„Obwohl die Parlamentarische Versammlung des Europarates im April dieses Jahres eine Resolution gegen die Diskriminierung von Trans* Menschen (2048/2015) verabschiedet hat, leiden Trans* Menschen in nahezu allen europäischen Staaten unter rechtlicher Diskriminierung. Einzig Malta und Dänemark weisen eine Rechtslage mit Vorbildcharakter auf, die Trans* Menschen vor Ungleichbehandlung schützt“, erklärt Noah Keuzenkamp von Transgender Europe – einem Dachverband von Organisationen aus 35 Ländern, die sich für die Rechte von Trans* Menschen einsetzen.
Zwangssterilisation und Scheidung? Wie Trans*Menschen aufgrund rückständiger Geschlechterkonstruktionen in Europa diskriminiert werden
Eine der zentralen Forderungen von Trans* Menschen ist die freie Entscheidung darüber, welcher Name und welches Geschlecht in ihrem Pass vermerkt ist. Diese Forderung ist gut nachvollziehbar und könnte relativ unkompliziert vonstattengehen, jedoch gibt es in den meisten europäischen Ländern für diesen bürokratischen Vorgang erhebliche Barrieren. Im Jahr 2015 existieren in einer Vielzahl von europäischen Staaten immer noch erniedrigende Bedingung zur Umschreibung von Name und Geschlecht. Die operative Angleichung an eines der beiden „traditionellen Geschlechter“ und eine damit verbundene Sterilisierung von Trans*Menschen sind nur zwei der gesetzlich festgelegten Voraussetzungen. Sogar in EU-Mitgliedsstaaten wie Frankreich, Belgien oder Finnland müssen Trans* Menschen immer noch einer dauerhaften Unfruchtbarkeit zustimmen, um ihren Personenstand der empfundenen Geschlechtszugehörigkeit anpassen zu dürfen. In Deutschland wurde dieses diskriminierende Gesetz erst im Jahr 2011 zugunsten der Trans* Menschen und einer demokratischen Kultur geändert. Diese Änderung ist allerdings nicht politischem Wille zu verdanken, sondern der Klage einer 62-Jährigen vor dem Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom Bundesverfassungsgericht).
„In vielen europäischen Ländern werden Trans*Menschen im Falle einer bestehenden Ehe oder einer Lebenspartnerschaft gezwungen, sich scheiden zu lassen, um ihren Personenstand ändern zu dürfen. Oder umgekehrt müssen sie sich, um eine Ehe eingehen zu dürfen, einer geschlechtsumwandelnden Operation unterziehen, damit sie eindeutig als „Frau“ oder „Mann“ identifiziert werden können“ erzählt Noah Keuzenkamp. „Diese Prozeduren sind genau wie die langwierigen Begutachtungen durch Psychologen und Ärzte äußerst erniedrigend“. Außerdem werden in nahezu allen Ländern Trans*Menschen als krankhaft bewertet, indem sie als „geschlechtsidentitätsgestört“ bezeichnet werden.
Diese Praktiken schränken grundlegende Menschenrechte wie das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung stark ein und zeugen von einem rückständigen binären Geschlechterverständnis, welches keinen Platz für Identitäten außerhalb des klassischen Bildes von „Frau“ und „Mann“ lässt.
Eine Veränderung der gesetzlichen Lage könnte auch die Diskriminierung im Alltag vermindern
In einer Studie, die im Jahr 2012 von Transgender Europe durchgeführt wurde, gaben nahezu alle Teilnehmer*innen an, dass eine Gesetzeslage wie in Malta oder Dänemark ihre Situation stark verbessern würde. Aus diesem Grund setzt sich Transgender Europe insbesondere für die gesetzliche Gleichstellung von Trans*Menschen ein. Grundsätzlich wird die Implementierung der EU-Resolution (2048/2015) in die nationalen Gesetzgebungen gefordert. „Um die prekäre Situation von Trans*Menschen zu verbessern, müssen Antidiskriminierungsgesetze verabschiedet werden, zugängliche und schnelle Möglichkeiten geschaffen werden, um Name und Geschlecht in offiziellen Dokumenten ändern zu können, außerdem müssen Zwangssterilisationen, -Scheidungen und Zwangsoperationen verboten werden. Nicht weniger wichtig ist eine auf die Bedürfnisse von Trans*Menschen zugeschnittene medizinische Versorgungen und besonderer Schutz vor Gewalt“ fasst Noah Keuzenkamp die Forderungen von Transgender Europe und der EU-Resoultion kurz zusammen.
Neben rechtlichen Formen von Ungleichbehandlung besteht für Trans*Menschen auch im Alltag eine allgegenwärtige Diskriminierung. Arn Sauer von TransInterQueer (TrIQ) berichtet von Mobbing in der Schule und am Arbeitsplatz, Diskriminierung im Bewerbungsverfahren und damit zusammenhängende hohe Erwerbslosigkeit und Armut unter Trans*Menschen. „Oft wird diesen Menschen der Zugang zur Toilette und die Anrede mit dem gewählten Namen verweigert. Es gab sogar Fälle, wo Arbeitgeber Trans* Frauen verboten haben, mit „weiblicher“ Kleidung zur Arbeit zu kommen“ erzählt Arn Sauer. Daher sei es besonders wichtig, abgesehen von den rechtlichen Änderungen, ein Bewusstsein für dieses Thema in der breiten Öffentlichkeit zu schaffen und Menschen im Bildungssektor, in Behörden sowie Ärzte und Psychologen zu schulen und für Problematiken in diesem Zusammenhang zu sensibilisieren.
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Der Kongress „Respekt statt Ressentiment – Strategien gegen die neue Welle von Homo- und Transphobie“ fand am 10. Juni 2015 in Berlin statt, organisiert von der Amadeu Antonio Stiftung und dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland.Weitere Texte zum Kongress:
| Homo- & Transfeindlichkeit: „Sie sind beleidigt, weil sie uns nicht mehr wie früher beleidigen dürfen“| Transfeindlichkeit: Freiheit der Geschlechterwahl ist bisher nur Theorie| Mehrfachdiskriminierungen: „Was den Unfall auch verursacht hat – der Schaden ist jedenfalls immens“| Kindliche Bildung: „Viele Kinder wissen gar nicht, dass man sich nicht aussucht, schwul zu sein“