Am 1. September wählt Thüringen einen neuen Landtag. Es steht viel auf dem Spiel: Laut aktuellen Umfragen ist die AfD die stärkste Kraft und könnte somit erstmals an einer Regierung beteiligt sein. Doch es gibt zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich für ein demokratisches Miteinander und gegen Diskriminierung einsetzen. Belltower.News hat mit einigen davon gesprochen, um mehr von ihrer Perspektive auf die Landtagswahlen und die Situation vor Ort zu erfahren.
Dorfliebe für alle! ist ein offenes Bündnis im Saale-Orla-Kreis, Thüringen, welches sich für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit einsetzt. Mit dem Ziel einer solidarischen, respektvollen und demokratischen Gesellschaft, will Dorfliebe für Alle den Austausch und das Verständnis von Demokratie schärfen, beispielsweise durch Bildungsangebote und eine klare Positionierung gegen Faschismus und Diskriminierung.
Belltower.News: Wie ist die aktuelle Situation vor Ort? Welche Punkte beschäftigen euch als Initiative bei diesen Wahlen?
Dorfliebe für alle: Uns beschäftigt das Gleiche, wie schon die ganze Zeit. Nur wegen der Landtagswahlen ist es nicht gleich viel schlimmer. Natürlich ist die Präsenz der AfD jetzt nochmal verstärkter und andererseits ist auch die Präsenz der anderen Parteien einfach schlechter, was eigentlich das große Problem ist. Es macht keinen Sinn sich nur an der AfD abzuarbeiten und sie so zu einem Scheinriesen zu machen. Es gibt genügend Sachen, die einfach so schon liegen bleiben und wo wir uns drum kümmern müssten. Durch die Landtagswahl ist eigentlich nichts anders, außer dass wir immer noch versuchen, etwas vorwärts zu bringen. Wir halten Mahnwachen ab, wir haben eine Wandergruppe ins Leben gerufen, um eine Möglichkeit zur Integration und Begegnungsräume zu schaffen. All das sind aber Langzeitthemen und wir versuchen uns wegen der Landtagswahlen keine Sorgen zu machen. Außerdem stellt sich natürlich noch die Frage, inwiefern Menschen mit einem gefestigten Meinungsbild überhaupt zu erreichen sind. Wir haben ja auch damit gerechnet, dass sich nach den ganzen Protesten gegen Rechts im Januar etwas bewegt hätte.
Habt ihr durch die Proteste keinen Unterschied bemerkt?
Es ist für viele Menschen dadurch leichter geworden für ihre Meinung einzustehen und zu sagen: „Ich akzeptiere nicht, wie gewisse Sachen hier laufen, wie leichtfertig hier auch mit Menschenleben umgegangen wird und wie entmenschlichend hier agiert wird.“ Das hat eine gewisse Wirkung entfaltet und Menschen befähigt, zu sprechen und Widerrede zu geben, was ja das größte Problem ist: Wir haben die ganzen Jahre zu sehr verschlafen, wirklich mal Widerworte zu geben. Und jetzt wo wir es tun, interpretiert die AfD das so, als dürfe man nichts mehr sagen.
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Was ist aus eurer Sicht das Worst-Case-Szenario für die anstehenden Landtagswahlen?
Das Worst-Case-Szenario wäre eine Regierung, die nicht arbeiten kann. Das hatten wir die ganzen letzten Jahre. Es kann sich gewiss auch noch weiter verschlimmern, weil man ja auch mit wenig Prozenten in der Opposition schon viel beeinflussen kann – da wäre der Punkt mit der Sperrminorität zu nennen. Aber so richtig an der Art, wie bei uns Politik gemacht wird, wird sich wahrscheinlich nichts ändern. Ich glaube, es wird einfach wieder so werden, dass wir eine Regierung haben werden, die sehr auf Kompromisse aus sein wird.
Und wie würde das eure Arbeit als Initiative beeinflussen?
Unsere Arbeit als Initiative sehe ich grundsächlich eher durch den Gegenwind vor Ort eventuell als gefährdet. Es ist einfach so, dass da schon zum Teil wirklich mit Einschüchterung gearbeitet wurde oder dass auch auf Social Media sehr viel gegen uns läuft.
An sich ist es aber auch so, dass es genügend Leute gibt, die die Bestätigung, die wir zum Teil bieten, brauchen. Dass wir mit einer positiven Meinung um die Ecke kommen. Dass eben nicht alles Gold ist, was glänzt, dass aber eben auch nicht alles so schlecht ist, wie es gemacht wird. Ich empfinde es als das Wichtigste, dass wir wieder in einen Dialog kommen mit Leuten, die an einem ernsthaften, fairen Meinungsaustausch Freude haben. Dass wir wieder zusammenkommen und ins Gespräch kommen.
Welche Möglichkeiten gibt es, bspw. für Leute aus München oder Berlin, euch und ähnliche Initiativen zu unterstützen?
Es ist wichtig, dass jeder Mensch bei sich anfängt und im eigenen Umkreis versucht, mit Leuten anderer Meinung ins Gespräch zu kommen. Man kann natürlich auch Initiativen vor Ort unterstützen und einander beispielsweise Tipps geben. Wir haben ein gutes Verbindungsnetz und profitieren so von vielen Initiativen. Es ist wichtig, mit diesen Menschen im Gespräch zu sein, gerade auch weil Zuspruch so wichtig ist und einfach auch mal Bestätigung zu geben. Wir haben auch hier etwas bewiesen. Wenn in Hamburg eine Millionen Menschen auf die Straße gehen, ist das eine tolle Sache – aber wenn hier auf dem Dorf 50 Menschen im Gegenprotest sind und der AfD-Mehrheit gegenüberstehen, dann ist das nicht schlechter zu bewerten als die Millionen. Hier kennt man sich und man braucht viel Mut für den Gegenprotest. Es gibt eben diese großen Unterschiede zwischen Stadt und Land. Wir brauchen mehr Empathie für einander, zum Beispiel für die Nöte hier auf dem Dorf, das würde sehr helfen.
Was habt ihr den Leuten „da draußen“ zu sagen?
Die wichtigste Message ist, dass, egal wie allein oder einsam man sich fühlt, es irgendwo Verbündete gibt. Diese Verbündeten zu finden ist schwer, aber wenn man sie gefunden hat, ist das ein echtes Fest. Und so ist es bei uns in der Gruppe. Wir haben so viele unterschiedliche Leute, dass das erstmal ein guter Meinungsaustausch ist. Da ist nicht nur Zustimmung, sondern es muss auch bei gewissen Sachen erstmal darüber geredet und diskutiert werden. Aber das ist dann auch so, dass es so viele unterschiedliche Leute gibt, die sich unterschiedlich einbringen können. Das fängt mit dem ersten Schritt an: man muss sich Leute suchen und sich sagen: „Ich bin nicht allein.“ Man muss raus aus seinem Schneckenhaus und wenn man das einmal geschafft hat, dann kann es wirklich sehr schön werden.