Eigentlich wollten Neonazis am 1. Juni 2019 in Chemnitz beim „Tag der deutschen Zukunft“ (TddZ) ein „Signal gegen Überfremdung“ setzen. Die Demonstration war jedoch eher ein Reinfall.
Um größtmögliche Außenwirkung zu erreichen, findet die rechtsexterme Demonstration jährlich an einem anderen Ort statt, und auch das Organisationsteam wechselt jährlich. Der TddZ soll partei- und strukturunabhängig sein, um so Anknüpfungspunkte für verschiedenste Organisationsstrukturen der Neonazi-Szene im gesamten Bundesgebiet sein. Dieses Jahr wurde der TddZ vom sächsischen Landesverband der „Jungen Nationalisten“ (JN), der Jugendorganisation der NPD, ausgetragen. Viele Szene-Größen der NPD fehlten jedoch, genauso wie die in Sachsen rechtsaußen bedeutende Splitterpartei „Der III. Weg“. Dafür war „Die Rechte“ aus Dortmund mit vielen Personen angereist, unter ihnen auch Christoph Drewer, Dieter Riefling und Siegfried Borchard (“SS-Siggi”).
TddZ 2020 in Worms
Als der Demonstrationszug gegen 13 Uhr in der Nähe der Chemnitzer Innenstadt startet, muss er direkt einen unfreiwilligen Stopp einlegen. Die Polizei beanstandet mit Verweis auf den Auflagenbescheid den Marschtakt der Trommeln. Ohne Trommeln setzen die Neonazis sodann ihre Route über den Hauptbahnhof und über den Stadtteil Sonnenberg fort – unterbrochen von einigen Zwischenkundgebungen. Bei einer Zwischenkundgebung beschwor Sven Skoda (Bundevorsitzender von Die Rechte) einen Rassenkrieg und sprach davon, dass “Hautfarbe irgendwann die Uniform eines Krieges wird”
Zum Ende der Veranstaltung wurde der Austragungsort des TddZ 2020 bekannt gegeben – im rheinland-pfälzischen Worms.
Übergriff am Abend
Laut Polizei gab es im Umfeld der Veranstaltung einen mutmaßlich rechtsextrem motivierten Übergriff: Unbekannte griffen in der Nacht zum Sonntag ein Pärchen an. Nach den Angaben der Polizei unterhielten sich eine 25-Jährige und ein 24-Jähriger an einer Bushaltestelle über ein NPD-Wahlplakat, vor dem sie standen. Eine andere Frau bekam das mit und stritt mit dem Pärchen, wie der Polizeisprecher sagte. Daraufhin seien drei Männer herbeigeeilt. Zusammen mit der Frau hätten sie das Paar geschlagen und getreten. Anschließend seien die Angreifer mit einem Auto weggefahren. Das Pärchen wurde leicht verletzt.
Kein Mobilisierungserfolg in Chemnitz
Eigentlich wollten Neonazis am 1. Juni 2019 in Chemnitz beim „Tag der deutschen Zukunft“ ein „Signal gegen Überfremdung“ setzen. Sicherlich haben sie mit der Wahl dieses Austragungsort auf den Mobilisierungseffekt in Chemnitz gesetzt, den wir im Spätsommer 2018 erlebt haben. Bis zu 6.000 Teilnehmer*innen konnte die rechte Szene damals zu spontanen Demonstrationen nach Chemnitz mobilisieren, darunter viele rechte bürgerlich wirkende Menschen und Personen aus der Hooligan-Szene. Ganz offensichtlich ist den Neonazis dieser erhoffte Mobilisierungserfolg in Chemnitz nicht gelungen. Mit der Wahl des diesjährigen Austragungsorts wollten die Neonazis wohl den Versuch unternehmen, den TddZ vor der Bedeutungslosigkeit zu retten.
Trotz der Normalisierung rassistischer Ideologie in breite Teile der Bevölkerung durch die AfD und auf lokaler Ebene durch die extrem rechte Bürgerinitiative „Pro Chemnitz“ scheinen klar rechtsextreme Themen und Demonstrationen nach wie vor gesellschaftlich weniger anzusprechen. Dass trotz der guten regionalen Vernetzung der Szene nur knapp 250 Neonazis zum TddZ kamen, liegt mit Sicherheit auch am TddZ selbst, der für die rechtsextreme Szene offenbar zu unattraktiv geworden ist.
Andere Events sind interessanter für den rechtsextremen Lifestyle
Kommt die klassische rechtsextreme Demonstration damit aus der Mode? Aktuell scheinengroße Rechtsrock-Konzerte und rechtsextreme Kampfsport-Events interessanter für den Neonazi-Lifestyle zu sein. Schließlich ist es hier erlaubt, Alkohol zu trinken und zu rauchen (beides war auf dem TddZ untersagt), und die Teilnehmer*innenstehen sich auf solchen auf Spaß ausgerichteten Veranstaltungen nicht nur stundenlang die Füße in den Bauch, während sie von allen Seiten von der Presse abgelichtet und von großem Gegenprotest kritisiert werden.
Erfolgreicher Gegenprotest in Chemnitz
Der “Tag der deutschen Zukunft” hat schon mehr Mobilisierung gesehen. 2016, noch unter Leitung der Partei “Die Rechte” und in Dortmund, kamen 1.000 Rechtsextreme unter diesem Label zusammen und verbreiteten Gewaltbereitschaft und Hass. Doch in den letzten Jahren verlor der TddZ kontinuierlich Teilnehmer*innen und Wirkung. In Chemnitz lag dies auch an den zahlenmäßig deutlich überlegenen, lautstarken Gegenprotesten, auf deren Ausbleiben die Veranstalter wohl gehofft hatten.
Zu den Gegenprotesten hatten das Bündnis „Chemnitz Nazifrei“ aufgerufen, rund 2.000 Menschen folgten und taten auf der Straße ihren Unmut über die neonazistische Ideologie kund. Versuche der Gegendemonstrant*innen, den Neonazi-Aufzug zu blockieren, wurden von der Polizei unterbunden. Dennoch war der Gegenprotest in Chemnitz ein wichtiges Zeichen an die Neonazis: Sie sind auch in Chemnitz nicht willkommen.