Zehn Menschen fielen ihrem Wahn zum Opfer. Von 2000 bis 2007 ermordeten die Neonazis Beate Z., Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – nach neuesten Erkenntnissen soll auch Holger G. beteiligt gewesen sein – zehn Menschen. Acht davon waren Einzelhändler und kamen aus der Türkei, ein weiterer kam aus Griechenland, eine war Polizistin. Auch wenn hier meist von „Döner-Morden“ die Rede ist, waren nur zwei der Opfer Verkäufer in einem Imbissstand. „Der Begriff ‚Döner-Morde‘ wertet die Opfer und die Angehörigen ab. Hier wurden keine Döner ermordet“, sagte Sönke Rix, damals Sprecher SPD-AG „Strategien gegen Rechtsextremismus“. „Die Opfer wurden zu Unrecht einer eigenen Verstrickung bezichtigt. Abwertende Stereotype waren an dem Ermittlungsfiasko mit Schuld“, so Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. „Noch immer gibt es eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Zahlen der Behörden und denen der Amadeu Antonio Stiftung. Vor kurzem beteuerte die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage zu den Todesopfern rechter Gewalt (Drucksache 17/7161) noch, dass ihre Opferstatistik keiner Korrektur bedürfe. Dabei ist der Umgang mit Rechtsextremismus seitens der Behörden unprofessionell und der Umgang mit den Opferzahlen würdelos. Wir können heute von 182 Todesopfern rechtsextremer und rassistischer Gewalt seit 1990 sprechen.“
Haftbefehle
Das Neonazi-Trio tauchte 1998 unter, da Ermittlungsbehörden in ihrer Garage Sprengstoff und Propagandamaterial gefunden hatten. Nach dem Selbstmord der beiden Männer vergangene Woche stellte sich Beate Zschäpe nun der Polizei. Vorher steckte sie noch ihre Wohnung in Zwickau in Brand, um Beweismaterial zu vernichten. Doch die Polizei fand in den Trümmern die Waffen, mit denen die Morde begangen wurden und ebenso ein Video. In diesem bekennen sich die drei außerdem zu einem Anschlag mit einer selbstgebauten Nagelbombe in Köln. Dazu kamen wohl etwa 14 Banküberfälle und ein mit TNT gefüllter und mit einem Hakenkreuz besprühter Koffer vor dem Jenaer Theater, der keinen Zünder hatte. Gegen Beate Zschäpe erließ der Bundesgerichtshof am gestrigen Sonnatagabend Haftbefehl. Am heutigen Montag wird der Haftbefehl gegen Holger G. erwartet.
Der „Thüringer Heimatschutz“
Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe waren Mitglieder des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS) und nannten sich selbst „Nationalsozialistischer Untergrund“. Der THS ist seit Mitte der 1990er Jahre Sammelbecken der thüringischen Kameradschaftsszene. Neonazis aus Gera, Jena, Rudolstadt und Saalfeld versammeln sich in ihm. Der THS bildet eine Brücke der Kameradschaftsszene zur NPD. Viele Parteikader sind in ihm Mitglied. Nach früheren Berichten des thüringischen Verfassungsschutzes waren etwa 120 bis 160 Neonazis im THS organisiert. Auf einem Blog, der „Thüringer Heimatschutz 2.0“ heißt, kann man sich Videos über Europa 2029 ansehen, das unter „islamischer Macht“ stehe. Helfen könne da nur der „nationale Widerstand“, so die Botschaft des Blog-Videos.
Wen schützt der Verfassungsschutz?
Unter dem Punkt „Gewaltpotential der Neonaziszene“ spricht der thüringische Verfassungsschutzbericht 2010 vorrangig von Demonstrationssituationen, die durch die starke Polizeipräsenz „störungsfrei“ verliefen. Das „immanente Gewaltpotential“ der Szene dürfe man aber nicht vernachlässigen. Doch genau das scheint passiert zu sein. Tino Brandt war Kopf des THS, Landesvizevorsitzender der NPD – und Spitzel des Verfassungsschutzes. Wie konnte es der Behörde entgangen sein, dass sich im THS eine Gruppe bildete, die mordend durch die Republik zieht? Wie konnten sie untertauchen, obwohl sie Polizei und Verfassungsschutz nicht unbekannt waren? Was hat es mit den „legalen illegalen Papieren“ auf sich, die auch in den Trümmern der Zwickauer Wohnung gefunden wurden? Nach Aussagen von einem ehemaligen Anhänger des THS gegenüber dem Spiegel sei es sehr unwahrscheinlich, dass die Gruppe ohne Wissen des Verfassungsschutzes so lang unentdeckt bleiben konnte. „Die Verfassungsschützer müssen nun offenlegen, warum hinter ihrem Rücken dies möglich war, obwohl sie offensiv die Szene überwachen. Es reicht nicht, das NPD-Wahlprogramm und deren Websiten für den jährlichen Verfassungsschutzbericht auszuwerten“, sagte Volker Beck, Menschenrechtspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung sagte: „Die Zivilgesellschaft muss ermutigt und nicht behindert werden. Der Staat muss seine Arbeit verantwortungsbewusst erledigen. Die Verfassung garantiert die Gleichwertigkeit aller Menschen in Deutschland. Ensprechend muss ermittelt werden, denn weder darf Rechtsextremismus verharmlost, noch Verbrechen an Migranten nur halbherzig gesühnt werden.“
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).