Keine spektakuläre Tat, kein außergewöhnlicher Ort und ein üblicher Prozessverlauf. Im Gewöhnlichen liegt der Skandal, der sich im Perleberger Amtsgericht am vergangenen Donnerstag ereignete. Vor Gericht standen vier 25 bis 28-jährige Männer für eine Tat, die bereits 15 Monate zurückliegt.
Am 24. August 2007 feierten die vier Männer gemeinsam mit anderen in der brandenburgischen Kleinstadt Pritzwalk den Geburtstag eines Kumpels. Der Alkohol floss üppig, der Hauptangeklagte gibt vor dem Richter an, er habe einen Liter „Goldbrand“ und einige Bier getrunken, daran kann er sich noch genau erinnern. Dass Lieder der Bands Landser, Lunikoff und Kampffront gespielt wurden, wie einer der Gäste bei der polizeilichen Vernehmung nach der Tat angab, daran will er sich allerdings nicht mehr erinnern. Auch das T-Shirt mit der Pumpgun und dem Kürzel der Nazi-Band „Deutsch Stolz Treu“ soll nur ein schlichtes Hemd gewesen sein.
In der Tatnacht wird zunächst tüchtig „vorgeglüht“ und musikalisch eingeheizt, dann macht sich eine Achter-Gruppe vom Geburtstag auf ins Städtchen, besucht eine Billard-Kneipe und zieht weiter zur Beach-Bar, vorbei am Marktplatz, auf dem ein Steakhaus seinen Platz hat. Betrieben wird es von einem Tunesier. Der Wirt und der Koch schließen gerade den Laden zu, da kommen die Männer quer über die Straße auf sie zu, pöbeln sie an mit Sätzen wie „Was wollt ihr hier?“, „Haut ab, verpisst euch!“ und beschimpfen sie mit „schlimmen Wörtern“, die der Wirt nicht alle versteht. Allein die Botschaft ist klar: die wollen Stress.
Er schließt den Laden schnell wieder auf, will die Polizei rufen, da fliegt schon ein Sonnenschirmständer durchs Fenster, die Schirme werden zu Wurfspeeren, die Betonplatten zum Beschweren der Tische folgen. Im Laden kann der Wirt nur mühsam den Fluggeschossen ausweichen, der Koch verteidigt die Tür mit einer Markisenkurbel, bis er sie schließen kann. Schließlich lösen die Angreifer Platten aus dem Gehweg und benutzen sie, um durch die Tür in den Laden zu kommen. Ob sie tatsächlich eingedrungen sind, wie der Wirt berichtet, wurde vor Gericht nicht weiter untersucht, der Vorwurf „versuchte Körperverletzung“ wurde fallen gelassen. Es sei nicht einwandfrei festzustellen, ob die Betonplatten-Werfer von Außen sehen konnten, wo der Wirt im Laden stand, sagt das Gericht.
Drei Verurteilungen wegen gemeinschaftlich begangener Sachbeschädigung, Geldstrafen und eine Freiheitsstrafe auf Bewährung sind das Ergebnis der Verhandlung. Der vierte Angeklagte wird freigesprochen. Er hatte sich nachweislich aus dem Staub gemacht, als seine Kumpel auf Höhe des Steakhauses die Straßenseite wechselten. Bei der Vernehmung nach der Tatnacht gab er an, sie hätten eine rechtsradikale Einstellung und in Verbindung mit dem ausländischen Restaurant habe er geahnt, dass es Stress geben würde. Ahnungslos scheint dagegen Richter Manfred Weidemann: Hier gehe es nicht um Politik, sondern um Stumpfsinn, sagt er während der Verhandlung. Sein Resümee in der Urteilsbegründung: „Sind sie der rechten Szene zuzuordnen? Ja. Wurde rechte Musik gespielt? Ja. Wurde rechte Kleidung getragen? Ja. Aber man muss natürlich auch sehen, es sind keine rechtsextremen Parolen gerufen worden. Der Geschädigte kann nicht sagen, was genau an Schimpfwörtern gesagt wurde.“ Und er stellt im Widerspruch zur Staatsanwaltschaft und der Vertretung der Nebenklage fest: „Die Frage, ob es sich um eine fremdenfeindliche Motivation handelt, bleibt im Ergebnis offen.“
Typischer Tathergang
Tatsächlich aber entspricht der gesamte Tathergang dem Prototyp rechtsextremistischer Gewalt: man trinkt, putscht sich mit rassistischer Musik auf, zieht los und schlägt spontan auf jemanden ein, der ins Feindbild passt. Die politische Motivation ist diffus, entspricht nicht der herkömmlichen Vorstellung von einer politischen Absicht. Was in der Rechtsextremismusforschung seit Jahren als gesicherte Erkenntnis gilt, ist bei vielen Richtern immer noch nicht angekommen. Jährlich und bundesweit bietet die Deutsche Richterakademie nur eine Fortbildung zum Thema Rechtsextremismus an.
