Es gibt kaum einen effektiveren Weg, das deutsche Gemüt so richtig zu erhitzen, als eine Debatte ums Tempolimit zu beginnen. Oder in den Raum zu werfen, den Straßenverkehr doch etwas fahrradfreundlicher zu gestalten, oder zu fordern, mehr Gelder in den Ausbau des ÖPNV statt in den Individualverkehr zu investieren. Auch auf den Zusammenhang zwischen fossilen Brennstoffen, der Automobilindustrie und dem menschengemachten Klimawandel hinzuweisen, ist inzwischen ein verbreiteter Erregungsmoment. Der kurze Blick in Kommentarspalten unter Zeitungsartikeln, in Telegram-Gruppen, auf der ehemals als Twitter bekannten Plattform „X“ zeigt: Viele Menschen haben in diesen Echokammern für Geltungssüchtige inzwischen jegliche Fähigkeit zur Mäßigung verloren, wenn es um den Umgang mit Klimaaktivist*innen geht. Es sind nicht nur die unter Klarnamen veröffentlichten Gewaltfantasien in den Sozialen Medien. Es sind körperliche Angriffe auf der Straße. Es ist das Befürworten von absolut unverhältnismäßigen Polizeimaßnahmen wie Schmerzgriffen, oder Haftstrafen, die jene von gewalttätigen Neonazis übertreffen. Klimaschützer*innen, vor allem die Aktivist*innen der „Letzten Generation“, sind momentan der deutsche Staatsfeind Nummer Eins. Die Polizeirepressionen gehen sogar so weit, dass Deutschland von Amnesty International inzwischen erstmals als Land aufgeführt wird, in dem das Ausüben von Protestfreiheit erschwert wird. Grund hierfür ist die in Bayern eingesetzte Präventivhaft für Klimaaktivist*innen im Rahmen der Proteste gegen die Automesse IAA in München.
Hass auf Klimaschützer*innen als Ausdruck der autoritären Persönlichkeit
Der Hass gegen Klimaaktivist*innen zieht sich durch ein breites gesellschaftliches Spektrum von einer bürgerlichen Mitte und deren Parteien (Union, FDP) über das rechtspopulistische Spektrum zwischen Boulevardmedien bis zur AfD, nimmt auch, das wissenschaftsfeindliche-verschwörungsideologische Umgeld mit, etwa Überreste der „Querdenken“-Bewegung, und wird gepflegt bis hin zur extremen Rechten. Dies bedeutet, dass der Hass auf Klimaschützer*innen als Radikalisierungsmoment nach Rechtsaußen fungieren kann. Ihm ist der Autoritarismus inhärent: sei es die Entmündigung junger Aktivist*innen, der Wunsch nach der rücksichtslosen Verteidigung des „Rechts aufs Autofahren“, der häufig in einer infantilen Trotzreaktion sich artikuliert, ein daraus resultierendes, projektives Verfolgungsgefühl, über Petromaskulinität bis hin zu Wissenschaftsfeindlichkeit, Verschwörungsdenken und Gewaltverherrlichung.
Wie die Autorin Anna Rabe in dem sehr lesenswerten Text „Die Unfähigkeit zu bremsen. Über eine deutsche Obsession“ analysiert, ist das deutsche Verhältnis zum Auto ausgesprochen projektiv und affektiv aufgeladen. Seit Beginn der Republik, so Rabe, wird der Individualverkehr mit Freiheit, Wohlstand und dem Wirtschaftswunder assoziiert und steht damit für ein vermeintlich neues, von der Schuld des Nationalsozialismus befreites Nationalgefühl: „Die Liebe des Volkes neu entflammen lässt jetzt – und das ist jetzt meine These – das Symbol des Wirtschaftswunders schlechthin: das Auto. Die Objektlibido ist vom Führer zum Auto gewandert. Die Befriedigung unserer narzisstischen Libido erlaubt es uns, weiter „zu funktionieren“ und nicht in einer den Selbstwert zerstörenden Melancholie zu versinken. Man hat es „satt“ sich an die Vergangenheit erinnern zu lassen. Das Gedenken an die Shoah gleicht, nicht an allen, aber doch an auffällig vielen Stellen einer Inszenierung, die der Soziologe Michal Bodemann als „deutsches Gedächtnistheater“ bezeichnet hat.“
Nach uns die Sintflut
Individualverkehr gilt nach wie vor vielen Deutschen als Ausdruck von Freiheit und Individualität – und ist somit ein Beispiel für den ausgesprochen verkürzten und individualisierten Freiheitsbegriff der Deutschen, zumindest derjenigen, die lieber stundenlang im Stau stehen, als sich dazu herablassen, sich mit anderen Menschen ein Zugabteil oder einen Bus zu teilen.
