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TikTok Mit Rechten stitchen?

(Quelle: Unsplash)

Stitchen – also eine Videoantwort auf ein TikTok Video – ist auf der Plattform Alltag und wichtiger Bestandteil der Funktionen. Bei einem Stitch handelt es sich um ein Reaktionsvideo. Es zeigt zu Beginn bis zu fünf Sekunden des Originalvideos, auf das reagiert wird. Danach folgt die audiovisuelle Reaktion des Users oder der Userin, der oder die das Originalvideo kommentiert oder kritisiert.

Die Möglichkeit der direkten Reaktion wird häufig auch für aufklärerische Inhalte genutzt. So wird mit Stitches zum Beispiel auf Inhalte von Rechtsextremen reagiert, diesen widersprochen und deren Aussagen eingeordnet. Was zunächst wie beherzte Gegenrede daherkommt, hat aber auch negative Auswirkungen. Eine Debatte, ob in diesem Fall die Funktion genutzt werden sollte, ist überfällig. Ist ein anknüpfen am umstrittenen Diskurs „mit Rechten reden“ nötig? Eine kritische Auseinandersetzung findet auf TikTok bisher jedenfalls kaum statt. Wir haben Gründe gesammelt, wieso sich hier etwas ändern muss.

Der wohl offensichtlichste Grund, diese Funktion nicht für die Antwort zu nutzen, ist die Reichweite, die durch einen Stitch für menschenfeindliche Inhalte und deren Profile generiert wird. Das gestitchte Video wird immer direkt verlinkt, durch nur einen Klick kommen die User*innen also auf den Originalbeitrag und helfen diesem und dem Account durch mehr Views und Interaktionen zu noch mehr Popularität. .

Darüber hinaus, steht bei einem Stitch das Originalvideo immer am Anfang. Es lassen sich nur schlecht Content Notes oder Triggerwarnungen einbauen oder Aussagen einbetten. Im Gegenteil, da die ersten Sekunden eines TikToks (laut Wahrnehmung von User*innen) entscheidend sind für die Performance des Videos, werden besonders kritische und problematische Aussagen genutzt, um als polarisierender Einstieg in das eigene Video zu dienen. In der Hoffnung, dass es so mehr Menschen erreicht, generieren User*innen also Reichweite mit der Reproduktion von menschenfeindlichen Aussagen. Die Alternative dazu: das Faktensandwich, eine Methode, die selbst das Robert Koch Institut während der Corona-Pandemie benutzt hat, um Falschinformationen zu enttarnen. Beim Faktensandwich handelt es sich um eine Methode mit Falschinformationen umzugehen. Das bedeutet: Zuerst die eigentlichen Fakten nennen, dann die Falschinformation erklären und am Ende wieder mit echten Fakten abschließen.

Wer behält das letzte Wort?

Und natürlich bleibt es häufig nicht nur bei einem Stitch. Die Person, deren Video gestitcht wird, bekommt darüber eine Benachrichtigung und kann sich die Reaktionsvideos auf das eigene Video anschauen und nicht selten beginnt so ein „Stitch Battle“, das in Form von Videos und Kommentaren ausgefochten wird. Auf die Reaktion erfolgt die Gegenreaktion. Gleichzeitig entsteht aber hier insbesondere für Zuschauende eine weitere Gefahr. Zwei User*innen diskutieren miteinander, zwei scheinbar legitime Meinungen stehen miteinander im Diskurs: False Balance schleicht sich ein. False Balance bedeutet eine unausgewogene Darstellung und Gewichtung von Meinungen. So werden Meinungen, die nicht dem wissenschaftlichen Konsens zustimmen, so viel Plattform geboten, wie wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen. In der Öffentlichkeit erweckt dies den Anschein als handle es sich um eine populäre Meinung, obwohl diese nur von einer Minderheit vertreten wird. Im schlimmsten Fall werden rechtsextreme Aussagen als gleichwertig und legitim wahrgenommen. So werden menschenfeindliche Argumentationen normalisiert.

Gegenrede vs. Toxische Unterhaltung

Ein alternatives Beispiel zeigt die Creatorin Tara Wittler, auch bekannt als @wastarasagt, mit ihrem Format „TikToxic“. Sie reagiert auf besonders misogyne und queerfeindliche Inhalte. Anstatt die Stitch-Funktion zu verwenden, nimmt sie die fragwürdigen Videos auf, zensiert die Namen der Ersteller*innen und analysiert die Aussagen in separaten Sequenzen. In der Vergangenheit hat auch sie gestitcht, jedoch hat sie ihre Vorgehensweise angepasst. Erwähnenswert ist an dieser Stelle aber auch, dass laut den TikTok Community Guidelines das Abfilmen von Content nicht erlaubt ist.

