Die Staatsanwaltschaft Koblenz geht gegen Mitglieder mehrerer Telegram-Gruppen vor, die Sprengstoffanschläge und die Entführungen „bekannter Personen des öffentlichen Lebens“ geplant haben soll. Ihr Ziel: Der bundesweite Aufbau kleiner Zellen, welche an einem ausgerufenen Tag die Pläne umsetzen. Gastautor Ronny Junghans beobachtet das Treiben von Rädelsführer Thomas O. bereits seit 2020. Für Belltower.News schildert er O.s zunehmende Radikalisierung und dokumentiert die Offline-Vernetzung.
Am 13. April 2022 durchsuchten die Sicherheitsbehörden bundesweit 20 Objekte im Zusammenhang mit geplanten Anschlägen auf Strominfrastruktur, einer geplanten Entführung des Gesundheitsministers Karl Lauterbach sowie einem geplanten, gewaltsamen Umsturz des bestehenden demokratischen Systems. Bei den Durchsuchungen wurden nach Polizeiangaben unter anderem 22 Waffen, darunter auch eine Kalaschnikow, mit dazugehöriger Munition im dreistelligen Bereich sichergestellt. Organisiert hat sich die Gruppierung – die Sicherheitsbehörden zählen 70 Personen zum erweiterten Umfeld – über den Messengerdienst Telegram. Die konkrete Durchführung der umstürzlerischen Pläne wurde bei Präsenztreffen besprochen.
Mitte November 2021 gelang es einem antifaschistischen Recherchekollektiv Zugang zur geschlossenen Telegram-Gruppe „Aktive Veteranen und Patrioten“ zu erhalten, in der sich die sogenannten „Vereinten Patrioten“, wie die Sicherheitsbehörden den Komplex benennen, organisierten. Außerdem dokumentierte das Kollektiv drei Präsenztreffen. In diesem Text geht es um einen Teil der Recherche rund um einen der zwei Hauptakteure, Thomas O. aus Neustadt an der Weinstraße und seine Rolle in der Gruppe. Es wurden Kommunikationsinhalte mehrerer weiterer Telegram-Gruppen, in denen O. ebenfalls aktiv war, gesichert. Belltower.News liegen Screenshots von Nachrichten ab Mai 2020 von ihm vor. Neben Thomas O. gilt der Berliner Buchhalter Sven B. aus Falkensee bei Berlin als Hauptkopf der Gruppe, die mutmaßlich einen Staatsstreich plante. Beide Männer verbindet ihre Vergangenheit in der Nationalen Volksarmee (NVA). Der gebürtige Thüringer O., der mittlerweile in der Pfalz lebt, war von 1986 bis 1989 bei der Volksmarine stationiert. B. studierte bis 1990 an einer Offiziershochschule in Zittau.
Aktive Veteranen und Patrioten
Die Telegram-Gruppe „Aktive Veteranen und Patrioten“ wurde im Oktober 2021 gegründet. Mitglieder für diese Gruppe, in der es hauptsächlich um die gemeinsame Organisierung für die Anschlagspläne ging, wurden überwiegend über weitere, größere Telegramgruppen, wie „Veteranen-Pool“ und „Tag X Deutschland“ rekrutiert. „Vereinte Patrioten“ wurde im Sommer 2021 deaktiviert. Grund dafür waren Sicherheitsbedenken eines Mitgründers, der sich im Internet „Thor“ nennt, im wahren Leben aber Egon T. heißt. Die Gruppe ging in dem Telegram-Kanal namens „Tag X Deutschland“ auf, der weiterhin aktiv ist.
Die geschlossene Chatgruppe „Aktive Veteranen und Patrioten“ wurde von den meisten Teilnehmer:innen als privater Raum wahrgenommen, weshalb viele von ihnen hier offen ihr rechtsextremes Weltbild zur Schau stellten. Die User:innen schreiben vom „Schuldkult“ –„jüdische Propaganda“ – der „mit allen Mitteln in erster Linie durch Mainstream, Umerziehungsanstalten (Schulen) und Medien aufrechterhalten“ werden soll. „Alles, aber auch alles was wir in der Schule gelernt haben ist eine große Lüge“ (sic!), schreibt eine andere Person und bezieht sich damit auf den Holocaust.
