Narrative – Erzählungen – repräsentieren Ereignisse. Sie transportieren dabei zweierlei: Auf der inhaltlichen Ebene geben sie Auskunft über das Ereignis an und für sich bzw. eine Antwort auf die Frage nach dem „Was“ eines Geschehens. Auf der diskursiven Ebene erfolgt eine Mitteilung über das „Wie“, das die zeitliche Dimension des Geschehens ebenso einschließt wie etwa eine Beschreibung des Settings und kausale Erklärungen.
Damit überführt ein Narrativ Ereignisse in einen sinnhaften Kontext. Dabei werden Einzelheiten ausgewählt oder fortgelassen. Es erfolgt also eine Interpretation des Ereignisses aus einer speziellen Perspektive, die zum Verständnis eine Anschlussfähigkeit des Narratives an das Wissen und die Erfahrung potentieller Rezipienten voraussetzt.
Die Analyse rechts-alternativer Weltbilder: Grundannahmen
Damit erlaubt ein Narrativ Rückschlüsse auf die kollektiv geteilten Werte, Normen und Vorstellungen seiner Autor_innen beziehungsweise der Menschen, die es teilen und befördern. Narrative illustrieren grundlegende Klassifikations- und Analyseschemata ihrer Befürworter, ihre Art und Weise zu denken und zu erleben. Sie bieten eine Sinnstruktur, die – wie eine Parabel – Ereignisse in einen Gesamtzusammenhang einordnet und damit bestimmte Weltsichten untermauert oder befördert. Dies gilt für Erzählungen, die philosophische, religiöse, ökonomische oder historische Zusammenhänge darstellen ebenso wie für Narrative, die sich um Annahmen über andere Menschen oder Gruppen ranken. Einzelereignisse werden durch die selektive Erzählung überhöht und verallgemeinert. Durch vielfache Wiederholung und Verbreitung in das individuelle und kollektive Gedächtnis integriert, tragen Narrative so langfristig dazu bei, individuelle und kollektive Identitäten zu konstruieren und zu stabilisieren.
Die Analyse von Narrativen stellt demnach eine außerordentlich gute Möglichkeit dar, Weltbilder und ihren langfristigen Wandel sichtbar zu machen. Mit Blick auf die zunehmende Prominenz von Verschwörungstheorien aller Art und die Schwierigkeit vieler Menschen, viral verbreitete Behauptungen von Tatsachen, echte von manipulierten Fotos, wirkliche Zitate von aus dem Zusammenhang gerissenen Satzfetzen und freien Erfindungen zu unterscheiden, scheint dies auch geboten. Denn die digitale Herausforderung der pluralen, freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft wird durch neue rechtspopulistische und rechtsextreme Akteure mittels neuartiger Medien und Technologien vorangetrieben.
Aus der Forschung zu den Erscheinungsformen des Rechtsextremismus ist bekannt, dass rechtsextreme Weltbilder und rechtsextremes Handeln zwar nicht das Gleiche darstellen, aber Hand in Hand gehen. Einstellungen und Verhalten bedingen einander. Daher kennzeichnen sowohl die Ideologie der Ungleichwertigkeit als auch die Akzeptanz physischer Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele zentrale Definitionen von Rechtsextremismus.
Muss man davon ausgehen, dass einzelne Facebook-Beiträge, die von der ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit von Menschen ausgehen, rechtsextremes Handeln motivieren? Nicht unbedingt: Rechtsextreme Einstellungen sind das eine, rechtsextrem geschlossene Weltbilder und Handeln das andere. Aber: Die Beförderung von an rechtsextreme Ideologie anschlussfähigen Narrativen kann dazu beitragen, dass sich ein individuelles Konglomerat aus zum Teil noch widersprüchlichen und partiell revidierbaren Einstellungen durch konstante Ansprache zu einem rechtsextremen Weltbild verfestigt. Es muss davon ausgegangen werden, dass etwa ein Fünftel der deutschen Bevölkerung über partiell rechtsextreme Einstellungsmuster etwa im Bereich Rassismus verfügt. Diese können durch solche konstante Ansprache ebenfalls verstärkt und erweitert werden. Rechtsextreme Positionen würden so aufgrund ihrer Verbreitung wieder salonfähig.
Allerdings erscheinen die rechten Narrative heute häufig in einem neuen Gewand: Wie die Literatur zur „Neuen“ und intellektuellen Rechten herausgearbeitet hat, änderten sich seit den 90er Jahren die politische Strategie wie auch weltanschauliche Inhalte rechtsextremer Akteur_innen. Dies zeigt sich etwa in der Herausbildung einer intellektuellen Metapolitik (Begründung von Positionen) sowie der Fokussierung auf eine rechte kulturelle Hegemonie anstelle von Parteipolitik. Die politischen Strategien reichen dabei von einer partiellen, funktional begründeten Organisationslosigkeit – wie bei den Kameradschaften, die als informelle Strukturen vereins- und parteipolitischen Reglementierungen entgehen – bis hin zur Adaption linker Kulturtechniken (rechtsextreme Akteur_innen finden sich heute in allen Schichten und Subkulturen der Gesellschaft, von Punks über Skinheads bis hin zu Ökobauern und Kunststudent_innen). Politische Mimikry, die terminologische Anpassung an die soziale, politische und mediale Umgebung, wird eingesetzt, um die eigenen Ziele zu verschleiern und in den gesellschaftlichen Mainstream hineinzuwirken.
