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„Unabhängige in der Polizei“ Wenn Polizisten Aktivist:innen doxen und Journalist:innen drohen

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Die Polizei: Freund und Helfer oder Troll und Hater?
Die Polizei: Freund und Helfer oder Troll und Hater? (Quelle: Markus Spiske/Unsplash)

Polizisten, die wie rechte Twitter-Trolle auftreten, ein Berufsverband, der Aktivist:innen doxt und Journalist:innen bedroht, und Vorstandsmitglieder, die geschäftlichen Verbindungen zu Rechtsextremen haben: Der Verein „Unabhängige in der Polizei e.V.“ (UPol) steht aus vielen guten Gründen in der Kritik. Selbst die GdP, Deutschlands größte Polizeigewerkschaft, will sich von der UPol distanzieren: „Wir äußern uns sonst nicht zu Aktivitäten irgendwelcher Interessensvertretungen, aber der Account spricht weder für die @polizeiberlin noch die Kolleg.“, heißt es. Auf Twitter schreibt die Berliner Polizei, sie habe die Äußerungen der UPol gesichert und zur disziplinar- bzw. strafrechtlichen Prüfung an die zuständigen Stellen weitergegeben. In der Zwischenzeit versucht die UPol, ihre Kritiker:innen mit Anzeigen einzuschüchtern. Und sieht sich selber als Opfer.

Der jüngste Eskalation beginnt am 23. Mai: Die Aktivistin und Comedyautorin Jasmina Kuhnke, auf Social Media als Quattromilf oder @ebonyplusirony bekannt, teilt zwei Screenshots mit ihren knapp 100.000 Follower auf Twitter. Der erste ist ein Tweet des Users @Joern_privat – der Account von Jörn Badendick, dem stellvertretenden Vorsitzenden und Pressesprecher der UPol. Am 29. März schreibt Badendick: „Ich dachte, Jasmina Kuhnke aus Köln-Porz und ich werden mal richtig dicke Freunde“. Seit Jahren ist Kuhnke massiven Drohungen aus dem rechten Spektrum ausgesetzt: Sie wird angefeindet, beleidigt, mit Mord bedroht (vgl. Belltower.News). Im Februar 2021 wird die Privatadresse der vierfachen Mutter veröffentlicht. Kuhnke muss umziehen. Und Jörn Badendick gibt an zu wissen, in welchem Stadtteil sie wohne.

Erst drei Stunden nach Kuhnkes Tweet meldet sich die UPol zu Wort: „Sie haben bloß niemals in Köln-Porz gewohnt“, schreibt der Verband mit einem Zwinker-Smiley und einem Pinocchio-Gif. Haben Polizist:innen der UPol die inzwischen gesperrten privaten Daten von Jasmina Kuhnke abgerufen, nur um sie einzuschüchtern? Zumindest wollen die Betreiber des Twitter-Accounts offenbar suggerieren, sie wüssten, wo Kuhnke wohnt und wo nicht.

(Quelle: Twitter-Screenshot)

Der zweite Screenshot, den Kuhnke am 23. Mai teilt, ist ein Tweet von Mirko Prinz, er ist Vorsitzender der UPol. Am 31. März schreibter: „Die Mail von @ebonyplusirony an unseren Berufsverband kann nur Satire sein“. Damit meint er eine Email an den UPol, die Kuhnke am selben Tag geschrieben haben soll. Das behauptet die UPol zumindest mit einem Screenshot: Die Email fordert Jörn Badendick dazu auf, seinen Twitter-Account zu löschen – „oder ihr und eure Familien werdet von meinen Freunden richtig gefickt.“ Der oder die Verfasser:in behauptet, „über 50000 Antifaschist*innen auf meiner Seite“ zu haben, die die privaten Anschriften von Polizist:innen im Verein herausfinden könnten. „Es wäre doch schade wenn Dinge auf einmal in Flammen aufgehen würden, oder?“ Im Screenshot ist der Absender angeben, eine GMX-Adresse, die nach Belltower.News-Informationen Kuhnke nicht gehört. Weder Inhalt, noch Stil oder Orthografie machen plausibel, dass Kuhnke die Mail geschrieben haben könnte.

Kuhnke dementiert, die Email geschrieben zu haben. Inzwischen gibt die UPol selber zu, dass es „allenfalls fraglich“ sei, „wer sich hinter dem Absender verbirgt“. Der Berufsverband behauptet, die Email sei über das Kontaktformular auf der Webseite verschickt worden. Ein solches Kontaktformular ist allerdings nur wenige Monate später nicht mehr auf der Website zu finden. Die UPol schreibt selbst auf Twitter, dass sie an die Adresse zurückgeschrieben hätte und eine „Negativmeldung“ bekommen hätte. Doch das hält den Verein nicht davon ab, die Screenshots weiterhin zu teilen und Stimmung gegen Kuhnke zu machen. Denn die UPol sieht sich selbst als Opfer einer Hasskampagne.

