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Thin Blue Line Die Polizei als einziger Schutz vor dem Chaos?

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Eine "thin blue line"-Flagge bei Protesten in Portland (Quelle: Wikimedia / Joe Frazier / Attribution 2.0 Generic )

Am 6. Januar 2021 sollte Joe Biden als neuer Präsident der Vereinigten Staaten formell vom Kongress bestätigt werden, doch der Tag wurde zum Desaster. Rund 800 Unterstützer:innen seinem Amtsvorgänger Donald Trump drangen in das Kapitol ein. Sie wollten nicht nur den formalen Akt verhindern, sie wollten Politiker:innen töten. Bei dem Versuch das Regierungsgebäude zu verteidigen, stirbt ein Polizist, einige werden schwer verletzt, zwei nehmen sich in Folge der Ereignisse das Leben. Für viele der sich im Einsatz befindenden Beamt:innen markiert der Tag bis heute ein Trauma.

In Washington finden sich an dem Januar-Tag viele Rechtsextreme und Trump-Anhänger:innen ein. Sie wollen zunächst einer Trump-Kundgebung beiwohnen. Danach ziehen sie vor das Kapitol. Ihre Ziele sind klar. Die Ideologie vieler auch, sie ist gut an ihren Symbolen, Fahnen und Abzeichen zu erkennen. Doch eine Symbolik will so gar nicht in das Bild passen. Die „thin blue line“ soll für die Polizei stehen, die als dünne blaue Linie die Gesellschaft vor dem Abrutschen in ein gewalttätiges Chaos schützt, eine Trennlinie zwischen „Gut“ und „Böse“. Sie weht auf Flaggen vor dem Kapitol, im Inneren tragen einige  Eindringlinge das Zeichen als Patches auf ihrer Kleidung

Fast ein Jahr später beleuchtet ein Polizeirevier in Kiel ihr Gebäude so, dass es an die Symbolik der „thin blue line“ erinnert. Die Fenster der mittleren Etage des dreistöckigen Hauses erstrahlen in Dunkelblau, die restlichen bleiben dunkel. Mit den Vorwürfen auf Twitter konfrontiert, dementiert die Polizei Schleswig-Holstein den Zusammenhang mit dem Symbol. Lediglich einen Weihnachtsgruß habe man senden wollen.

Dazu bezog sich die Polizei Mannheim über Weihnachten explizit auf die Symbolik. Auf Facebook veröffentlichte sie ein Gedicht einer Polizistin: „Gemeinsam stehen wir füreinander ein, stehen zusammen, auf der ‚thin blue line‘“. Auf Twitter erklärte die Polizei Mannheim dazu, sie verstehe die „Thin Blue Line als Synonym für ‚Blaulichtfamilie‘“. 

Die Ursprünge

Die Ursprünge des Symbols liegen wahrscheinlich im Krimkrieg von 1853 bis 56. In dem Konflikt, in dem sich Russland auf der einen und das Osmanische Reich mit seinen Verbündeten auf der anderen Seite bekriegten, kam es 1854 zur Schlacht bei Balaklava. Die Schlacht wurde zur vielleicht bekanntesten des Krieges und erhielt große Aufmerksamkeit, nicht nur in der Presse, sondern auch in der Kunst. Die rotgekleideten schottischen Soldaten des Sutherland-Hochländer-Regiments konnten einen Angriff der russischen Kavallerie aufhalten. Sie bildeten dabei eine dünne rote Linie, die „thin red line“ war geboren.

Umgemünzt auf die Polizei wurde diese Phrase aber erst später, die andere Farbe liegt an den Uniformen der US-amerikanischen Polizist:innen. Eine erste belegte Verwendung stammt aus dem Jahr 1922 als der New Yorker Polizeipräsident Richard Enright, mit Kritik an seiner Führung konfrontiert, diese im Rahmen einer PR-Aktion verwendete. Daraufhin tauchte die Phrase in Reden von Politiker:innenn und in der Presse von Chicago bis Los Angeles auf.

Knapp 30 Jahre später, in den 1950ern war „The Thin Blue Line“ dann Titel einer Fernsehserie über das Los Angeles Police Department, ins Leben gerufen hatte sie der Polizeichef William H. Parker. Er nutzte die Nähe zu Hollywood, um die Öffentlichkeitsarbeit zu einem wichtigen Bestandteil seiner Amtszeit zu machen. Parker war für seinen unmissverständlichen Rassismus bekannt, so verglich er schwarze Einwohner:innen, die an den Watts Riots von 1965 teilnahmen — zum Teil gingen diese auf die Wut über die Misshandlungen durch seine eigenen Einheiten zurück — mit „Affen in einem Zoo“. Parker verwendete die Phrase der „thin blue line“ ständig in seinen Reden. Nach seiner Auffassung schützte die Polizei die westliche Zivilisation vor Kommunist:innen, progressiven Politiker:innen, Minderheiten und jedem, der sich für etwas einsetzte, das nicht in sein Schema passte.

Die „thin blue line“ heute

Über die Jahre verbreitete sich das Symbol in den ganzen USA, so brachten Polizist:innen im ganzen Land gelegentlich Aufkleber mit einer blauen Linie umgeben von Schwarz auf ihren Autos an. Nach einem Attentat 2016 auf Polizist:innen in Dallas wurde das Symbol benutzt, um Solidarität und Dankbarkeit gegenüber der Polizei auszudrücken.