Wie die Autor*innen Oliver Nachtwey und Caroline Amlinger in ihrem 2022 erschienenen und viel beachteten Buch „Gekränkte Freiheit – Aspekte des autoritären Liberalismus“ ausführen, empfinden Individuen, die dem autoritären Liberalismus anhängen, die simple Forderung nach gesellschaftlicher Solidarität als Einschränkung, die sie bis hin zur Kränkung auffassen. Ihre Vorstellung von „Freiheit“ ist nicht an einen geteilten gesellschaftlichen Zustand gekoppelt, sondern an einen „individuellen Besitzstand“. Dieser von Amlinger und Nachtwey beschriebene, an den autoritären Charakter der kritischen Theorie angelehnte Persönlichkeitstypus begreift seine – durch Konsum und Besitz definierte – Souveränität geradezu permanent bedroht: von „kulturellen Eliten“, staatlichen Interventionen, und eben auch Klimaprotestierenden. Freiheit, das bedeutet: Das Gaspedal durchdrücken und mit 200 Sachen über die Autobahn heizen können, alles andere sei mindestens Stalinismus. Alleine schon der Vorschlag, dass es vielleicht besser wäre für die Gesellschaft, etwas häufiger Zug zu fahren, wird hier als „Bevormundung“ begriffen, weil: Ein echter Liberaler will sich ja nichts sagen lassen, vor allem nicht von zwanzigjährigen Straßenbesetzer*innen.
Erschwerend kommt hinzu, dass im Kapitalismus für viele Menschen Konsum – und damit auch die Weise, wie und was konsumiert wird – als Ausdruck von Persönlichkeit gilt. Dies kann gerade bei Ich-schwachen Personen zu einer Überidentifikation mit dem Konsumgut führen, vor allem, wenn dieses ideologisch derart aufgeladen ist wie das Auto. Hierbei spielen Aspekte wie Klasse und Geschlecht eine nicht zu unterschätzende Rolle: Das Auto dient als Statussymbol, um den eigenen Reichtum zu unterstreichen, oder als phallisches Symbol zum Beweis der eigenen Männlichkeit.
Für letzteres hat die Politikwissenschaftlerin Cara New Daggett den Begriff der „Petromaskulinität“ entwickelt. In ihrem Essay „Petromaskulinität – Fossile Energieträger und autoritäres Begehren“ (in deutscher Übersetzung bei Matthes & Seitz erschienen) analysiert Daggett den Zusammenhang von Verbrennungsmotoren und Männlichkeitsperformance. Während große und schnelle Autos die Aufgabe haben, die eigene Männlichkeit zu unterstützen oder unter Beweis zu stellen, wird Umweltschutz als unmännliche Angelegenheit verlacht.
Außerdem sind Individualverkehr und die Automobilindustrie Sinnbilder eines deutschen Wohlstands, sowohl auf gesellschaftlicher, als auch individueller Ebene. Wohlstand bedeutet auch immer: Sicherheit. Dass Klimaaktivist*innen beharrlich darauf aufmerksam machen, dass dieser vermeintlich selbstverständliche Wohlstand erstens auf einem systematischen und kolonialistischen Raubbau am Planeten Erde aufgebaut ist und zweitens durch den Klimakollaps bald so nicht mehr gegeben ist, evoziert negative Gefühle wie Schuld und Angst. Diese werden jedoch direkt abgewehrt. Letztendlich wird durch die starke Identifikation mit dem Symbol „Auto“ jede Kritik am Individualverkehr auch als Kritik am eigenen Lebensstil aufgefasst, und demzufolge mit Kränkung und Wut reagiert. Stellenweise ist die Reaktion jedoch direkt infantiler Trotz: in Facebookgruppen, deren einziger Sinn und Zweck das Zelebrieren von Benzinschleudern ist, posten User*innen (die meisten sind Männer) Bilder ihrer Verbrenner und ihren kompletten Unwillen, auch nur fünf Millimeter über den eigenen Tellerrand hinauszudenken: „Jetzt kaufe ich erst recht ein in Anschaffung und Erhalt so gut wie unbezahlbares Auto, das niemand, der nicht täglich eine achtköpfige Familie transportieren muss wirklich braucht – nur aus Trotzverhalten gegen die „Letzte Generation“.