Die Impfung und die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie werden als „faschistisch“ gedeutet, zum Zweck eine „Agenda durchzuprügeln“. Bei der „Agenda“ soll es sich laut des Verfassers um einen „Genozid“ wie auch „Völkeraustausch“ handeln. Hier wird Bezug auf die Verschwörungserzählung „des Großen Austauschs“ der sogenannten „neuen“ Rechte genommen. Die Vorstellung, die weiße Mehrheitsgesellschaft soll mittels gesteuerter Migration durch nicht-weiße Menschen ersetzt werden, um die imaginierte Identität Europas zu zerstören, diente schon früheren Attentätern als Legitimation für rechten Terror, der zahlreiche Tote forderte. In dieser Telegram-Gruppe vermischt sich eine Ablehnung gegen die Corona-Maßnahmen und die Demokratie als ganzem, mit zutiefst rassistischen und antisemitischen Erzählungen.
Die Anleitung: „Der totale Widerstand“
Um sich auf den herbeigesehnten „Tag X” vorzubereiten, lasen einige Gruppenmitglieder das Buch „Der totale Widerstand“ des Schweizer Majors Hans von Dach. Es entstand zur Zeit des Kalten Kriegs und ist eine Anleitung zum Widerstand gegen eine zahlenmäßig überlegene Armee und bietet zahlreiche Konzepte zur Sabotage, unter anderem auch von Strominfrastruktur.
Moderiert wurde „Aktive Veteranen und Patrioten“ von Sven B. und Thomas O, die zwei Rädelsführer und Admins der Gruppe. Sie gaben Verhaltensanweisungen, planten die Treffen in Präsenz und holten weitere Mitglieder in die Gruppe, die sie vorher persönlich kennengelernt haben. Hierfür investierten beide viel Zeit. O. gab auf Nachfrage eines Users, weshalb er nicht im Dezember seiner Einladung gefolgt sei, an: „Mein Zeitplan ist derzeit genauso voll wie der von Georg. Stets unterwegs im Westen von Deutschland. Sozusagen geteilte Aufgaben“. Sven B. nannte seinen Telegramaccount „Sven Georg“.
Vom Protest zum Terrorakt
Thomas O. war von Pandemiebeginn an Teil des Rheinland-Pfälzischen Protests gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und besuchte in Neustadt an der Weinstraße die ersten Demonstrationen. Im Zuge des Aufkommens der sogenannten Querdenken-Bewegung versuchte er im September 2020 verschiedene Organisator:innen rechter Telegram-Gruppen zu vereinen und machte dies zu seiner Hauptaufgabe. Er schrieb am 17. September 2020: „Wir brauchen endlich Kommunikation aller Orgas miteinander. Dafür arbeite ich derzeit. Es geht um die Sache, um den Widerstand“. Weiter im Chatverlauf rühmte sich O. damit, bereits Corona Rebellen Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und den Dachverband zusammen gebracht zu haben. Nach seiner Ansicht brauchte es „dringend die ganze Gemeinschaft aller in Deutschland, um für Freiheit und Recht und Einigkeit zu kämpfen“.
Bereits zu dieser Zeit schrieb O. schon davon, dass die „die Antifa“ eine „Terrorarmee der CIA“ sei und ähnliche rechtsextreme Erzählungen. Er forderte, dass „nicht länger gehorsam geleistet werden“ dürfe „gegenüber einer Mafia von Regierung, die nur unseren Tot will“. Aus den Chats wird ersichtlich, dass O. im Jahr 2020 noch die Hoffnung hatte, mit Protesten etwas bewirken zu können. „Versuch die Massen zu bewegen und nicht gleich zu trotzen, weil der Anfang schwer ist“, forderte er im Sommer 2020 noch eine Nutzerin auf.
