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Trotz transfeindlicher Hetze Das Selbstbestimmungsgesetz ist endlich rechtskräftig

Zum Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes gab es eine Kundgebung des „Bundesverband Trans*“ mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen). (Quelle: picture alliance / epd-bild | Christian Ditsch)

Der 01. November 2024 war für viele Menschen ein bedeutsamer Tag: endlich wurde das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) abgelöst und das Selbstbestimmungsgesetz ist in Kraft getreten. Menschen können nun ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ohne die bisher großen Hürden ändern – keine Pathologisierung durch verpflichtende psychologische Gutachten mehr. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz kann der Geschlechtseintrag nun durch eine Erklärung beim Standesamt geändert werden. Für die Menschen, denen bei der Geburt ein falscher Geschlechtseintrag zugewiesen wurde, kann das Selbstbestimmungsgesetz somit eine weniger diskriminierende Möglichkeit sein, den Eintrag zu korrigieren und im Zuge dessen auch eine Änderung des Vornamens vorzunehmen.

Doch so sehen das nicht alle. Akteur*innen aus dem rechtsextremen Spektrum und transfeindliche Feminist*innen behaupten, mit dem Gesetz seien große Gefahren für „unsere“ (cis) Frauen und Kinder verbunden. Sie mobilisieren mit transfeindlichen Bedrohungsszenarien: Eltern würden willkürlich den Geschlechtseintrag ihrer Kinder ändern, Sexualstraftäter*innen würden ungehindert in Frauenschutzräume eindringen und die körperliche Unversehrtheit von (cis) Kindern sei bedroht. Klingt absurd? Das ist es auch.

Vom TSG zum Selbstbestimmungsgesetz

Fragen der Personenstandsänderung sind für trans* Personen seit 1980 im sogenannten Transsexuellengesetz (TSG) geregelt. Der Personenstand umfasst in Deutschland Daten über Geburt, Eheschließung, Begründung einer Lebenspartnerschaft und Tod sowie alle damit in Verbindung stehenden familien- und eben auch namensrechtlichen Tatsachen.

Das TSG steht seit langem in der Kritik: Bereits der Begriff „transsexuell“ sei problematisch, da er auf Sexualität hinweise, während es eigentlich um Geschlecht gehe. Zudem werden verpflichtende psychologische Gutachten, Altersgrenzen, lange Verfahrensdauern, fehlende Regelungen für nicht-binäre trans* Personen und hohe Kosten kritisiert. Bis 2011 waren Zwangssterilisationen Voraussetzung, um den Namen und Geschlechtseintrag nach TSG zu ändern – viele der ca. 10.000 Betroffenen kämpfen bis heute um Entschädigung. Das TSG wurde in den letzten Jahrzehnten in Teilen als verfassungswidrig eingestuft.

Daher, und um den komplexen Realitäten von trans* und nicht-binären Menschen gerecht zu werden, stellte die Regierung 2022 einen Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes vor, das die Verfahren radikal vereinfachen sollte. Im Selbstbestimmungsgesetz wird ausschließlich die Namens- und Personenstandsänderung geregelt: Beides ist nun durch eine Erklärung beim Standesamt möglich, auch für Kinder und Jugendliche mit Zustimmung der Erziehungsberechtigten. Fragen der medizinischen Versorgung von trans* und nicht-binären Personen regelt das Gesetz nicht. Lediglich der Prozess zur Änderung des Namens und des Geschlechtseintrags ist nun stark vereinfacht und erlegt nicht-binären und trans* Personen nun nicht mehr fremdbestimmte und menschenrechtsverletzende Kriterien auf, die mitunter sogar in die körperliche Unversehrtheit eingriffen.

Transfeindliche Erzählungen gegen das Selbstbestimmungsgesetz

Doch so sehen das nicht alle: Das Gesetz schaffe keine übergriffige Praxis ab, sondern bedrohe Kinder und (cis) Frauen, so die Sicht der Gegner*innen. Queerfeindliche Akteur*innen behaupten beispielsweise, dass Kinder zu trans*geschlechtlichen Identitäten ‚umerzogen‘ sowie medizinischen Transitionen gedrängt würden. Oder dass Menschen ihren Geschlechtseintrag nun willkürlich ändern und in (Frauen-) Schutzräume eindringen würden. Um die angebliche Gefährdung von (cis) Frauen abzuwenden, mobilisieren rechtsextreme Akteur*innen und transfeindliche Feminist*innen. Dabei wurde in einer Meinungsforschungs-Studie von 2022 deutlich, dass die Gegnerschaft gegenüber trans*-inklusiven Politiken enger mit transfeindlichen Einstellungen zusammenhängt, als mit Kritik an geschlechterspezifischer Gewalt gegen cis Frauen.