Entmündigung von Klimaaktivist*innen
Um die eigene Position vor sich selbst zu rechtfertigen, muss die der Kritiker*innen delegitimiert werden. Dies beginnt bei Diskriminierung aufgrund des jungen Alters von Klimaaktivist*innen. Dabei bleibt es jedoch nicht: Es endet in Dehumanisierung, digitaler und konkreter Gewalt. Ebenfalls besonders häufig finden sich Ableismus und Pathologisierung: die jungen Aktivist*innen seien allesamt paranoid oder gleich verrückt. Gerade im Fall von Greta Thunberg wird auch immer wieder Thunbergs Autismus bedient – als ob Menschen, die sich auf dem Spektrum befinden, keine politisch fundierte Position vertreten können. Das Alter der Aktivist*innen wird auch häufig herangezogen, um zu behaupten, sie seien „von einer Klimasekte indoktriniert“. Dies soll suggerieren, dass Klimaschützer*innen nicht aus intrinsischer Motivation heraus handeln, sondern eigentlich nur Bauern in einer größer angelegten Kampagne seien. Sie müssen also gar nicht ernst genommen werden! Auch sprechen die Gegner*innen der „Letzten Generation“ den Aktivist*innen ab, tatsächlich Schmerzen zu empfinden, wenn sie von Polizeibeamt*innen abgeführt werden: sie würden ja nur schauspielern. Dies ignoriert, dass die von der Polizei eingesetzten Schmerzgriffe spezifisch daraus ausgelegt sind, bei den Opfern größtmögliches körperliches Leid zu verursachen. Zahlreiche Videos belegen, dass Beamt*innen im Umgang mit der „Letzten Generation“ mit einer besonderen Brutalität vorgehen.
In privaten Facebookgruppen oder auf Telegram werden Klimaschützer*innen jedoch nicht bloß als „verrückte Kinder“ abgetan, sondern ganz konkret dehumanisiert. Bereits im Rahmen der „Fridays for Future“-Proteste galten an der Kofferraumtür befestigte Zöpfe oder Heckscheibenaufkleber mit Slogans wie „Fuck Greta“ unter Autoboomern als der letzte Schrei. Eine Nummer ekliger wurde es dann mit Vergewaltigungs-„Witzen“, die eine Thunberg nachempfundene Frau zeigten, die von einem Mann an den Zöpfen festgehalten und penetriert wurde. Generell wird gerade Aktivistinnen regelmäßig mit misogyner Verachtung begegnet. Wenig überraschend sind Menschen, die regelmäßig gewalttätige Polizist*innen oder handgreifliche Autofahrer als Ikonen des Widerstands gegen die „Klimadiktatur“ feiern, mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit generell eher weniger Probleme haben. In einem besonders drastischen Beispiel haben Mitglieder einer Telegramgruppe eine transgeschlechtliche Aktivistin aus einem Video identifiziert, herausgefunden, dass sie in der Sexarbeit tätig ist und anschließend in der Gruppe gedoxxt.
Vom Autofetisch in den Verschwörungsglauben
Die Abwehr gegenüber der wissenschaftlich fundierten Kritik der Aktivist*innen wird mit Klimawandelleugnung, Wissenschaftsfeindlichkeit und letztendlich verschwörungsideologischem Denken abgewehrt. Die Behauptung, Klimaaktivist*innen würden „indoktriniert“ werden, mündet nicht selten in Verschwörungsnarrativen: wer indoktriniert denn, wenn nicht die üblichen Verdächtigen wie Georg Soros oder das World Economic Forum?