Die Gesetzesinitiative der Länder Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, die u.a. die Ermittlung des Motivs bei Gewalttaten zur Pflicht für die Gerichte erheben will, ist wenig Erfolg versprechend, wenn nicht gleichzeitig die Sachkenntnis der Richter auf den aktuellen Stand gebracht und damit ihr Urteilsvermögen geschärft wird, meint Judith Porath vom Verein Opferperspektive, die den Geschädigten im Verfahren begleitete. „Den Gerichten kommt in der Bekämpfung von rechtsextremer Gewalt eine wichtige Rolle zu, denn sie haben einen starken Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung und auf das Unrechtsbewusstsein.“ Die Botschaft des Perleberger Richterspruchs bestätige die verharmlosende Selbstdarstellung der Täter und dem Opfer werde die Anerkennung des erfahrenen Unrechts verweigert.
Der Überfall auf das Steakhaus hat den Präventionsrat von Pritzwalk erschreckt, erinnert er doch an frühere Vorfälle. 2003 war ein asiatischer Imbiss komplett nieder gebrannt worden. Der Tathergang war ähnlich: Mitglieder der rechtsextremen Szene feierten zusammen und zogen – aufgeputscht von Nazimusik – los. Während es damals eine Demonstration und viel Unterstützung für die Betroffenen gab, mochte diesmal niemand dem Aufruf des Präventionsrates folgen und dem nicht versicherten tunesischen Gastwirt unter die Arme greifen. Auch diese Lethargie wird durch den Urteilsspruch bestärkt und der oft gehörte Satz nach solchen Gewalttaten vermeintlich bestätigt: Man kann ja nicht wirklich wissen, was dahinter steckt, wozu also die Aufregung?
Die Erfahrung, dass ein rassistisches Motiv von Gerichten nicht erkannt oder verharmlost wird, macht Judith Porath immer wieder. Außerdem werden Fälle, wie der spektakuläre im Jahr 2000 in Sebnitz oder der des Italieners, der während der Fußballweltmeisterschaft 2006 einen rassistischen Angriff vorgetäuscht hatte, gerne verallgemeinert und zum Beispiel in den Medien zum Anlass genommen, sehr zurückhaltend zu berichten. Die TAZ recherchierte solche Fakes und kam für den Zeitraum 2000 bis 2005 auf acht Fälle im Verhältnis zu 5.600 erwiesenen rechtsextremen Gewaltdelikten.
Zum Thema:
Auch der Fall des Afro-Deutschen Ermyas M., der 2006 in Potsdam nach rassistischen Beschimpfungen lebensgefährlich verletzt wurde, wird heute oft angeführt, wenn Skepsis gegenüber einem mögliche rassistischen Motiv begründet werden soll. In der Öffentlichkeit wurde damals nach anfänglicher Empörung zunehmend das rassistische Motiv in Frage gestellt und diese Sicht im Urteilsspruch bestätigt. Der Verein Opferperspektive hat Anfang des Jahres ein Dossier veröffentlicht, in dem die Frage nach der Bewertung von Motiven exemplarisch am Fall Ermyas M. erörtert wird.