Anzeige wegen Kritik

Es sind Vorfälle wie diese, die in den sozialen Medien für Empörung sorgen. Zu den Kritiker:innen des UPol-Verhaltens zählt Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des Europaparlaments. Sie solidarisiert sich auf Twitter mit Jasmina Kuhnke und fordert eine Untersuchung von der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport: „Nach den massiven Bedrohungen gegen @ebonyplusirony und daraus folgendem Zwangsumzug behaupten @UPol_eV zu wissen, wo sie (nicht) gewohnt hat – noch dazu in indiskutabler Art und Weise“, twittert die Politikerin. Die Gegenreaktion erfolgte prompt: Die UPol wirft Barley vor, falsche Tatsachenbehauptungen zu verbreiten – und zeigte sie wegen Verleumdung und falsche Verdächtigung an.

Das bestreitet Katarina Barley vehement: „Das habe ich gar nicht getan. Ich habe nur hinterfragt, woher sie mit hundertprozentiger Sicherheit sagen können, dass Jasmina Kuhnke nie in Köln-Porz gewohnt hat“, sagt Barley gegenüber Belltower.News. „Mit welchem Recht dürften Polizeibeamte so etwas öffentlich machen? Das ist alles sehr dubios.“ Der Anzeige sehe die ehemalige Bundesjustizministerin gelassen entgegen. Barley fordert aber Konsequenzen für UPol: „Das Treiben dieses Vereins muss untersucht werden. Haben sie durch Zugriff auf Polizeicomputer oder durch Veröffentlichung persönlicher Daten Persönlichkeitsrechte verletzt? Haben sie Menschen bedroht oder gemobbt?“ Die Antworten auf diese Fragen könnten sowohl dienst- als auch strafrechtliche Folgen haben, so Barley. „Und schließlich erwarte ich, dass die Menschen, die sich Bedrohungen ausgesetzt sehen, wirkungsvoll geschützt werden.“ Als Bundesjustizministerin hatte Barley das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verteidigt, das gegen Hass und Hetze im Internet geschaffen wurde.

Die UPol wurde laut eigenen Angaben 2016 vom Kriminalhauptkommissar Mirko Prinz in Berlin gegründet. Der Verband sollte eine Personalvertretung sein, eine Alternative zu den größeren Gewerkschaften GdP und DPolG. Mittlerweile gibt es Landesverbände der UPol auch in Bremen, NRW und Hessen. Wie viele Polizist:innen Mitglied im Verein sind, ist nicht öffentlich bekannt. Zwischen 2016 und 2020 hatte die UPol mit 25 Prozent der Stimmen unter Beamt:innen und sogar 41 Prozent unter Tarifangestellten den Vorsitz im Gesamtpersonalrat der Berliner Polizei inne, in einer Allianz mit dem Bund Deutscher Kriminalbeamter und der DPolG unter dem rechten Hardliner Bodo Pfalzgraf, um die jahrzehntelange Vormachtstellung der beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisierten GdP zu brechen (vgl. Belltower.News). Doch inzwischen koalieren die Erzfeinde GdP und DPolG wieder miteinander.

Aktiv ist die UPol vor allem auf Twitter: Hinter den Accounts @UpolBund mit rund 400 Follower und @UPol_eV mit über 2.600 Follower steht offenbar der vierköpfige Vorstand des Vereins. Doch wer genau welchen Tweet verfasst hat, das bleibt ein Dienstgeheimnis – und gehört offenbar zur Strategie der UPol. Sie nutzen die Anonymität ihrer Accounts aus, um bei Fehlverhalten nicht eindeutig identifizierbar zu sein. Auch Katarina Barley fragte beide Accounts mehrmals, wer genau für die Tweets verantwortlich ist – vergeblich.

Trolle im Dienst

„Wer hinter den unterschiedlichen Twitter-Accounts dieses Vereins steckt, weiß man nicht“, sagt der Journalist Stephan Anpalagan im Gespräch mit Belltower.News. „Das wiederum hat System“. Anpalagan weiß aus erster Hand, wie die UPol mit vermeintlichen Gegner:innen und Kritiker:innen umgeht: mit Einschüchterung. UPol-Pressesprecher Jörn Badendick versuchte mit seinem privaten Account, den Hashtag „#HaltDieFresseStephan“ auf Twitter zu initiieren – größtenteils erfolglos. „Zudem wurde mir auch mehr oder weniger offen gedroht, mehrfach wollten die Herrschaften gegen meine Berichterstattung vorgehen“, so Anpalagan.

