Der „Zoologische Garten Buchenwald“, der Affen, Bären und einen Goldfischteich beherbergte, erzählt die Grausamkeit des NS-Regimes in wenigen Bildern. Der drei Meter hohe Elektrozaun trennte Zoo und Krematorium, Vergnügen und Tod. Der Kommandant des KZ Buchenwald, Karl Koch, ließ den kleinen Zoo errichten, um seinen Mitarbeitern eine Unterhaltung zu bieten und ihnen „Tiere in ihrer Schönheit und Eigenart vorzuführen, die sie sonst in freier Wildbahn zu beobachten und kennen zu lernen kaum Gelegenheit haben“. Die Vorstellung, dass die Nazis in ihrer Mittagspause auf den ringsherum stehenden Bänken die Tiere besichtigten und sich amüsierten und ein wenig später das kaltblütige Morden fortsetzten, ist unheimlich.
Zusätzlich ließ der KZ-Kommandant am Südhang des Berges den „SS-Falkenhof“ mit Käfigen für Adler, Eulen und Raben sowie Gattern für Hirsche, Wildschweine und Wölfe errichten. Die Bevölkerung der Stadt Weimar wusste über Hof und Zoo Bescheid – und am Wochenende durfte sie den Hof sogar besuchen. Das Wohlbefinden der Tiere lag Koch am Herzen, deshalb verbot er „jegliches Füttern und Necken“. Wer gegen das Verbot verstieß, wurde bestraft. Aber Koch ließ Häftlinge in den Bärenzwinger werden, um sich voller Vergnügen anzusehen, wie sie von den Bären zerfleischt werden. Ein KZ-Überlebender erzählte, die Bären bekamen 1944, in Zeiten großer Hungersnot im Lager, frisches Fleisch – aus der Häftlingsküche.
Der Autor Jan Mohnhaupt stellt die Geschichte des „Zoologischen Garten Buchenwald“ an den Beginn seines kürzlich veröffentlichten Buches „Tiere im Nationalsozialismus“. Die Geschichte verdeutlicht, dass das NS-Regime bestimmte Tiere zu „Herrentieren“ und bestimmte Menschen zu „Menschentieren“ (bzw. „Untermenschen“) machte. Mohnhaupt resümiert: Tierschutz und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellten für das NS-Regime keinen Widerspruch dar (S. 13) – wobei sich die Legende vom Tier- und Naturschutz des Nationalsozialismus in Teilen der Bevölkerung bis heute hält. Eine Ideologie, die Menschen und Tiere nach ihrem Nutzen für die „Volksgemeinschaft“ bewertet, unterscheidet nicht zwischen Mensch und Tier, sondern zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben (S. 16).
Es gelingt Mohnhaupt, die NS-Ideologie mithilfe einer Reihe eindrücklicher Geschichten über Tiere wie Katzen und Löwen, Hunde und Wölfe, Schweine und Pferde zu erklären. Man denke beispielsweise an Hitlers Hundeliebe, die zum festen Bestandteil des Führermythos wurde; das belegen die Aufnahmen seines Fotografen Heinrich Hoffmann. Am 20. April 1922 schenkten ihm Parteikameraden zum Geburtstag seinen ersten Schäferhund. Bezeichnenderweise nannte Hitler ihn „Wolf“ – denn für ihn hatte er eine „gewisse Vorliebe“, so Mohnhaupt. Im vertrauten Kreis ließ sich Hitler mit „Wolf“ ansprechen, er unterschrieb private Briefe mit „Wolf“ und in Hotels quartierte er sich zu Beginn seiner politischen Laufbahn unter „Herr Wolf“ ein. Zudem tragen mehrere Führerhauptquartiere „Wolf“ im Namen, z.B. „Wolfsschanze“, „Wolfsschlucht“, „Werwolf“. Der Wolf nimmt nach Einschätzung Jan Mohnhaupts unter allen Tiersymbolen die wichtigste Rolle für die Ideologie des Nationalsozialismus ein. Er symbolisiert Kampfesmut und Wehrhaftigkeit, Aggressivität und Tatkraft. Das Symbol behielt seine Bedeutung bis Ende des Krieges: Reichsführer-SS Himmler gründete die paramilitärische NS-Organisation „Werwolf“, die ab 1944 in den deutschen Grenzgebieten gezielte Sabotageakte gegen die vorrückenden Alliierten verüben sollten, und NS-Propagandaminister Goebbels stachelte die Bevölkerung im April 1945 zum gewaltsamen Widerstand gegen die „Feindmächte“ an: „Der Werwolf hält selbst Gericht und entscheidet über Leben und Tod.“ (S. 34)
Die Erkenntnisse Mohnhaupts lassen sich auf die heutige Neonazi-Szene übertragen. Sie stellt sich ideologisch in die Tradition des historischen Nationalsozialismus und übernimmt – wenig überraschend – die aggressive Bildsprache des NS-Regimes. Die Identifizierung mit Wölfen lässt sich besonders anschaulich im Bereich extrem rechter Musik veranschaulichen. So nannten sich szenebekannte Rechtsrock-Bands beispielsweise: „Weisse Wölfe“ (und deren Solo-Projekte „Wölfe solo“ und „Der Böhse Wolf“), „Kategorie C – Hungrige Wölfe“, „Wolfsfront“, „Wolfskraft“, „Wolfsrudel“ und „Werwolf“. Damals wie heute identifizieren sich Nazis mit „Herrentieren“ wie Wölfen. Sie wollen Stärke und Willenskraft zur Schau stellen und demonstrieren, dass sie gemeinsam – im Rudel – bereit sind, ihre Feinde koordiniert anzugreifen und zu reißen. Heute, morgen und erst recht am Tag X.
Das Buch „Tiere im Nationalsozialismus“ (2020) von Jan Mohnhaupt erscheint im Carl Hanser Verlag und kostet 22€.
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/tiere-im-nationalsozialismus/978-3-446-26404-5/