Die Gegner*innen des Selbstbestimmungsgesetzes zeichnen in klassisch trans*-misogyner Manier das Feindbild der trans* Frau, die in Wirklichkeit ein männlicher Sexualstraftäter sei, und sprechen nicht-binären und trans* Menschen ihre Existenz ab. Die so künstlich erschaffenen Ängste und fabrizierten Horrorszenarien dienen lediglich dazu, die Debatte transfeindlich zu verzerren. Bereits während des Gesetzgebungsverfahrens wurden queer- und insbesondere transfeindliche Erzählungen durch Desinformation verbreitet, um die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes zu verhindern, wie die Deutsche Welle analysierte.

Wer mobilisiert eigentlich?

Auch wenn das Selbstbestimmungsgesetz längst beschlossen ist, mobilisieren transfeindliche Frauengruppen und Magazine weiter und rufen zum Protest auf: Dramatisch wurde am 01. November 2024 um 12:05 Uhr (weil es eben nicht mehr fünf vor zwölf sei) von der Initiative „Lasst Frauen Sprechen!“ im Regierungsviertel demonstriert. Als eine der Rednerinnen wurde die irische Journalistin und transfeindliche Feministin Helen Joyce eingeladen. In ihrem Buch „Trans*: When Ideology Meets Reality“ schreibt sie u.a. davon, dass die „globale trans Agenda“ von einigen wenigen wohlhabenden Menschen geformt würde, wobei sie nur jüdische Personen benennt – und verbreitet damit eine an antisemitische Muster anknüpfende Verschwörungserzählung. In ihrem transfeindlichen Aktivismus bezieht sie sich auch auf die US-Amerikanerin Jenifer Bilek, die noch expliziter an antisemitische Logiken anknüpft und immer wieder für rechtspopulistische und verschwörungsideologische Magazine schreibt.

Joyce instrumentalisiert insbesondere die Themenfelder Sport beziehungsweise sportliche Wettkämpfe und Kinderschutz (gerade im Hinblick auf das Thema Hormonblocker) ganz bewusst, da bei diesen Themen die meisten Personen an transfeindliche Positionen anknüpfen könnten, auch wenn sie sonst persönliche Verbindungen mit und Sympathien für trans* Personen hätten. Bei einer Konferenz entwirft sie Eckpunkte für ein organisiertes Vorgehen, um die Gesellschaft gegen trans* Personen zu radikalisieren, Transitionen langfristig unmöglich zu machen und „a total end to the trans child” („ein totales Ende des Trans-Kindes“) zu erwirken.

Es war die Konferenz von Genspect, einer Organisation, die für Konversionsbehandlungen von trans* Personen lobbiiert. In Deutschland sind sogenannte Konversionstherapien, also Behandlungen, die darauf ausgelegt sind, die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität einer Person zu verändern, verboten und sogar das Bewerben solcher Behandlungen ist strafbar. Aus gutem Grund: Queere Menschen existieren und es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass der Versuch der Veränderung von sexueller und/oder geschlechtlicher Identität in sogenannten Konversionsbehandlungen bei Kindern wie auch Erwachsenen häufig zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen wie Depressionen, Angsterkrankungen, Unterdrückung sexueller Bedürfnisse und einem erhöhten Suizidrisiko führt.

Mit Helen Joyce wurde also eine Person eingeladen, deren erklärtes Ziel der komplette Ausschluss von trans* Personen aus Gesellschaft und Gesundheitsversorgung ist, und die in ihrer Argumentation wiederholt an Verschwörungserzählungen nach antisemitischem Muster anknüpft. Das macht den argumentativen Kern der Mobilisierungen gegen das Selbstbestimmungsgesetz greifbar: Angriffe auf die Menschenrechte von trans* Personen  – unter dem strategisch gewählten Deckmantel von angeblichem Kinderschutz und Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt gegen cis Frauen.

Und es zeigt, dass der Abstand von transfeindlichen Feminist*innen zu Verschwörungserzählungen nach antisemitischen Mustern, sowie die Abgrenzung nach rechts Außen verschwimmt: Auch Hans-Georg Maaßen, ehemals Chef des Bundesverfassungsschutzes, und weitere Politiker*innen der WerteUnion, Vertreter*innen der vielfalts-feindlichen „Demo für alle“ und das rechtspopulistische Medienportal NIUS waren bei der Demonstration am Freitag in Berlin vor Ort und auch die AfD mobilisiert mit ähnlichen Erzählungen konstant gegen das Selbstbestimmungsgesetz. Über Queer- und Transfeindlichkeit entsteht Anknüpfungspotential zwischen rechtskonservativen, rechtspopulistischen sowie rechtsextremen Kräften und transfeindlichen Feminist*innen.

Doch trotz der Mobilisierungsversuche trat das Selbstbestimmungsgesetz am 01. November in Kraft und seit dem 04. November können die ersten Erklärungen abgegeben werden. Wer sich über das Gesetz informieren möchte, ohne Gefahr zu laufen, transfeindlicher Hetze zu begegnen, kann dies auf sbgg.info tun.

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