Auch in Deutschland sah die Gewerkschaft der Polizei (GdP) das Symbol als Zeichen der Solidarität mit der Polizei. So veranlasste der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der GdP 2019, dass  Patches mit dem GdP-Logo und einer blauen Linie verteilt wurden. Man wollte damit jungen Kolleg:innen und deren Angehörigen die Möglichkeit geben, „prägnant ihre Berufszugehörigkeit und ihre Solidarität zu demonstrieren“.

Die Interpretation Parkers blieb allerdings in den USA virulent, bei white supremacists und der Alt-Right ist das Symbol beliebt. So verwendeten bei der „Unite the Right-Rally“ 2017 in Charlottesville Teilnehmende das Symbol ganz selbstverständlich neben der Konföderiertenflagge. Im Rahmen der blue lives matter-Bewegung, die als Gegenbewegung von black lives matter entstand, fand die Flagge häufige Verwendung. Auch deshalb steht die deutsche GdP der „thin blue line“ mittlerweile kritisch gegenüber. „Insbesondere der erschütternde Vorfall um den Tod des US-Amerikaners George Floyd sowie folgende Entwicklungen, vor allem in den sozialen Medien, darunter auch der Umgang mit dem Hashtag ‚bluelivesematters‘, haben uns dazu veranlasst, von einer weiteren Begleitung Abstand zu nehmen“, erklärte ein Sprecher gegenüber Belltower.News.

Trotzdem benutzen Polizist:innen in Deutschland das Symbol noch, so wird es manchmal verbotenerweise an der Uniform angebracht. Anfang 2021 postete auf Twitter die Polizei Berlin ein Foto eines Beamten, dieser trug auf seiner Uniform eben ein solches Patch. Eine Sprecherin erklärte damals, dass der Polizist das Abzeichen „in keinster Weise mit rechten Gedanken“ trug. Er sei daraufhin sensibilisiert worden, wie es bei früheren Fällen auch geschehen sei. So scheint es doch ein gewisses Problembewusstsein innerhalb der Behörden zu geben.

2018 nahm AfD-Fraktionschefin Alice Weidel in einem Gastbeitrag in der Jungen Freiheit bereits Bezug auf das Symbol. In dem Text „Die dünne blaue Linie“ behauptet sie, dass Migrant:innen den deutschen Staat und seine Hoheitsträger „attackieren“. Um dagegen vorzugehen, müsse man die Polizei besser ausrüsten und bezahlen, aber vor allem brauchen diese „die volle Rückendeckung von Staat, Gesellschaft und Bürgern“.

Ist die „thin blue line“ nun ein rechtes Symbol?

Die Ideologie hinter dem Symbol ist umstritten. So sieht die Website „Polizist=Mensch“ die „thin blue line“  ein „neutrales Zeichen für die Polizei weltweit“. Die Website erkennt zwar an, dass die Symbolik auch von Rechtsextremen und der blue lives matter-Bewegung verwendet wird. Sie sind aber der Meinung, nur „weil ein paar wenige die Thin Blue Line womöglich für andere Zwecke missbrauchen, und sei es für rechts-konservatives Gedankengut, ergibt es keinen Sinn sie zu verbieten“.

Der Soziologe Tyler Walls erklärt den ideologischen Kern des Symbols damit, dass staatliche Gewaltanwendung, in Form der Polizei, immer als Verteidigung der Zivilisation imaginiert wird. Die „thin blue line“ erzähle so eine Geschichte, in der die Polizei als zivilisatorische Kraft den Kampf für die „Menschen“ gegen die „Bestien“ führe, sie sichere die Dinge, die angeblich zum Kern der „menschlichen“ Existenz gehörten: Freiheit, Sicherheit, Glück, Eigentum und Recht. 

Auch die „PolizeiGrün e.V“ stehen der „thin blue line“ ablehnend gegenüber. Ein Sprecher erläutert gegenüber Belltower.News, dass für sie die „thin blue line“ ausgrenzend und teilweise abwertend wirkt: „Eine Symbolik, die in jeder Deutung ein ‚Wir gegen Die‘, eine elitäre ‚Ordnungsmacht‘ und eine Form der ‚Bruderschaft‘ repräsentiert, ist mit einem modernen Polizeibegriff nur schwer vereinbar.“ Dabei könne nicht pauschal von einer rechtsextremen Gesinnung der Polizist:innen ausgegangen werden, die das Symbol nutzen, aber es zeige „eine Berufsauffassung, die autoritär, elitär und von einem fehlgeleiteten Corpsgeist geprägt erscheint“.

Fanartikel zur „thin blue line“

In Deutschland gibt es mehrere Online-Shops die Produkte mit der „thin blue line“ anbieten. So gibt es auf dem „cop-shop“, der Ausrüstung für die Polizei und andere Einsatzkräfte verkauft, Abzeichen, Armbänder und Anhänger mit dem Symbol. Auf der Website „tribute cop car“ ist schon eine deutlich größere Auswahl zu finden. Auf der Seite, die angeblich eine Kooperation mit der Polizeistiftung Nordrhein-Westfalen hat, die zum Innenministerium des Landes gehört, ist die Auswahl deutlich größer. Dort gibt es Dutzende Armbänder, Schmuck, Aufnäher, Masken und andere Devotionalien zu erwerben. Auf Anfrage von Belltower.News gibt die Polizeistiftung NRW an, keine Kooperation mit „tributecopcar.de“ zu haben. Der Betreiber habe nur einmal Spenden für die Polizeistiftung gesammelt und werde nun aufgefordert, diese Angabe von der Website zu nehmen.

Foto: Wikimedia / Joe Frazier / Attribution 2.0 Generic

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