Der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl am Sonntag in Rumänien bringt einen rechtsextremen Kandidaten ins Finale, ein Ergebnis, das die politische Landschaft zutiefst erschüttert. Denn Călin Georgescu ist ein fast unbekannter Kandidat, der weder in Meinungsumfragen noch bei etablierten Medien oder politischen Beobachter*innen zuvor bekannt war. Er wird in zwei Wochen in einer Stichwahl gegen die Mitte-Rechts-Politikerin und Kleinstadtbürgermeisterin Elena Lasconi antreten.
Wie erzielte ein „Nobody“ eine so überraschende Mehrheit, während etablierte Parteien und prominente Konkurrent*innen chancenlos blieben? Ausschließlich durch Online-Propaganda und Mobilisierung. Georgescu konzipierte eine neuartige Art der Kampagnenführung, die aus einer Mischung aus menschenfeindlicher Rhetorik und rechtsextremen Netzwerken bestand.
Überraschender Sieg mit menschenfeindlichem Kern
Er war ein politisch Unbekannter: Weder zeigte sich Georgescu bei Debatten, noch hingen Plakatkampagnen von ihm. Politische Analyst*innen hatten ihm weitestgehend keine Beachtung geschenkt und sich auf einen Wahlkampf zwischen den etablierten Parteien und dem rechtspopulistischen Lager der AUR eingestellt. Stattdessen die Überraschung. Călin Georgescu überholt alle anderen Konkurrent*innen und das mit einer explizit prorussischen, antieuropäischen und rechtsextremen Rhetorik – die bislang in Rumänien als nicht „mehrheitstauglich“ galt.
Wer ist Călin Georgescu? Früher war er bei dem rumänischen AfD-Pendant der AUR aktiv, verlässt die Partei aber nach internen Konflikten, um sich als unabhängiger Kandidat aufzustellen. Seine offene Verehrung rumänischer Faschisten hat selbst Rechtspopulist*innen im Land abgeschreckt. Mehrfach bezieht sich Georgescu, explizit auf rumänische Faschisten aus dem Zweiten Weltkrieg, Corneliu Zelea Codreanu und Marschall Ion Antonescu. Beide waren zentrale Figuren der Legionärsbewegung, die für ihre antisemitischen Pogrome und Morde bekannt sind. Georgescu bezeichnete die beiden als „Helden der Nation“ und nutzte wiederholt antisemitische Dogwhistles, um die aktuelle rumänische Regierung als „Lakaien der globalistischen Mächte“ zu delegitimieren.
Seine menschenfeindlichen Äußerungen reichen jedoch weiter. Während der Pandemie verbreitete er hauptsächlich über TikTok Verschwörungserzählungen über die Nichtexistenz von Viren („Viren sind künstlich geschaffene Feinde“; „Gibt es diese Krankheit [Covid] wirklich?“) und diskreditierte das medizinische System als „größte Manipulation der Welt“. Weiter noch, leugnet er die Souveränität der Ukraine als „erfundener Staat“, lobt Wladimir Putin als „Mann, der sein Land liebt“ und plädiert für Frieden mit Russland. Diese extremistische Ideologie, verpackt in populistische Botschaften, überzeugt vor allem junge Wähler*innen unter 24.
TikTok als Wahlkampfwaffe
Der wahrscheinlich beunruhigendste Aspekt dieser Wahl ist Georgescus innovative Nutzung von TikTok. Während er im klassischen Wahlkampf etwa bei politischen Debatten oder auf Wahlplakaten nicht anwesend war, setzt der Politiker auf soziale Medien, insbesondere TikTok, um Wähler*innen zu mobilisieren. In den letzten Wochen explodierte seine Follower*innen-Zahl auf TikTok von knapp 30.000 auf über 330.000, während seine Videos auf der Plattform über 4 Millionen Likes erhalten, bei einer durchschnittlichen Videoreichweite von 1,2 Millionen Views.