Der Wandel des ideologischen Grundgerüsts wiederum ist geprägt vom Begriff des „Ethnopluralismus„: An die Stelle der Vernichtung von Minderheiten, wie sie die NS-Ideologie verfolgte, treten bei der Neuen Rechten Segmentierungsvorstellungen, die die „konsequente räumliche Separierung und geopolitische Trennung von Menschen nach ethnisch-kulturalistischen Kriterien“ fordern. Insgesamt sind also seit der Jahrtausendwende zahlreiche neue Akteur_innen und Strategien auszumachen.
Mit dem Anstieg der Zahl in Deutschland nach Asyl suchender Menschen sehen wir abermals eine neue Welle an medialer Mobilisierung. Analyse tut also Not. Um die Strategien der dominanten Akteur_innen verständlich zu machen und deren Bedeutung für den Wandel von Weltbildern aufzuzeigen, werden im Folgenden dominante Narrative vorgestellt und eingeordnet.
Die Analyse rechts-alternativer Weltbilder: Methodik
Für die Analyse wurden zehn relevante und dominante Social Media-Akteure des verschwörungstheoretischen, rechtsextremen und rechtspopulistischen Spektrums ausgewählt. Grundlage der Auswahl waren verschiedene Aspekte: Zum einen handelt es sich um meinungsführende Online-Medien. Zum anderen wurden weitere Seiten in die Auswahl aufgenommen, um das breite Spektrum rechtsextremer und rechtspopulistischer Strömungen und Akteure exemplarisch abzubilden. Namentlich handelt es sich um die Facebook-Seiten Compact-Magazin; Ich bin stolz, deutsch zu sein; Lügenpresse; PI-News; AfD; Identitäre Bewegung; Ein Prozent für unser Land; PEGIDA und NPD.
Diese Akteure stehen exemplarisch für die rechtsalternative Online-Sphäre, in der ähnliche und zusammenhängende Narrative bedient und verbreitet werden. Diese Narrative finden sich nicht nur in der rechten Online-Sphäre. Gerade Verschwörungserzählungen kennen keine politische Zugehörigkeit und finden sich in allen Teilen der Gesellschaft. Um dies zu verdeutlichen, findet sich auch KenFM in der Auswahl der Akteure wieder. Nicht, weil KenFM rechtsextrem oder rechtspopulistisch wäre, sondern weil die von der Seite bedienten Narrative sich mit denen der rechten Online-Sphäre überschneiden.
Von diesen zehn Pages wurden für den Zeitraum von April 2016 bis Februar 2017 die zehn beliebtesten Facebook-Beiträge jedes Monats mithilfe des Tools FanPage Karma gesammelt und analysiert. Grundlage der Analyse stellte dabei der akkumulierte Wert an Reaktionen, Shares und Kommentaren dar.
Nach einer ersten Sichtung erfolgte eine qualitative Analyse der Beiträge nach den darin formulierten Narrativen, das Clustern der Narrative sowie die Abstraktion von Erzählmustern auf Basis von Grundlagenliteratur. Alle Daten geben den Erhebungsstand von April 2017 wieder.
Dabei wurden 1063 Beiträge gesichtet, die 2908 Erzählungen enthielten. Diese Erzählungen konnten in 27 verschiedene Narrative eingeordnet werden. Aus den 27 Narrativen ließen sich 7 Cluster bilden, die die sogenannten Hauptnarrative darstellen. Dabei spiegelt jedes Cluster ein Thema, das der betreffenden Gruppe von Erzählungen gemeinsam ist.
Diese Hauptnarrative sind:
– Der Untergang der Deutschen
– Bedrohung von außen
– Bedrohung von innen
– Das Establishment manipuliert
– Globale Verschwörung
– Widerstand und Lösungen
– Repressionen für Widerstand
Gemeinsam bilden die Hauptnarrative ein zusammenhängendes Muster und stellen Elemente eines Meta-Narrativs dar, das das übergeordnete Zentrum der rechtsextremen und rechtspopulistischen Erzählwelt bildet.
Aus der Broschüre „Toxische Narrative“ auf Belltower.News
Neue Broschüre: „Toxische Narrative – Monitoring rechts-alternativer Akteure“Wie mit „Narrativen“ rechtspopulistische Politik gemacht wirdWie die digitale Öffentlichkeit durch rechts-alternative Medienstrategien herausgefordert wird„Toxische Narrative“: Wie sie wirken und warum wir uns damit beschäftigen müssen