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Trotz Alledem 1700 Jahre jüdisches Leben, Antijudaismus und Antisemitismus

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Die Neue Synagoge in Berlin (Quelle: Wikimedia / Andreas Praefcke / CC BY 3.0)

Im Jahr 321 erlaubte Kaiser Konstantin in einem Edikt die Beteiligung von Juden im Stadtrat von Köln. Es gibt damit seit mindestens 1700 Jahren jüdisches Leben in Deutschland”, also auf einem Teil des Gebiets, das sich erst viel später Deutschland nennt. 

1700 Jahre sind ein langer Zeitraum, in ihm zeigt sich die Ambivalenz, mit der das Festjahr auch heute zu kämpfen hat: Während es die Geschichte eines blühenden jüdischen Lebens in den SchUM-Städten Speyer, Worms und Mainz, und dann später auch in Thüringen ist, dem sich später im 19. Jahrhundert die Emanzipation der Jüdinnen und Juden anschließt, ist es gleichzeitig die Geschichte von Verfolgung und vor allem christlichem Antijudaismus: Von Kreuzzügen, und dem Pest-Vorwurf der Brunnenvergiftung und der Ritualmordlegende, den Hep-Hep-Unruhen in Würzburg und schließlich der Shoah.

2021 jährt sich dieses Edikt zum 1700. Mal. Anlass genug für ein Festjahr, in dem jüdisches Leben sichtbarer und gleichzeitig der grassierende Antisemitismus bekämpft werden soll. Denn diese lange Geschichte ist keineswegs eine der friedlichen Symbiose, sondern eine der Gleichzeitigkeit von jüdischem Leben mit Gewalt, Vertreibung und Vernichtung.

Das Edikt selbst beweist wie schwierig die Bedingungen für jüdisches Leben hier die meiste Zeit waren. Denn zu erlauben, dass Juden im Stadtrat vertreten sein dürfen, impliziert, dass sie das vorher nicht durften. Der Anlass verweist also schon auf die Schwierigkeit eines solchen Festjahrs. 

Feiern in Zeiten des Antisemitismus? 

Jüdisches Leben kann in Deutschland auch weiterhin nicht unbeschwert stattfinden. Rebecca Seidler, die Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, machte im letzten Jüdischen Quartett einem Talkformat der Amadeu Antonio Stiftung auf dieses gravierende Problem aufmerksam und gibt bei der Planung der diesjährigen Veranstaltungen zu bedenken: In Deutschland kann kein jüdischer Feiertag ohne Sicherheitsbedenken und Schutzmaßnahmen stattfinden. Auch das gehört zu jüdischem Leben hier.”

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Also wie feiert man 1700 Jahre jüdisches Leben, heute und mit Blick auf die deutsche Geschichte und auf die Shoah? Zum Jubiläum gründete sich ein Verein, der das Festjahr organisiert und initiierte. Über 1000 Projekte wurden von einem Gremium für die finanzielle Unterstützung ausgewählt, die Bundesregierung fördert das Festjahr und Projekte des Vereins mit mehreren Millionen Euro. So finden bundesweit das ganze Jahr über Konzerte, Ausstellungen, Musik, ein Podcast, Video-Projekte, Theater, Filme, ein Sukkot XXL und zahlreiche andere Veranstaltungen und Projekte statt.

Ein solches Festjahr ist einerseits wichtiger denn je und andererseits ist die Ausgangslage denkbar schlecht. Seit der Corona-Pandemie zeigt sich Antisemitismus wieder ungehemmter und unverhohlener. Auf den „Querdenken”-Demonstrationen wimmelt es nur so von antisemitischen Plakaten oder Symbolen.Unzählige Hasskommentare und Verschwörungserzählungen fluten das Internet und wabern durch Telegramkanäle. Shoahrelativierungen in Form des “Judensterns” mit der Aufschrift Ungeimpft”, israelbezogener Antisemitismus oder personalisierende Kapitalismuskritik, die Gates, den Rothschilds” oder gleich den Juden” die Schuld an der Pandemie geben, gehören seit 2020 zum traurigen Alltag.

Auch Debatten über Antisemitismus haben in breiten Teilen der Gesellschaft Hochkonjunktur. Die Mbembe-Debatte, die Auseinandersetzungen um die IHRA Arbeitsdefinition von Antisemitismus und die Initiative GG5.3 Weltoffenheit, die die BDS-Resolution des Bundestags kritisiert: was als Antisemitismus gilt, ist hart umkämpft. Genauer gesagt: die Existenz und die Ausmaße des israelbezogenen Antisemitismus sind hart umkämpft.

Gleichzeitig ist dieser weit verbreitet: Die Leipziger Autoritarismus-Studie hat jüngst gezeigt, dass 30 Prozent der Deutschen glauben, die Politik Israels sei genauso schlimm wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg. 13,5 Prozent stimmen der Aussage zu, durch die israelische Politik werden mir die Juden immer unsympathischer”.