Mitglieder der UPol hätten regelmäßig versucht, seine Arbeit und die anderer Journalist:innen zu diskreditieren. Während einer Debatte über das Ansehen der Polizei bezeichnete Badendick seine Arbeit als den „üblichen Anpalagan-Müll“. An einer anderen Stelle heißt es von Badendick, Anpalagan würde sein Geld damit verdienen, dass er „auf Benachteiligung mache“ – offenbar in Bezug auf die tamilische Herkunft seiner Eltern. Anpalagan ist besorgt: „Die Rede ist hier von Polizisten, mit besonderen Treuepflichten gegenüber unserem Staat, die einen Amtseid auf unsere Verfassung geleistet haben, die bewaffnet sind und denen besondere Befugnisse verliehen wurden“.

Es ist nicht das erste Mal, dass die UPol mit Kritik konfrontiert wird: Im April 2021 bedroht Jörn Badendick mit seinem privaten Konto eine Journalistin auf Twitter: „Juristisch eine der wenigen Fälle, wo eine geäußerte Meinung mit nem Kinnhaken beantwortet werden darf“ (sic), schreibt er und postet ein Box-Gif, auf dem ein Mann ins Gesicht geschlagen wird. Der Auslöser: Die Journalistin, Kim Winkler, hatte ihn darauf hingewiesn, dass es pietätslos sei, wenn Berliner Polizisten auf einer Demonstration während einer Pandemie ausgerechnet im Sensenmann-Kostüm und mit Särgen auftreten. Anlass war die „Schießstandaffäre“, bei der Polizist:innen auf schadstoffbelasteten Schießständen trainierten – einige von ihnen erkrankten später und verstarben. Badendick bezeichnete Winkler als „Widerling“. Auch damals heißt es, dass die Berliner Polizei von den Äußerungen wisse und zur disziplinar- bzw. strafrechtlichen Prüfung an die jeweils zuständigen Stellen gegeben habe.

Oder 2019: Die UPol beschwert sich, dass an Polizeigebäuden Regenbogenfahnen anlässlich des queeren Christopher Street Days gehisst werden. Der Verein sieht darin einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot der Behörde (vgl. Watson). Die klare Antwort der Polizei: Die Regenbogenflagge sei „ein Bekenntnis zu Werten wie Respekt, Mitmenschlichkeit, Gleichberechtigung und Toleranz schließt Neutralität nicht aus“ – Begriffe, mit denen die UPol offenbar ein Problem hat.

Auch 2019 vergleicht die UPol auf Twitter mögliche Identifikationsnummer für Polizist:innen mit gelben „Judensternen“ auf Armbinden im Nationalsozialismus. Die UPol teilt 2020 auch den Tweet eines rechtsextremen QAnon-Accounts, der antisemitische Verschwörungsmythen verbreitet und gegen „Black Lives Matter“-Demonstrierende hetzt. Das kritisiert der Journalist Henrik Merker. Die Reaktion der UPol: Merker soll von „weiteren Verunglimpfungen Abstand nehmen“.

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Rechtsextreme Freunde

Dass die UPol rechtsoffene Positionen vertritt ist wenig verwunderlich, blickt man genauer auf die Personen im Vorstand des Vereins: Marco Ottomann, Schatzmeister des Vereins, soll laut dem Portal „BetriebListing.de“ Betreiber der East-Group-Germany GbR sein, die die Website McPaintball.de betreibt. Laut seinem Xing-Profil ist Ottomann seit Januar 2007 dort „Sales & Finance Manager“. Mindestens bis 2011 war Ottomann als Geschäftsführer des Unternehmens im Impressum genannt, wie eine archivierte Version der Webseite belegt.

Brisant ist, dass Ottomanns Mitunternehmer Andreas T. ist, ein Ex-Polizist, der 2017 aus dem Dienst entlassen wurde (vgl. Süddeutsche Zeitung). Mindestens bis 2009 stand T. ebenfalls im Impressum von McPaintball.de. Auch ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts aus dem Jahr 2013 gegen ihn belegt, dass er zu dem Zeitpunkt noch Geschäftsführer der Firma war. T. ist mit Runen, Wolfsangel und den Noten des Horst-Wessel-Liedes tätowiert, hat den Hitlergruß gezeigt und bewahrte NS-Devotionalien in seiner Wohnung auf. Das Land Berlin wertete das als Verletzung der Treuepflicht und erhob Disziplinarklage. Das Bundesverwaltungsgericht gab der Klage statt. T. gilt in der Neonazi-Szene als bestens vernetzt.

Was aus den verschiedenen disziplinar- bzw. strafrechtlichen Prüfungen bei der Berliner Polizei wird, bleibt noch unklar. Zu Einzelpersonen beim Verein UPol will die Behörde aus persönlichkeits- und datenschutzrechtlichen Gründen nicht äußern.

Eine Anfrage von Belltower.News an die UPol mit einem ausführlichen Fragenkatalog zu den Vorwürfen und die Bitte um eine Stellungnahme ließ der Verband unbeantwortet. Ohne die Deckung eines anonymen Twitter-Accounts hat die UPol anscheinend weniger Redebedarf. Doch der jüngste Shitstorm hatte bereits zumindest eine Folge: Der Account @Joern_privat ist inzwischen deaktiviert worden.

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