Belltower.News: Ihr Buch „On Fascism“ wurde 2020 kurz vor der letzten Präsidentschaftswahl veröffentlicht. Was hat sich in den vier Jahren seither geändert?
MacWilliams: Es ist alles noch schlimmer geworden. Die Zahl der autoritär eingestellten Menschen in Amerika ist nicht kleiner geworden und die Unterstützung für Trump ist sogar noch gestiegen, was nicht zuletzt an der zersetzenden Wirkung des Trumpismus selbst liegt. Was sich jedoch geändert hat, ist die Republikanische Partei. Trump ist heute umringt von Jasagern, die ihm gegenüber nicht länger nur loyal sind, sondern die aktiv versuchen, es ihm in allen Belangen rechtzumachen. Der 6. Januar 2021 war hier eine Art Wendepunkt.
Was wir heute haben, sind vier weitere Jahre „the Big Lie“, vier weitere Jahre Gaslighting und Angstmacherei, vier weitere Jahre eines schleichenden Verfalls der demokratischen Institutionen. Diejenigen Republikaner, die Widerstand gegen Trump geleistet haben, wurden weitgehend aus dem Kongress vertrieben. Gerichte wurden mit Trump loyalen Richter*innen besetzt und der Supreme Court hat ihm weitgehende Immunität bescheinigt.
Auch die Vierte Gewalt, also die Presse, kommt nicht länger ihrer Aufgabe nach. Fox News und One America Network (OAN) bewerben sich aktiv darum, so etwas wie ein staatlicher Rundfunk für eine mögliche Trump-Regierung zu werden, und das Wall Street Journal, das eigentlich konservative Wirtschaftsinteressen vertreten sollte, steht ihnen kaum nach. Sie bilden eine Art Echokammer für Desinformation.
Jetzt will auch die Washington Post keine Wahlempfehlung für Harris abgeben, weil sie Jeff Bezos gehört, dessen Raumfahrtunternehmen Blue Origin in direkter Konkurrenz zu Elon Musks SpaceX steht und er befürchtet, durch dessen Nähe zu Trump keine Regierungsaufträge mehr zu bekommen, sollte Trump gewinnen.
Gibt es auch Bereiche des Staates, die bislang noch standhalten?
Die einzige Institution, die noch nicht korrumpiert zu sein scheint, ist das Militär. Die Frage lautet daher: Was wird das Militär machen, wenn Trump es gegen seine politischen Gegner*innen im Innern einsetzen will, wie er mehrfach angekündigt hat? Wenn er Liz Cheney wirklich vor ein Erschießungskommando stellen will?
Die Angehörigen des Militärs legen einen Eid auf die Verfassung ab, nicht auf den Präsidenten. Trump will aber ein Militär, das ihm persönlich verpflichtet und hörig ist. Es könnte zu einer Situation wie in Deutschland 1934 kommen, als die Reichswehr zwischen Reich und Führer wählen musste und sich für Hitler entschieden hat. Wie wird das US-Militär entscheiden, wenn es vor der gleichen Frage steht?
Hoffen wir, dass es gar nicht erst dazu kommt. Aber schauen wir noch einmal zurück. In Ihrem Buch beschreiben sie zwölf Lehrstunden aus der amerikanischen Geschichte. War der 6. Januar die 13. Lehrstunde?
Ganz genau. Und diese Wahl wird die 14. sein. Als mein Buch herauskam und kurz danach Joe Biden die Wahl gewann, meinten viele Menschen zu mir, wir hätten ja jetzt gewonnen. Ich antwortete dann stets, dass das erst die erste von drei Runden war und wir müssen alle drei gewinnen. Die zweite Runde ist jetzt und die dritte kommt 2028.
Was passiert, wenn Trump diese zweite Runde gewinnt, und was, wenn er verliert?
Egal wer gewinnt, wir werden in eine Verfassungskrise stürzen. Am Dienstagabend, spätestens um 23 Uhr Washingtoner Zeit wird Trump sich zum Wahlsieger ausrufen, völlig unabhängig davon, was der Stand der Auszählung sagt. Wenn Harris gewinnen sollte, folgen darauf 82 Tage, an denen Trump und seine Leute das Wahlergebnis systematisch in Zweifel ziehen und an einer Neuauflage der „Big Lie“ arbeiten. Vor allem werden sie dabei über die Gerichte gehen. Stichwort Lawfare.
Sollte es ihnen gelingen, dieses Mal die Zertifizierung des Ergebnisses zu verhindern, entscheidet das Repräsentantenhaus über die Präsidentschaft – und zwar nicht nach Sitzen, sondern nach Delegationen der Bundessstaaten. Da wo die Republikaner sicher eine Mehrheit hätten, wäre Trump Präsident. Die Demokraten könnten dann zwar noch vor den Supreme Court ziehen, aber das würde bei der aktuellen Zusammensetzung wohl auch nichts mehr bringen.
Sollte Trump tatsächlich gewinnen, wird er von den Menschen in entscheidenden Positionen Dinge verlangen, die in direkter Weise gegen die Verfassung verstoßen. Das wäre dann eine ganz andere Verfassungskrise…
Was passiert dann mit der Republikanischen Partei?
Wenn Trump gewinnt, wird sich MAGA in Parteiform institutionalisieren, allerdings nicht als klassische Partei, sondern als Bewegungspartei. Ich gehe davon aus, dass die Republikaner sich spalten werden in eine klassisch konservative Partei und in eine MAGA-Partei. In gewisser Weise würde sich damit wiederholen, was mit der Whig-Partei vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg passiert ist, die in die heutigen Republikaner und die nativistische American Party, die sogenannten Know Nothings, zerfallen ist. Letztere hat nicht lange überlebt. Ich denke, mit einer MAGA-Partei wäre es ähnlich. In gewisser Weise ist MAGA nichts anderes als Nativismus auf Steroiden.