Das Team von Georgescu nutzte eine Strategie, die aus Interviews mit populistischen Medienmacher*innen, Auftritten bei christlichen Fundamentalist*innen und internationalen Verschwörungsideolog*innen bestand. Gleichzeitig erschienen auch etliche Berichte und Videos in russlandnahen Medien wie „Sputnik“ oder „Metropola TV“, die sich offen für ihn aussprachen und seine Kampagne befürworteten. Ergänzt wurde dies durch eine koordinierte Online-Kampagne: Über Social-Media-Plattformen wie WhatsApp und Telegram verbreiteten Unterstützer*innen der Gruppierung „Votam Calin Georgescu / 11CG“ Anleitungen zur Wahl Georgescus.
Parallel dazu überfluteten Influencer*innen TikTok mit Unterstützungsbotschaften für Georgescu. Diese Beiträge wurden über die Social-Marketing-Plattform „FameUp“ organisiert, auf der kleine Influencer*innen mit 1.000 bis 10.000 Follower*innen durch bezahlte Werbeanzeigen finanziell motiviert werden. Bereits Wochen vor der Wahl erschien dort eine Anzeige unter dem Hashtag #echilibrusiverticalitate (übersetzt: Gleichgewicht und Vertikalität). Sie enthielt zudem ein detailliertes Skript mit vorgefertigten Talking Points, die Influencer*innen in ihren Beiträgen verwenden konnten.
Im Ergebnis beteiligten sich hunderte rumänische Influencer*innen an der Kampagne, die ohne Werbekennzeichnung oder Hinweis auf politische Werbung verbreitet wurde. Die Inhalte unterstützten Georgescus Narrative und riefen zur Wahl von Listenplatz 11, seinem Platz, auf.
Besonders auffällig: Georgescu hat offenbar angegeben, kein Spendengeld für seinen Wahlkampf ausgegeben zu haben. Von allen politischen Kandidat*innen gab nur Călin Georgescu keine Einkünfte an – ein eklatanter Umstand, zumal seine Reichweite auf TikTok allein, überraschend in den letzten Wochen explodiert ist und die Influencer*innen-Kampagne mit knapp 80 € pro Video-Testimonial dotiert wurde. Der Verdacht liegt nahe, dass externe Geldquellen hinter der Finanzierung dieser massiven digitalen Präsenz stecken könnten.
Neue Dimension digitaler Demokratiegefährdung
Georgescus Wahlerfolg verdeutlicht eindringlich, wie rechtsextreme Ideologien durch gezielte Verschleierung, digitale Propaganda und soziale Medien verbreitet und mehrheitsfähig gemacht werden können. Dieses Phänomen birgt das Potenzial, auch in anderen Ländern zu unerwarteten Wahlergebnissen zu führen. Der Hauptgrund liegt darin, dass Politisierung und politische Bildung sich zunehmend in den digitalen Raum verlagern. Studien zur Nachrichtenrezeption und Informationsbeschaffung zeigen immer wieder die zentrale Rolle von sozialen Netzwerken. Gleichzeitig sollte insbesondere TikTok eine besondere Rolle zukommen, zumal die Plattform immer häufiger zu einem strategischen Instrument extremistischer politischer Einflussnahme missbraucht wird.
Für liberale Demokratien, die bereits mit Desinformation, politischer Polarisierung und dem Einfluss autoritärer Mächte kämpfen, stellt dies eine alarmierende Entwicklung dar. Die rumänische Wahl zeigt, wie eine Kombination aus geschicktem Social-Media-Einsatz, antidemokratischen Netzwerken und Alternativmedien wie auch menschenfeindlicher Rhetorik selbst in vermeintlich stabilen Gesellschaften Wahlergebnisse radikal beeinflussen können.
Die Frage bleibt, wie Demokratien in Zukunft rechtzeitig darauf reagieren können. Genau beobachtet werden die Ereignisse in Rumänien auch von deutschen Rechtsextremist*innen, die inspiriert und beflügelt auf die News reagiert haben.
Klar ist: Ohne ein umfassendes Verständnis der digitalen Mechanismen, die solche Erfolge ermöglichen, und ohne stärkere Maßnahmen gegen Desinformation werden ähnliche Szenarien in Zukunft deutlich häufiger auftreten.