Gerade im Rahmen der Corona-Pandemie hat sich eine im Kern radikalisierte, autoritäre Masse gebildet, deren permanent loderndes Wutpotential über „Szene-Mobilisator*innen“ jederzeit zu einem Flächenbrand angefacht werden kann. Sie sind ausgesprochen empfänglich für als „Geheimwissen“ verkaufte Desinformation, die großflächig im Internet aufzufinden ist. Sei es auf von rechten Millionären finanzierten großen Medienportalen wie „Auf1“ oder „NIUS“, die verschwörungsideologisches Gedankengut durch Verharmlosung mainstreamtauglich zu machen, seien es etablierte Querdenken-Kanäle wie bittel.tv oder LION Media TV – Skepsis über den menschengemachten Klimwandel zu schüren, ist der letzte Schrei in der antidemokratischen Szene. Dies endet regelmäßig im obskuren Rand von Verschwörungsideologien: So erklärt etwa der in Telegram-Kanal „Wetteradler – Klima Umwelt Technologie“ seinen über 136.000 Abonennt*innen, dass die eigentliche Ursache für Dürre, Überschwemmungen und andere Klimakatastrophen in dem Forschungsprogramm HAARP, Chemtrails und „Geo-Engineering“ lägen.
Wer Autos nicht liebt, soll deutshe Strassen verlassen
Der Hass auf Klimaschützer*innen eint also reaktionäre Kräfte von der bürgerlichen Mitte bis an den rechten Rand. Es ist in Deutschland kein undenkbares Szenario, dass sich dereinst FDP, Unionsparteien, die Freien Wähler und die AfD i zu einer Autokoalition zusammenschließen könnten. Sie alle inszenieren sich mit markigen Sprüchen und Klientelpolitik als „Parteien des Individualverkehrs“. Mit der Autoindustrie haben sie einen mächtigen Verbündeten an der Seite – erinnern wir uns an die Klüngelei zwischen Finanzminister Lindner und dem Vorstand des Porsche-Konzerns bei den Koalitionsverhandlungen 2022.
Die BILD-Zeitung, nach wie vor Zentralorgan der dauerempörten deutschen Volksseele, nutzt viele Redaktionssitzungen, um die Wutmaschine weiter anzukurbeln, und packt alarmierende Berichte über die Proteste immer wieder auf die Titelseite.
Sie alle, von der bürgerlichen Mitte bis an den rechten Rand, legitimieren die brutale Verachtung und Gewalt, der sich die Mitglieder der „Letzten Generation“ ausgesetzt sehen. Es ist bei der auf allen Kanälen betriebenen Hasskampagne geradezu verwunderlich, dass es noch nicht zu einem Mord an den Aktivist*innen gekommen ist. Tote werden regelmäßig in Kauf genommen werden, zum Beispiel als im Juli 2023 ein LKW-Fahrer einen jungen Mann mit dem Lastkraftzeug vor sich her schiebt. Die Gewalt, wenn sie von der Polizei kommt, ist Mittel staatlicher Repression, die Gewalt aus der Zivilbevölkerung ist Ausdruck des Wunsches, es den unbotmäßigen jungen Leuten mal so richtig zu zeigen, die es wagen, die kollektive Verdrängung über einen potenziellen Klimakollaps zu erschweren. Statt das Auto einmal stehenzulassen, die S-Bahn zu nehmen und so der Chance zu entgehen, wegen Klimaklaber*innen für zehn Minuten im Stau zu stecken, verherrlichen oder rechtfertigen einige deutsche Bürger*innen lieber Gewalt gegen friedliche Demonstrierende.
Doch beim „Auto stehenlassen“ kann es nicht bleiben – das Problem der Auto- und Ölindustrie ist strukturell. Es bedarf einer grundlegenden Verkehrswende: anstatt den Individualverkehr zu subventionieren und ohnehin bereits wohlhabende Bürger*innen Prämien beim Kauf von Elektroautos auszuschütten, braucht es einen besser finanzierten und strukturierten ÖPNV. Anstatt einer hofierten Autolobby braucht es Fahrradwege. Anstatt Autobahn-Raserei braucht es ein Tempolimit. Statt des Lamentierens über ländliche Regionen, in denen Menschen ja auf das Auto angewiesen seien, müssen diese an den Schienen- und Busverkehr angeschlossen werden. Die Verkehrswende ist – neben einer dringenden klima- und gesellschaftspolitischen Notwendigkeit – eigentlich auch im Sinne all jener, die sich momentan über die „Letzte Generation“ echauffieren: ist sie nämlich einmal erreicht, hören die Aktivist*innen auch auf, sich auf die Straße zu kleben.
Das Titelbild wird veröffentlicht unter der Lizenz CC BY-SA 4.0 Deed.