Was passiert mit MAGA, wenn Trump abtritt – auf die eine oder andere Art und Weise? Ist ein Trumpismus ohne Trump denkbar?
Prinzipiell schon. Die Frage ist nur, wer Trumps Rolle ausfüllen und in seine Fußstapfen treten könnte. JD Vance hat nicht das Format. Ron DeSantis scheint auf viele Menschen abstoßend zu wirken. Elon Musk, wenn er denn wollte, wäre vielen zu weird. Eine Frau ist undenkbar, weil sie nicht dem Bild eines „starken Führers“ entspräche. Was es wirklich bräuchte, wäre eine Person, die ähnlich wie Trump, in der Lage ist, die Schwächen anderer instinktiv zu erkennen und dann erbarmungslos auszunutzen. Spontan fällt mir da nur Senator Josh Hawley aus Missouri ein. Oder vielleicht noch der ehemalige Fox-News-Moderator Tucker Carlson.
Wir haben jetzt viel über Innenpolitik gesprochen. Was würde ein Wahlsieg von Trump für den Rest der Welt und vor allem die Ukraine bedeuten?
Die Ukraine würde verschwinden. Moldau würde verschwinden. Zumindest als unabhängige Staaten würden sie aufhören zu existieren. Auch die NATO wäre am Ende. Ich befürchte auch, es könnte einen neuen Krieg geben, vielleicht im Baltikum, vielleicht in Taiwan.
Trumps unrealistische Pläne wie eine protektionistische Zollpolitik und massenhafte Deportationen werden für innenpolitischen Aufruhr sorgen. Mehr als das halbe Land ist schon jetzt gegen ihn. Ein Krieg könnte ihm da gerade gelegen kommen. Mit Außenpolitik von Innenpolitik abzulenken, hat ja auch in der Vergangenheit schon sehr oft sehr gut funktioniert.
Für den Rest der Welt hieße es, dass Außenpolitik mit den USA zu einer Art Tauschhandel, zu einem reinen Business werden würde. Was gut ist für Trump und seine Freunde, wird gemacht. Was nicht, das nicht.
Und wie sieht es mit dem Nahen Osten aus?
Ganz ehrlich? Der Nahe Osten ist Trump vollkommen egal. Er wird genau das machen, was seinen Geschäftsinteressen dient, und sonst gar nichts.
Also hat Kamala Harris recht, wenn sie Trump einen „petty tyrant“, einen kleinen Tyrannen nennt?
Absolut. Das heißt, eigentlich ist es untertrieben, aber in ihrer Position kann sie sich nicht klarer ausdrücken. Trump ist ein Verräter und hat einen Aufstand angezettelt.
Auch ein schlecht durchgeführter Staatsstreich ist ein Staatsstreich.
Genau. Von daher war es brillant, ihn mit George III. zu vergleichen, dem König, gegen den die Vereinigten Staaten ihre Unabhängigkeit erkämpft haben, und zu sagen: Wir haben so einen schon einmal besiegt und wir werden es wieder tun.
Vivek Ramaswamy, einer von Trumps Gegner*innen in den Primaries, sagte kürzlich in einem Interview mit der New York Times, Trumps innerer Kreis bestehe heute aus gänzlich anderen Leuten als noch 2016 oder 2020. Stimmt das?
Durchaus. Zu Beginn hat Trump noch auf vergleichsweise gemäßigte Republikaner wie etwa Chris Christie gehört, auf Menschen, die auf dem Boden der Verfassung stehen. Von denen ist keiner mehr übrig. Geblieben sind Menschen wie Stephen Miller, die die Verfassung über Bord werfen wollen. Die Menschen, die an Recht und Gesetz glauben, sind verschwunden. Übrig sind diejenigen, die glauben, sie seien das Gesetz.
Man hört auch viel von den Christlichen Nationalist*innen und der evangelikalen Rechten. Sehen Sie einen starken christlichen Einfluss in einer möglichen zweiten Trump-Regierung?
Nein. Trump selbst ist alles andere als ein Evangelikaler oder auch nur ein Christ. Er hat wahrscheinlich noch niemals eine Bibel aufgeschlagen, auch wenn er selbst jetzt welche verkauft – die übrigens in China hergestellt werden, aber das nur am Rande. Sie werden die Evangelikalen bei Laune halten. JD Vance hat schon das Thema Verhütung angesprochen und auch die anderen gegen Frauen gerichteten Politiken werden ihnen sicher gefallen. Aber selbst wirklich Einfluss ausüben werden sie nicht, nein.
Diese Themen können für die Republikaner aber auch zu einem Problem werden, oder? In Polen war es nicht zuletzt das Thema Abtreibung, das zur Abwahl der PiS geführt hat.
Mit Sicherheit. Das Problem ist, wenn es bei dieser Wahl nicht funktioniert, wird dann in vier Jahren noch genügend Demokratie übrig sein, um Trump abzuwählen? Was mir Hoffnung macht, ist das in diesem Jahr beim early voting sehr viel mehr Frauen zur Wahl gehen als vor vier Jahren. In allen Swing States liegen sie weit, weit vor den Männern. Das ist definitiv ein gutes Zeichen.
Okay, eine allerletzte Frage: Was sagt Ihr Bauchgefühl? Wer gewinnt?
Harris.
Vielen Dank für das Interview.