Von Antonia Graf, Civic.net – Aktiv gegen Hass im Netz
Auch in diesem Jahr fällt es Parteien in Deutschland schwer, sich zu Transparenz und Fairness im digitalen Wahlkampf zu verpflichten. Gemeinsam mit zahlreichen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen forderte daher die Amadeu Antonio Stiftung im Mai zur Einhaltung eines „Leitfadens für Digitale Demokratie“ auf. Die Umsetzung des Leitfadens soll Transparenz, umfassenden Grundrechtsschutz sowie die Intervention bei Desinformation und digitaler Gewalt garantieren.
Bisher veröffentlichten Grüne und SPD eine Selbstverpflichtung, in der sie sich zum Verzicht auf Fake-Follower:innen und Fake-Likes bekennen, intransparente politische Werbung verurteilen und ein konsequentes Vorgehen gegen Hate Speech in den eigenen Kommentaren ankündigen. Hinter den Forderungen des Aufrufs aus der Zivilgesellschaft bleiben die Selbstverpflichtungen allerdings zurück. Von anderen Parteien gab es bisher nur Lippenbekenntnissen, Floskeln zu „Fairness“ und „digitaler denn je“ werden hier und da eingestreut, eine selbstkritische und ehrliche Auseinandersetzung fehlt.
Desinformation und rechte Kampagnen
Dabei wäre das wichtiger denn je. Im Bundestagswahlkampf 2021 zeigen deutlich mehr Politiker:innen Präsenz in den Sozialen Medien, als 2017. Gleichzeitig scheint die Hemmschwelle zu sinken, sich online auch als etablierte Partei an rechtspopulistischen und rechtsextremen Kampagnen zu beteiligen und auf emotionale Ansprache und persönliche Angriffe statt inhaltliche Auseinandersetzung zu setzen. So werden politischen Gegner:innen Positionen unterstellt, die diese nicht vertreten. Während Rechtsaußen teils auf schamlose Lügen gesetzt wird, steigen andere Parteien bei der Verkürzung von Aussagen ein – wie beispielsweise im Fall des Shitstorms gegen Carolin Emcke. In einer Rede auf dem Parteitag der Grünen hatte die Autorin vor den Gefahren von Desinformation und Wissenschaftsfeindlichkeit gewarnt und erklärt, dass diese Systematik, die oft Jüd:innen und Juden zum Feindbild stilisiert, zukünftig auch Klimaforscher:innen treffen könnte. Kurz darauf kursierte ein kleiner Ausschnitt von Emckes Rede in den Sozialen Medien, ihr wurde die Verharmlosung der Verfolgung von Jüd:innen und Juden im dritten Reich vorgeworfen. Dass sie das nie gesagt hat, spielte dabei keine Rolle.
Handelt es sich um explizite Desinformation, können Betroffenen teilweise selbst dagegen vorgehen – so wie jüngst Renate Künast, die einen Nutzer erfolgreich verklagte, nachdem er ein falsches Zitat von ihr verbreitete. Allerdings ist es schwierig, einmal gestreute Informationen wieder einzufangen, Desinformationskampagnen bleiben ein wirkmächtiges Instrument.
Den demokratischen Diskurs fördern
Die Verantwortung für Fairness und einen konstruktiven Diskurs im digitalen Wahlkampf liegt bei politischen Akteur:innen, ein erfolgreicher Kampf gegen Hate Speech und Desinformation muss von sozialen Netzwerken vorangetrieben werden. Es gibt trotzdem einige Möglichkeiten, wie Nutzer:innen den demokratischen Dialog fördern können.
Gerade in der aktuellen Stimmung lohnt es sich, noch einmal auf Tipps und Tricks im Umgang mit Desinformation zurückzugreifen und vor allem Beiträge in den sozialen Medien kritisch zu lesen. Klar, Fakten checken kann anstrengend sein, aber es lohnt sich! Dabei können drei Fragen zur Orientierung dienen: Woher kommt der Inhalt? Was fehlt in der Nachricht? Welche Emotionen werden damit ausgelöst? Denn gerade online werden Quellen oft einfach weggelassen oder auf gezielte Emotionalisierung gesetzt. Um Bilder und Videos richtig einzuordnen, gibt es die Möglichkeit, „rückwärts“ zu suchen, wo ein Medium noch im Internet auftaucht. So kann beispielsweise die Quelle eines Videos ausfindig gemacht und der Kontext richtig eingeordnet werden.
Um auf Hass und Desinformationskampagnen gegen ihre Partei zu reagieren, haben die Grünen eine „Netzfeuerwehr“ ins Leben gerufen, bei der Mitglieder und Unterstützer:innen der Partei gezielt Gegenrede leisten. Das ist nichts, wofür man Mitglied einer Partei sein muss. Um einen Diskurs frei von menschenfeindlichen Inhalten und digitaler Gewalt zu fördern, können Nutzer:innen nicht nur eigene, aufklärende Postings verfassen, sondern auch in Kommentarspalten Gegenrede betreiben oder Hate Speech melden. Dabei ist es allerdings wichtig, digitalen Selbstschutz zu beachten und vorher zu checken, welche Informationen im eigenen Profil preisgegeben werden. Denn wer sich gegen Hass im Netz stark macht, wird schnell selbst zur Zielscheibe von Rechten und Trolls.
Laut einer aktuellen forsa-Umfrage ist das Entsetzen über Hasskommentare gestiegen und die Bereitschaft zur Beteiligung an der Diskussion zurückgegangen. Dass Hass und Hetze sachliche politische Diskurse im Netz verhindern, ist längst allen klar. Doch wirkliche Konsequenzen für die eigenen Kommentarspalten haben die meisten Parteien daraus bisher nicht gezogen. Moderator:innen zeigen beispielsweise laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung im Rahmen der Europawahl 2019 bei den meisten Parteien eine geringe Bereitschaft, mit Nutzer:innen online in den Dialog zu gehen. Potenziale für konstruktive Interaktion in den Sozialen Medien werden im parteipolitischen Spektrum lange nicht ausgeschöpft. Für Nutzer:innen kann es sich lohnen, diesen Dialog aktiv einzufordern und die Kommentarspalte so für inhaltliche Auseinandersetzung zu nutzen, wie sie klassischerweise in Bürger:innendialogen stattfindet.
Die Browser-Erweiterung „Who Targets Me“ kann außerdem dabei helfen, sogenanntes Microtargeting sichtbar zu machen. Bei Microtargeting werden durch die Analyse personenbezogener Daten spezifische Zielgruppen erstellt und Wähler:innen beispielsweise anhand ihrer sexuellen Orientierung, ihres Einkommens oder ihrer Herkunft eingeordnet. So kann Wahlwerbung als sogenannte „Dark Ad“ angezeigt werden, maßgeschneiderte Anzeigen, die nur die ausgewählte Zielgruppe sieht. Gemeinsam mit dem ZDF Magazin Royal wertet „Who Targets Me“ das Microtargeting bis zum Wahlkampf aus. Umfassende Informationen zum Online-Wahlkampf der Parteien und Kandidat:innen bietet auch das Social Media-Dashboard des Tagesspiegels.