Schon der Name ist Orwell‘sch: „Truth Social“ – ein soziales Netzwerk, gegründet ausgerechnet von einem, der stets als Verkörperung von Desinformationen und „alternativen Fakten“ agierte, Donald J. Trump. Es erinnert am Ministry of Truth, oder „Minitrue“, in Orwells dystopischem Meisterwerk „1984“ – eine totalitäre Behörde, die Information manipuliert. Auf Trumps „Truth Social“ können User*innen „eine Wahrheit verfassen“ und sie mit einem Klick auf dem „Truth!“-Kopf als vermeintlichen Fakt in die Welt setzen. Wer einen „Truth“ teilen will, kann es „ReTruthen“ – als würde eine Behauptung durch ihre Repetition wahrer. Das passt aber zu einem Präsidenten, der immer wieder krudeste Thesen ad absurdum wiederholte, bis sein Publikum sie mantraartig zurück skandierte: „Fake news media“, „no collusion“, „witch hunt“!
Im Februar 2022 wurde „Truth Social“ von der „Trump Media & Technology Group“ gelauncht, am „President’s Day“ in den USA. Es dauerte Monate, bis technische Fehler behoben werden konnten. Bis April gab es noch eine lange Warteliste für neue Accounts. Derzeit ist die Plattform nur für Nutzer*innen in den USA verfügbar. Ein Twitter-Klon für den Ex-Präsidenten Donald Trump, der nach dem Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 in den letzten Tagen seiner Amtszeit vom Original gekickt wurde – bis dahin seine bevorzugte Kommunikationsplattform. Bereits ab 2020 begann Twitter, Trumps Tweets mit Fact-Check-Warnungen zu markieren. „Truth Social“ hingegen will nicht wegen „politischer Ideologie diskriminieren“, heißt es in eigenen Worten. Eine Plattform „gegen Zensur“ – und ein Krieg gegen „Big Tech“. Das Ergebnis ist, wenig überraschend, eine rechtsradikale Echokammer, in der Verschwörungsnarrative, QAnon-Hashtags und trumpistische Kampfparolen widerhallen.
Nach Erstellung eines Profils wird als allererstes Trumps Account zum Folgen vorgeschlagen, danach kommt der libertäre Metal-Country-Sänger Kid Rock, eine christlich-konservative Satire-Seite und der rechte Verschwörungsideologe Dinesh D’Souza. Auch Trumps Söhne Eric und Donald Jr. werden prominent empfohlen, doch seine Tochter Ivanka, die auf der Plattform bis auf ein paar Urlaubsfotos in Marokko kaum aktiv ist, fehlt auf der Liste. Hinzu kommen Seiten, die Trumps Kernwählerschaft ansprechen sollen, wie „Hot Chicks Golfing“, „Retro Firearms“, „Daily Bible Verses“ und „Car Porn“.
„Truth Social“ ist vor allem ein Sprachrohr der Trump-Familie. Doch zunächst war der Ex-Präsident nicht einmal aktiv auf seiner eigenen Plattform. Zum Launch im Februar 2022 veröffentlichte er seinen ersten „Truth“, der nächste folgte aber erst Ende April. Seitdem veröffentlicht Trump regelmäßiger Beiträge auf der Plattform. Laut der Nachrichtenagentur Reuters steht Trump unter einem Lizenzvertrag mit der „Trump Media & Technology Group“: Er muss „Truth Social“ als Hauptplattform benutzen und darf erst nach sechs Stunden einen Beitrag in einem anderen sozialen Netzwerk veröffentlichen.
An seinen Twitter-Erfolg konnte Trump allerdings bislang nicht anknüpfen. Bevor sein Account gelöscht wurde, hatte er dort mehr als 88 Millionen Follower. Auf seiner neuen Plattform folgen ihm lediglich 3,9 Millionen Nutzer*innen – nicht mal fünf Prozent seiner früheren Reichweite. 3,9 Millionen dürfte auch ungefähr die Gesamtzahl der Nutzer*innen auf der Plattform sein. Davon besuchen laut „Truth Social“ nur etwa 500.000 von ihnen die Plattform täglich. Für Trump sei „Truth Social“ dennoch ein Erfolg: In einem „Truth“ vom Ende August schreibt er, dass die „Fake News Media“ tief bestürzt sei, wie gut es „Truth Social“ gehe. Die Medien würden „auf Hochtouren“ arbeiten, die Plattform „zu kritisieren und verunglimpfen“. Einige der größten Namen in Washington kämpften „gegen die TRUTH“, so Trump.
