eine problematische Ebene, da hier die terroristische Gewalt glorifiziert und gerechtfertigt wird. Ich erinnere mich da auch an riesige Demonstrationen von Organisationen, die sich positiv auf den 7. Oktober und die Hamas beziehen. Wenn ich mich für Frieden in der Region einsetze, dann kann ich mich nicht gleichzeitig mit Organisationen gemein machen, die sagen, sie würden den 7. Oktober noch schlimmer wiederholen. Ein weiterer Indikator für Antisemitismus ist es, wenn man das Existenzrecht Israels bestreitet. Die Parole „From the river to the sea“ wurde verboten, weil sich in der Antisemitismusforschung zu Recht weitestgehend der Standard durchgesetzt hat, dass die Verneinung des Existenzrechts antisemitisch ist.
Seit dem 07. Oktober ist ein Jahr vergangen. Was haben Politik und Gesellschaft in Deutschland unternommen, um Judenhass entgegenzutreten? In welchen Bereichen ist zu wenig passiert? Wo siehst du ungenutzte Handlungsspielräume?
Das politische Signal auf den grassierenden Antisemitismus war deutlich. In Berlin hat man schnell Gelder bereitgestellt, um Antisemitismus im Kultur- und Bildungsbereich anzugehen. Ich halte das für richtig. Gesamtgesellschaftlich ist wiederum israelbezogener Antisemitismus salonfähiger geworden. Wir bei democ denken, dass israelbezogener Antisemitismus eher als hinnehmbare Begleiterscheinung oder „opferloses Verbrechen“ betrachtet wird – obwohl letztlich Jüdinnen*Juden betroffen sind. Dies muss in der Debatte thematisiert werden. Bei konkreten antisemitischen Vorfällen ist das große zivilgesellschaftliche Signal in Form von Solidaritätskundgebungen oder Demonstrationen wiederum ausgeblieben, was dazu führte, dass solche Vorfälle untergegangen sind oder abgetan wurden.
Das hat dazu geführt, dass sich viele Jüdinnen*Juden in Deutschland nicht mehr sicher fühlen und seit dem 7. Oktober sich noch stärker gedrängt sehen, ihre jüdische Identität zu verstecken. Welche Maßnahmen müssen getroffen werden, um die Sicherheit von Jüdinnen*Juden in Deutschland zu gewährleisten und ihr Sicherheitsgefühl zu stärken?
Wenn man sich solidarisch mit Israel und seiner Bevölkerung erklärt oder mit Jüdinnen*Juden, dann bedeutet das aktuell in Deutschland eine massive Gefahr – das darf man nicht vergessen. Ich kann mich relativ frei mit einer palästinensischen Flagge in Berlin bewegen und muss nicht damit rechnen, tätlich angegriffen zu werden. Dass man aufgrund dessen womöglich Diskriminierung erfährt, will ich an dem Punkt gar nicht verneinen. Mit einer israelischen Flagge wäre man aber an vielen Orten akut gefährdet, Opfer von Gewalt zu werden. Das ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht hinnehmbar. An diesem Punkt braucht man gute und effektive Bildungsprogramme für Schüler*innen und Multiplikator*innen, die nicht nur auf ein Jahr angesetzt sind, um langfristig eine Änderung erzielen zu können.
Das ist auch enorm wichtig, da viele Initiativen und Beratungsstellen seit dem 07. Oktober einen deutlichen Anstieg antisemitischer Vorfälle verzeichnen. Wie hat sich der auch zuvor schon virulente Antisemitismus seither gewandelt?
Der israelbezogene Antisemitismus überlagert einfach gerade alles, das sieht man an den Zahlen und Auswertungen der Statistiken. Man darf aber auch die anderen Erscheinungsformen von Antisemitismus nicht aus dem Blick verlieren, gerade mit Blick auf das Erstarken des Rechtsextremismus in Deutschland, siehe die Landtagswahlen in Ostdeutschland.
Ist denn israelbezogener Antisemitismus seit dem 07. Oktober auch größeres Thema bei rechten Demonstrationen geworden?
Bei rechten Demos eher nicht würde ich sagen. Es gab vereinzelte Positionierungen dazu, so wie es auch z.B. Der III.Weg immer mal wieder macht. Da steht relativ stark das Bedürfnis im Vordergrund, sich antisemitisch zu äußern, das aber verklausuliert zu machen. Auf Demonstrationsbannern vom III.Weg steht dann „Israel ist unser Unglück“ mit der israelischen Flagge im Hintergrund, wobei jedoch völlig klar wird, dass eigentlich die NS-Parole „Juden sind unser Unglück“ gemeint ist und hier nur aus strategischen Gründen auf den israelisch-palästinensischen Konflikt Bezug genommen wird. Ansonsten kenne ich konkrete Äußerungen zum Konflikt von vereinzelten rechtsextremen Akteuren, wie z.B. dem langjährigen Funktionär von „Die Rechte“, Michael Brück. Der versucht sich immer mal wieder als Geostratege und schreibt Texte. Insgesamt gibt es bei rechten Demonstrationen die Verschiebung in die Queerfeindlichkeit. Die Angriffe auf die CSDs sind uns völlig neu und sehr besorgniserregend.
Vielen Dank!