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Terrortrend „Schizopilling“ – Kokettieren mit psychischer Krankheit und Nihilismus

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(Quelle: Unsplash)

Der Terroranschlag in Highland Park, Illinois vom 04. Juli 2022, dem sieben Menschenleben zum Opfer fielen und bei dem 46 weitere Personen verletzt wurden, wirft nach wie vor Fragen auf – vor allem nach der Motivation des Täters. Es gibt zahlreiche Beweise für seine rechtsextreme Einstellung: dazu zählen die Teilnahme an Trump-Rallys, die Verwendung von Hakenkreuzen in dem Online-Spiel „Roblox“ oder antisemitische und rassistische Mordfantasien, die er auf einem Gore-Forum postete. Außerdem hatte der Täter bereits vor seinem Angriff auf die Parade versucht, eine Synagoge anzugreifen.

Die Ästhetik, der er sich dabei bedient, ist jedoch vergleichsweise neu: Es handelt sich um sogenanntes „Schizopilling“ oder „Schizoposting“ – das Kokettieren mit psychischen Krankheiten und Nihilismus. Grob zusammengefasst lässt sich „Schizopilling“ beschreiben als die Bereitwilligkeit, sich einer wahnhaften, verschwörungsideologischen Weltsicht zu verschreiben und dementsprechend zu handeln. Therapie und Medikamentation gilt als jüdisches Instrument, um Menschen davon abzuhalten, die „Wahrheit“ zu begreifen – die nichts anderes ist als ein Konglomerat aus Rechtsesoterik, Akzelerationismus und nihilistischer Internet-Kultur. Die Rechtsextremismusforscherin Emmi Conley beschreibt Schizopilling mit den Worten: „Es ist Nihilismus. Es ist Depression. Es ist eine extrem digitale Kultur. Aber es ist die Ästhetik, und nicht die Ideologie, die die gewalttätigen Akteure zusammenbringt.“

Interessant ist übrigens, dass der Begriff des „Schizopilling“ laut dem „Urban Dictionary“ ursprünglich auf die Rhizom-Theorie der Psychoanalytiker Gilles Deleuze und Félix Guattari bezieht, welche die Verbundenheit individueller und gesellschaftlicher Aspekte anhand eines verflochtenen Rhizom beschreibt. Diese Theorie lässt sich durchaus auch auf das Internet, Meme-Kultur und vor allem die vermeintliche „Randomness“ von „Schizoposting“ übertragen.

Nihilismus und Menschenhass

Der Begriff des „Schizoposting“ tauchte laut der Internet-Datenbasis „Know your Meme“ ab 2016 auf dem Imageboard 4chan auf. Auch auf Incel-Foren sind, auch ohne direkte Verwendung des Begriffes, Schizopilling-Narrative schon seit mehreren Jahren präsent. Die Schizopill lässt sich ideologisch als Fortführung von nihilistischen Internet-Ideologien wie der „Blackpill“ oder „Clownpill“ begreifen. Diese besagen, dass das Individuum in einer zunehmend durch „Kulturmarxismus”, Feminismus und Moderne „degenerierten“ Gesellschaft ohnehin keinen Ausblick mehr auf politische Veränderungen hätte. Die „Blackpill“ vermittelt ihren Anhänger*innen (wobei es sich hier primär um junge Männer wie die Incel-Community handelt) die absolute Hoffnungslosigkeit. Die stark von dem Comic-Charakter des „Joker“ inspirierte „Clownpill“ hingegen suggeriert, dass die Welt nur noch als zynischer Witz zu begreifen ist. Fatalismus, Nihilismus und die Abwehr eines jeden Ausblicks auf progressive Veränderung ist beiden „Pillen“ inhärent, Gewalt gegen andere erscheint als lustig – „just for the lulz“. Der Ästhetik-Stil „Schizowave“, dessen erste Videos auf 2020 datiert werden, ist eng mit dem rechtsextremen „Fashwave“ verwandt. Inzwischen ist Schizopill-Material vor allem auf der Plattform TikTok zu finden: #schizopill hat über 30.000, #schizopilled 8.7 Millionen Aufrufe.