Ein Thema insbesondere sticht auf „Truth Social“ heraus: die FBI-Razzia in Trumps Strandresidenz Mar-a-Lago im August 2022. Der ehemalige Präsident soll streng geheime Dokumente aus dem Weißen Haus entwendet haben – die unter anderem um Atomwaffen gehen sollen. Auf „Truth Social“ trenden derzeit drei Hashtags: #FBIcorruption, #DefundTheFBI und #Truth. Trump forderte in einem „Truth“ sogar die Rückgabe der Dokumente.
Die FBI-Durchsuchung war zumindest für Trumps Social-Media-Plattform ein Erfolg. Die App kletterte am Tag nach der Razzia von Platz 76 bis 15 in den Apple-Store-Rankings. Trump behauptet, „Truth Social“ sei „um 550 Prozent gestiegen“, ohne zu konkretisieren, was er damit genau meint. Memes, die das FBI zum Feindbild machen, zu unpatriotischen „Terroristen“ oder einer „kriminellen Bande“, haben Konjunktur. Manche User*innen warnen, die USA könnten zum kommunistischen Staat werden, wenn sie nicht zur Waffe greifen und kämpfen. „Die Beseitigung von gefährlichem Ungeziefer erfordert leider manchmal auch ein gewisses Maß an Gewalt“, schreibt einer. Andere Nutzer*innen behaupten, solche Gewaltaufrufe auf „Truth Social“ seien in Wirklichkeit vom FBI geschrieben worden, um „rechte Patrioten“ als Rechtsextreme zu brandmarken.
Diese aufgeheizte Stimmung mündete schon in reale Gewalt: Drei Tage nach der Durchsuchung in Mar-a-Lago wurde ein 42-Jähriger von Polizist*innen erschossen, nachdem er versucht hatte, schwer bewaffnet in ein FBI-Gebäude einzubrechen. Dabei hatte er ein halbautomatisches Gewehr vom Typ AR-15 sowie eine Nagelpistole. Auf „Truth Social“ soll ein Profil mit dem Namen des Täters „Patrioten“ dazu aufgerufen haben, FBI-Agenten zu töten und einen Bürgerkrieg anzustiften. Auch während des Angriffs soll der Täter die Tat auf „Truth Social“ kommentiert haben, wie die New York Times berichtet.
„Truth Social“ bietet auch weiteren Rechtsextremen eine Bühne. Nick Fuentes, ein rechtsextremer Livestreamer, der die „White Supremacy“ („weiße Vorherrschaft“) propagiert, hat einen verifizierten Account auf der Plattform. Fuentes’ Profile auf Twitter und Facebook wurden schon von den Unternehmen gelöscht. Auch die rechtsextreme Nachrichtenseite Breitbart ist auf „Truth Social“ aktiv. Diese Woche veröffentlichte Breitbart den Trailer für seinen ersten Spielfilm: „My Son Hunter“, ein Verschwörungsthriller über den Sohn des aktuellen Präsidenten Joe Biden.
Doch andere Figuren der extremen Rechten, die von den üblichen Social-Media-Plattformen bereits entfernt wurden, wie der KKK-Anführer David Duke, der ehemalige Breitbart-Redakteur Milo Yiannopoulos oder der Alt-Right-Stichwortgeber Richard Spencer, fehlen bislang auf „Truth Social“. Auch die rechtsextreme Schlägertruppe „Proud Boys“, die beim Sturm auf das Kapitol eine maßgebende Rolle spielte, ist dort kaum aktiv.
So konnte sich „Truth Social“ gegen andere rechte Plattformen wie „Parler“, „Gab“ oder „Gettr“ bislang nicht durchsetzen. Was bleibt, ist ein typisches Trump-Produkt wie seine kurzlebigen Vorgänger „Trump Steaks“ und „Trump Vodka“: eine billige Kopie, die zum Scheitern verurteilt ist.