Unterm Strich sind alle Erscheinungsformen des Antisemitismus im Weltbild zahlreicher Deutscher zu finden, wie eine 2019 vom World Jewish Congress veröffentlichte Studie ergibt. So stimmen beispielsweise 41 Prozent der Befragten der Aussage Juden halten eher Israel als Deutschland die Treue” zu, 24 Prozent glauben an die klassisch antisemitische Vorstellung, dass Juden zu viel Macht auf den internationalen Finanzmärkten und über die Weltpolitik hätten.

Diese Zahlen sowie das Hoch antisemitischer Verschwörungsmythen fügen sich in eine langjährige Entwicklung ein. Antisemitismus zeigt sich offener und ungehemmter, was sich nicht zuletzt in dem antisemitischen Terroranschlag von Halle zeigt.

Vor diesem Hintergrund steht das Festjahr vor einer schwierigen Aufgabe. Wie kann man sinnvoll 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland feiern, wenn zu diesem Leben auch eine lange Geschichte von Antisemitismus und Judenhass, von Vertreibung, Pogromen und Morden gehört? Wie lässt sich der Shoah dabei gedenken, ohne jüdisches Leben darauf zu reduzieren? Und wie kann man insbesondere nach einem Jahr wie 2020 jüdisches Leben feiern, ohne die omnipräsente Drohung des Antisemitismus vergessen zu machen. 

Erwartungen und Befürchtungen

Das Festjahr hat schon jetzt jetzt zahlreiche Podcasts und Diskussionsrunden hervorgebracht, wie auch die letzte Ausgabe des Jüdischen Quartetts. Dabei geht es auch um diese Fragen und es zeigen sich Erwartungen und Ambivalenzen, Hoffnungen wie Befürchtungen. 

Dalia Grinfeld, Stellvertretende Direktorin für Europäsiche Angelegenheiten bei der Anti-Defamation League (ADL) und Mitgründerin des jüdisch-queeren LGBTIQ* Vereins Keshet Deutschland, benutzte im Jüdischen Quartett ein Bild, um diese Herausforderung zu beschreiben: Wenn wir Geburtstag feiern, feiern wir auch immer das gesamte Jahr, man feiert die guten wie die schlechten Zeiten. Deshalb sage ich: 1700 Jahre wir feiern das Ganze! Wir feiern, dass wir das Gute und das Schlechte erlebt haben, und das Schlechte überwunden haben. Mit 1700 Jahren setzen wir auch ein Zeichen, dass wir als jüdische Gemeinschaft Resilienz feiern können.”

Es stellt sich also für das kommende Jahr, aber auch in all den darauffolgenden Jahren die Frage, wie jüdisches Leben in Deutschland sichtbarer werden kann. Dazu sagt Dr. Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Jüdinnen und Juden in Deutschland, in der Jüdischen Allgemeinen: Die Bedeutung des Judentums für Deutschland darf nicht 2022 schon wieder in Vergessenheit geraten”. Dies betrifft nicht nur die Sichtbarkeit jüdischen Lebens, sondern auch einen Teil jüdischer Alltagsrealität, die in jedem der 1700 Jahre und auch in Zukunft durch Antijudaismus und Antisemitismus geprägt ist und es betrifft die Frage, wie zugleich die Erinnerung und das Gedenken an die Shoah und die Geschichte des Antisemitismus abgebildet werden kann.

Arkadij Khaet, Regisseur und Drehbuchautor von Masel Tov Cocktail fasst es so zusammen: Nach dem Lutherjahr jetzt das Judenjahr. Was für ein Viertel der antisemitisch denkenden Deutschen wie eine Drohung klingen mag, ist eine gut gemeinte Initiative. Aber während jüdische Einwanderinnen und Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion noch immer im Rentenrecht benachteiligt werden und geradewegs in die Altersarmut steuern, klopft Deutschland sich auf die Schulter: für Artenschutz und die stabile Eichentür. Danke Kaiser Konstantin.“

Sichtbarmachen, Erinnern, Antisemitismus bekämpfen

Dennoch bietet das Jahr eine großartige Chance, jüdisches Leben sichtbarer zu machen und Antisemitismus zu bekämpfen. Dazu gehören unter vielem anderen die Themen Sicherheits- und Schutzmaßnahmen jüdischen Lebens, die Debatten um Rentengerechtigkeit jüdischer Einwander*innen und die Frage der Langfristigkeit: Was wird ganz konkret getan, um jüdisches Leben in Deutschland weiterhin feiern zu können und wie wird auch in den kommenden Jahren der Kampf gegen Antisemitismus fortgesetzt? 

Denn die Herausforderung bleibt: wie kann jüdisches Leben gefördert, den Ermordeten und Überlebenden erinnert, und Antisemitismus gleichzeitig in all seinen aktuellen Erscheinungsformen bekämpft werden? Antisemitismus ist kein Phänomen der Vergangenheit, sondern eine gegenwärtige Gefahr. 1700 Jahre feiern heißt deshalb auch aktuelle Formen des Antisemitismus zu bekämpfen und zurückzudrängen. Denn 1700 Jahre jüdisches Leben feiern wir nicht wegen, sondern vielmehr trotz Deutschland.

Foto: Wikimedia / Andreas Praefcke / CC BY 3.0

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