Drastische Rhetorik
Nachdem es auf Telegram einige Zeit ruhig um O. war, wird er im September 2021 wieder aktiver. Seine Rhetorik ist nun noch drastischer: Er schreibt von „Faschismus“ in Bezug auf die Coronamaßnahmen, die Regierung habe einen „Krieg gegen das Volk gestartet“ und beschreibt die Impfung als „Genozid, den es in der Geschichte noch nicht gegeben hat“ wogegen man sich wehren müsse. War O. zuvor noch überzeugt, dass mit Demonstrationen eine Veränderung herbeigeführt werden kann, gibt er sich nun desillusioniert, indem er äußert: „So langsam sollte jeden klar sein, die Blase von Demokratie ist geplatzt, eine Diktatur ist nicht mit Protesten zu besiegen. […] Pazifismus ist der Luxus in Friedenszeiten“.
Zwischenzeitlich hat seine Tochter eine regionale Telegramm-Gruppe gegründet, in welcher sich O. ab September 2021 in den Chats rege beteiligt. Die Gruppe heißt „Donnersberg Diskussionsrunde“. In einer Konversation zeigt sich Thomas O stolz, dass er seiner Tochter die „wahre“ Geschichte beigebracht hat. Die Tochter schrieb, dass sie in der Schule Ärger bekam, als sie im Geschichtsunterricht Fakten zum Nationalsozialismus hinterfragte. O. schrieb hierzu: „diese Geschichte passte ja auch nicht ins Weltbild der Propaganda. Dafür hast du von mir eine 1 Plus bekommen“. Brisant ist hierbei, dass die Tochter mindestens in die ersten Überlegungen zu den Umsturzplänen eingebunden gewesen sein muss. Denn Anfang Oktober berichtet ihr O. schließlich davon, „Gleichgesinnte“ gefunden zu haben und beklagt: „… ich habe ja nun so einige gefunden, Gleichgesinnte, mit all ihren Ideen, warten auf Antworten der Veteranen, aber ich warte selbst darauf, dass wir uns treffen. So lange kann ich ja selbst nichts anderes sagen als Abwarten“. In einer weiteren Nachricht schreibt O. seiner Tochter: „[…] ich muss schauen, dass wir noch mehr werden. Der von Veteranen hat ja bei mir berufen [Sic.] bereits, wollen uns treffen um analog zu unterhalten“. Schließlich teilt O. ihr eine Woche später freudig mit: „Hatte heute mein Treffen, nun weiß ich was wirklich ist“. Als Erwiderung schlägt die Tochter vor, „es die Tage zu besprechen“.
Mit Sven B. traf O. schließlich das erste Mal Ende Oktober 2021 zu einem Vortrag von B. in Grünstadt (Rheinland-Pfalz) zusammen, wie aus einem Chat in der Gruppe „Donnersberg Diskussionsrunde“ deutlich wird. O. teilt stolz mit: „ich denke mal, Georg sieht in mir seinen Stellvertreter“. Zu dem Zeitpunkt gab es bereits die Telegram-Gruppe „Aktive Veteranen und Patrioten“. O. beginnt ab jetzt aktiv in den Gruppen „Veteranen Pool“ und „Tag X“ weitere neue Mitglieder für seine umstürzlerischen Pläne zu rekrutieren.