Screenshot aus einem Incel-Forum

Die Videos und TikToks arbeiten viel mit Bildmaterial aus der Rechtsesoterik: die fiktiven Kontinente Atlantis und Hyperborea, Bezüge auf die Thule-Gesellschaft und Schwarze Sonnen finden sich in einem großen Teil der Videos. In schnell geschnittenen Sequenzen wechseln sie sich mit Meme-Figuren wie Pepe oder Woyjack ab, dazwischen blinken antisemitische und rassistische Genozidfantasien auf. Popkulturelle Figuren, die regelmäßig Verwendung in den Videos finden, sind der Charakter des „Jokers“, und vor allem die Figur das Patrick Bateman aus der Filmadaption von „American Psycho“. Bei Bateman handelt es sich um einen misogynen, menschenfeindlichen Yuppie, der im Laufe der Erzählung entweder mehrere Menschen ermordet – oder sich dies nur als Machtfantasie einbildet, die Interpretation lassen sowohl Roman als auch Film offen. Andere Personen, die häufiger erwähnt werden, sind der „Unabomber“ Ted Kaczynski oder auch der Incel-Attentäter Elliot Rodger.

Screenshot von TikTok

Die meisten TikToks kokettieren neben Witzen über psychische Krankheiten und Paranoia mit Misogynie, genereller Menschenfeindlichkeit und brutalen Gewaltfantasien. Ebenfalls häufig zu finden sind Bezüge auf amerikanische Folklore wie das Monster des „Skinwalkers“, einem Gestaltwandler, oder rechtsextremem Christentum: Ein beliebtes Schizopilling-Meme stellt die Vereinten Nationen als „Antichrist“ dar, der es auf die potentiell terroristische „schizopilled“ Person abgesehen hat. Untermalt sind die YouTube-Videos und TikToks von verzerrter, verstörender Pop- oder Synth-Musik.

Screenshot von TikTok

Gewalt als Form der narzisstischen Überhöhung

Das Video und die Lyrics des Liedes „Are you awake“ des Attentäters von Highland Park weisen recht deutlich auf eine Nähe zu Schizopilling hin. Er singt mit monotoner Stimme vor sich hin: „[…] My actions will be valiant, and my thought is unnecessary. I know what I have to do. I know what’s in it, not only for me, but for everyone else. Where am I going? I don’t know, I don’t care. There is no past or future, just a now. It is more abstract than I could ever imagine […]I need to leave now, I need to just do it. It is my destiny, everything led up to this. Nothing can stop me, not even myself. Is there such a thing as free will, or has this been planned out? Like a cosmic recipe? This is what I’ve been waiting for, in the back of my head, ready to be awakened […].”  Dazu filmt er sich selbst oder zeigt auf MS Paint gezeichnete Szenen eines Schusswechsels – das Video ist ein eindeutiger Hinweis darauf, dass das Massaker geplant war.

Ein wiederkehrender Aspekt im „Schizopilling“, wie bei allen anderen Formen kontemporären Online-Rechtsextremismus ist jedoch die narzisstische Selbstüberhöhung der Täter als Mensch, der wie ein reinigendes Feuer über eine ihm verkommend scheinende Gesellschaft herfällt und sie von jenen Elementen befreit, die ihm als fremd und bedrohlich erscheinen. Hierbei handelt es sich immer um Frauen, queere Menschen, Kommunist*innen, Jüdinnen und Juden und People of Colour – schlussendlich die dem Faschismus verhasste Moderne. Bei diesen DIY-Tätern, die zwar alleine handeln, jedoch über ein weit verzweigtes Netzwerk aus ideologisch Gleichgesinnten verfügen, handelt es sich um gekränkte junge Männer, die glauben, anderen Menschen überlegen zu sein und dies mittels terroristischer Gewalt beweisen glauben zu müssen. Ihre Videos und Manifeste dienen einerseits dazu, sich selbst innerhalb ihrer Community ein Denkmal als „Held“ oder „Heiliger“ zu setzen, als auch andere zu ähnlichen Taten zu inspirieren.

Fest steht: wenn wir Attentate wie in Kopenhagen oder Highland Park in Zukunft verhindern wollen, kommen wir als Zivilgesellschaft nicht umhin, uns zunehmend mit Phänomenen wie gekränkter (weißer) Männlichkeit und Online-Radikalisierung zu befassen.

 

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