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Tatort Internet 35-Jähriger in Berlin wegen antisemitischer Volksverhetzung verurteilt

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(Quelle: Unsplash)

In der Nacht vom 11. August 2022 auf den 12. August 2022 wurde Julian K. auf seinem Facebook-Profil eine Werbeanzeige des Berliner Büros des American Jewish Committee (AJC) angezeigt, die dem 35-Jährigen eine Vorladung am 13. Juli 2023 vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin eingebracht hat. 

Regelmäßig schaltet das AJC Werbeanzeigen auf den Sozialen Netzwerken, um seine Reichweite zu erhöhen und neue Follower*innen zu gewinnen. So wurde auch im Sommer 2022 ein Bild mit einem Davidstern veröffentlicht, auf dem „Wir setzen uns gegen Antisemitismus ein und klären über Judenhass auf.“ zu lesen war. Diese Werbeanzeige veranlasste Julian K. dazu, im betrunkenen Zustand, wie er vor Gericht aussagte, einen Kommentar zu verfassen. 

An diesen Kommentar konnte sich K. laut Angaben nicht mehr erinnern, dabei fragte er, warum ausgerechnet ihm das angezeigt würde. Weiterhin nutzte er vier neonazistische Zahlencodes, die als Erkennungszeichen der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind. Bei den Zahlen handelt es sich um 18 für „Adolf Hitler“, die 88 für „Heil Hitler“, die 14 für die Fourteen Words des US-Neonazi David Eden Lane und die 28 für die Anfangsbuchstaben des neonazistischen „Blood & Honour“-Netzwerkes, welches seit 2000 in Deutschland verboten ist. Außerdem schrieb der zu diesem Zeitpunkt nicht vorbestrafte Angeklagte das „U-Bahn Lied“ in die Tasten. 

Bei dem „U-Bahn Lied“ handelt es sich um ein Lied, welches sich vor allem in rechtsextremen Fußball-Fanszenen verbreitet ist. Dabei wird der Wunsch geäußert, eine U-Bahn von einem Ort bis nach Auschwitz bauen zu wollen. K. schrieb in diesem Kontext „von Jerusalem bis nach *********“. Die Richterin und die Staatsanwaltschaft sahen es als erwiesen an, dass die Sternchen für das Wort „Auschwitz“ stehen sollen. Immer wieder beteuerte der Angeklagte, dass er sich nicht an die Werbeanzeige sowie den Kommentar erinnern könne. Als Beweise für seine rechtsextreme Gesinnung zeigte das Gericht unter anderem sein Titelbild auf Facebook, in dem die Richterin abgewandelte SS-Runen erkannte. Julian K. behauptete darauf, dass dies lediglich abgeschnittene Teile eines Ritterkreuzes sein und das auf dem Titelbild der bei Rechtsextremen beliebte Spruch „Klagt nicht, kämpft!“ zu lesen gewesen wären. 

Sein Youtube-Account „DefendEurope88“ wurde bereits in der Vergangenheit wegen volksverhetzender Aussagen gelöscht. Die 88 sei ein Verweis auf sein Geburtsjahr, erwiderte K. Auf den Namen „Defend Europe“ ging er nicht weiter ein. Dabei sind auch diese beiden Wörter unter europäischen Rechtsextremen sehr beliebt. So startete die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ unter diesem Motto eine Mission auf dem Mittelmeer, die sich gegen die Migration nach Europa einsetzte. 

Die Staatsanwaltschaft sah kein Schuldeingeständnis und keine Reue bei dem Angeklagten. Solche Kommentare würden das gesellschaftliche Klima zerstören, Menschengruppen verächtlich machen und daher forderten sie je hundert Tagessätze à 15 Euro. Nach einer kurzen Unterbrechung verkündete die Richterin das Urteil. Julian K. wurde wegen Volksverhetzung und Beleidigung verurteilt. Entsprechend seiner persönlichen Situation wurde er zu 120 Tagessätzen von zehn Euro verurteilt und gilt als vorbestraft, wenn das Urteil rechtskräftig wird. Das Gericht schenkte seinen Erklärungsversuchen keinen Glauben und nannte den Kommentar als solchen „unter aller Sau“. Der Anwalt des AJC Berlin Christoph Partsch zeigte sich nach dem Urteil erfreut: „Es bleibt zu hoffen, dass das klare Urteil und das hohe Strafmaß eine präventive Wirkung auf all die bösartigen Straftäter zeigt, die das Netz für ihre Hetze nutzen.“

AJC Berlin Direktor Dr. Remko Leemhuis, der im Prozess als Zeuge auftrat, sagte über den Prozess: „Wir begrüßen das Urteil, macht es doch deutlich, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Ebenso begrüßen wir die deutlichen Worte, die sowohl der Staatsanwalt als auch die Richterin gefunden haben, da beide sehr deutlich gemacht haben, dass ein solcher Kommentar keine Bagatelle ist.“ 

Gerade im Internet zeigt sich immer wieder, wie enthemmt antisemitische Inhalte veröffentlicht werden. Von den 848 dokumentierten antisemitischen Vorfällen in Berlin im Jahr 2022 der „Recherche – und Informationsstelle Antisemitismus“ (RIAS) in Berlin, ereignete sich fast die Hälfte davon im Internet. Daher ist das heutige Urteil auch eine Motivation, strafbare und antisemitische Inhalte auf den Sozialen Medien nicht nur zu melden, sondern gegebenenfalls anzuzeigen. Hierbei braucht es jedoch nicht nur eine digitale Zivilgesellschaft, sondern auch engagierte Gerichte und Staatsanwaltschaften, die Antisemitismus erkennen und verurteilen.

 

Ruben Gerczikow ist Autor, Publizist und hat Publizistik und Kommunikationswissenschaften studiert. Er recherchiert zu antisemitischen Strukturen im analogen und digitalen Raum. Seine Veröffentlichungen behandeln die Themenfelder Antisemitismus, Rechstextremismus, Islamismus und jüdische Gegenwart. Anfang 2023 ist sein gemeinsam mit Monty Ott verfasster Reportageband „Wir lassen uns nicht unterkriegen“ – Junge jüdische Politik in Deutschland im Verlag Hentrich & Hentrich erschienen. Außerdem ist er in beratender Tätigkeit für das AJC Berlin tätig. 

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