Ihre Vorgehensweise bricht mit der klassischen Stitchabfolge, in der zunächst das Originalvideo gezeigt wird und danach das Reaktionsvideo folgt, bei Taras Videos wechseln sich Ausschnitte des Originalvideos mit ihrem Kommentar ab.  Sie befindet sich aber als Creatorin, die mit öffentlichem Videomaterial arbeitet, in einem Graubereich, da eigentlich das Abfilmen von TikTok Videos den Nutzungsbedingungen der Plattform widerspricht. In einem Vortrag auf der Tincon, einer Konferenz für Jugendliche und junge Erwachsene, die sich rund um das Leitthema „digitale Jugendkultur“ dreht, berichtet Wittler allerdings auch, dass einige Accounts bewusst problematischen Content produzieren, in der Hoffnung, von ihr aufgegriffen zu werden und dadurch noch mehr Reichweite zu generieren.  Dies wirft erneut die Frage auf, inwiefern die Auseinandersetzung mit extrem rechten Inhalten auf TikTok tatsächlich zu einer nachhaltigen Aufklärung führt oder ob sie ungewollt dazu beiträgt, diese Inhalte weiter zu verbreiten.

Ein Stitch als gutgemeinter Versuch der Gegenrede hat also leider nicht selten sehr unschöne Folgen. Nicht zu vergessen bei der Debatte ist der Selbstschutz. Es besteht die Gefahr, wenn man sich online mit extrem rechten Creator*innen anlegt, die eine große Anhänger*innenschaft haben, als Feind*in markiert und zur Zielscheibe von Hasskommentaren zu werden. Eine derartige Konfrontation kann in einem Shitstorm enden. Die eigene Sicherheit und mentale Gesundheit sollten immer priorisiert werden. Gezielte Hasskampagnen, insbesondere gegen marginalisiert Creator*innen, sind zentraler Bestandteil rechtsextremer, digitaler Raumergreifungsstrategien, um Menschen einzuschüchtern und zum Rückzug aus dem digitalen und politischen Geschehen zu bewegen – offline und online. Ziel ist es, andere Meinungen aus dem Diskurs zu verdrängen.

Auch die Frage, wer in Diskussionen involviert ist, spielt eine entscheidende Rolle. Eigene Betroffenheit verändert die Dynamik eines jeden Streitgesprächs. Wenn es um die extreme Rechte oder Diskriminierung von Personen geht, die an der „Diskussion“ teilnehmen, ist das kein guter Ausgangspunkt. Eine „Debatte“ oder sachliche Diskussion mit extrem Rechten, die man sich vielleicht noch erhofft, bleibt aus. Eine marginalisierte Person sollte einen Neonazi oder Rechtsextremen nicht von der eigenen Menschlichkeit und dem Recht auf Unversehrtheit „überzeugen“ müssen. Und besonders (sichtbar) marginalisierte Personen werden schnell zur Zielscheibe rechtsextremer Kommentare anderer Qualität und Härte. Das betrifft unter anderem Schwarze Creator*innen, die rassistisch beleidigt werden oder queere Creator*innen, die homo- oder queerfeindlich angegriffen werden, wenn sie bestimmte Creator*innen und deren Rechtsaußen-Inhalte mit einem Stitch-Video konfrontieren.

Diese Argumente bedeuten jedoch nicht, dass wir uns nicht gegen Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit auf TikTok einsetzen sollten. Themen, die von Rechtsextremen, Antifeminist*innen und Verschwörungsideolog*innen behandelt werden, können besprochen werden, ohne antidemokratischen Akteur*innen noch mehr Views zu verschaffen, indem man sie verlinkt und ihre Inhalte pusht. Über bestimmte Themen rechtsextremer Ideologie und menschenfeindlicher Propaganda kann zum Beispiel mit Erklärvideos aufgeklärt werden.

Auf anderen Plattformen hat es zum Teil Jahre gedauert, bis es ein Bewusstsein dafür gab, nicht direkt auf rechtsextreme Inhalte zu reagieren. So hat es sich auf Twitter langsam aber sicher etabliert, keine rechtsextremen Beiträge zu retweeten, um sie zu kritisieren oder problematisieren, sondern stattdessen Screenshots zu verwenden. Lasst uns aus diesen Erfahrungen lernen und die Stitch-Funktion klüger nutzen. Es gibt viele tolle Initiativen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Aktivist*innen und Betroffene von rechtsextremer Gewalt oder Diskriminierung, die auf TikTok ihre Erfahrungen teilen und lehrreichen Content produzieren. Ihnen gebührt unsere Aufmerksamkeit und Reichweite.

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