Die neugewählte Regierung „an die Wand stellen“, diese dann „rot färben“
Die Gruppe „Aktive Veteranen und Patrioten” wirkte wie ein Beschleuniger in O.s Radikalisierung. Alle Mitglieder waren sich einig, dass eine imaginäre „Elite“ hinter allem steckt, Corona nur „eine Nebelkerze ist“, um von etwas anderem abzulenken. Sie bestärkten sich gegenseitig in ihren Gewaltfantasien, indem sie die neugewählte Regierung „an die Wand stellen“ wollen, diese dann „rot färben“. Noch im Februar 2022 gab O., getrieben von seinem Antisemitismus, als Ziel an, „Endlich in echter Freiheit zu leben.“ Weiter führt er in der gleichen Nachricht aus: „Wenn 1 Prozent die Eliten sind, die ganze Menschheit unterdrücken können, sollte jedem klar sein, dass dieses 1 Prozent ausgerottet werden muss, vollständig, damit nie wieder dieses Geschmeis jemals aufkommen kann“. Er appelliert an die Mitglieder der Gruppe, dieses Ziel vor Augen zu behalten. In dieser Nachricht nutzt er NS-Rhetorik und zeigt deutlich wie seine Radikalisierung bis zum Vernichtungswille von Juden*Jüdinnen vorangeschritten ist.
Thomas O. präsentierte sich als Macher, der die Pläne aktiv vorantrieb. Immer wieder appellierte er an die Mitglieder, die konspirativen Offline-Treffen wahrzunehmen. Er selbst war an allen drei Treffen anwesend, wie Bilder belegen. Das erste Treffen, welches O. organisierte, fand am 11. Dezember 2021 bei Bendorf in Rheinland-Pfalz statt. Treffpunkt war ein Wanderparkplatz, von wo aus es zu einer nahegelegenen Grillhütte ging. Ein zweites Treffen organisierte O. für den 15. Januar 2022 in Nottertal- Heilinger Höhen (Thüringen) mit Übernachtung in einem Landgasthof. Für dieses Treffen besorgte er gefälschte Testzertifikate, für den Fall, dass das Ordnungsamt eine Kontrolle durchführt. Schließlich lud O. für ein drittes Treffen ein. Dies fand am 19. März 2022 in einer Grillhütte nahe Queienfeld in Thüringen statt. Bei diesem letzten Treffen wurden die Fortschritte in der Planung mitgeteilt sowie Aufgaben an die Anwesenden verteilt.
Eine gefährliche Mischung
Chatteilnehmer:innen gaben an, bereits scharfe Waffen zu besitzen, andere holten sich Tipps, wo sie diese besorgen könnten. Sie tauschten sich über geeignete Sprengstoffe aus. Zwei Mitglieder der Gruppe gaben an, eine militärische Ausbildung zur Herstellung und Handhabung verschiedener Sprengstoffe zu haben. Verschiedene User:innen hatten ihre privaten Feindeslisten, wie sie selbst angaben.
Die Entschlossenheit zur Durchführung der Anschlagspläne zeigt auch der konspirative Charakter der Gruppe. Regelmäßig wurden Mitglieder angehalten nicht offen über die Pläne zu schreiben, „nur über 1 m Luftweg“ hieß es. Sie waren sich bewusst, dass der Verfassungsschutz auch in dieser Gruppe mitlesen könnte. Ebenso wurde innerhalb der Gruppe von O. mehrmals ermahnt, wie wichtig es sei, „unter dem Radar zu bleiben“. Er selber habe dies „bei stasi und co“ (Sic.) gelernt. Zu den Präsenztreffen wurde auf abgelegene Parkplätze eingeladen, wo die Teilnehmenden von Sven B. oder Thomas O. abgeholt wurden. Handys mussten im Auto gelassen werden. Nach den Treffen wurden die Teilnehmer in Regionalgruppen aufgeteilt. Zielstellung war es, bundesweit kleine Zellen aufzubauen, welche an einem ausgerufenen Tag die Pläne umsetzen. In Rheinland-Pfalz gab es bereits eine Gruppe in der Region Trier. Sie wurde von Thomas O. zusammengestellt und betreut.
Auch mit den Verhaftungen ist die Gefahr vor rechten Terror aus dem Corona-Protest-Milieu nicht minder groß, da viele Chatteilnehmer, die sich in der „Aktive Veteranen und Patrioten“ Gruppe organisierten, nach wie vor in diversen Gruppen aktiv mitschreiben.