Ende 2015 haben sich in Deutschland sogenannte „Preppergruppen“ formiert, die sich auf einen „Tag X“ vorbereiteten. Laut Recherchen der taz organisierten sie sich über Chatgruppen wie „Nord“ („Nordkreuz“) oder „Süd“ und lassen auf rechtsextreme Strukturen in staatlichen Sicherheitsorganen rückschließen. Ihre Mitglieder wurden in ganz Deutschland angeworben und bestehen zu einem Großteil aus Soldaten und Polizisten – vorwiegend aus Spezialeinheiten. Dabei geht es auch um einen Verein namens Uniter, der sich nach Eigenangaben der Vernetzung und Weiterbildung ehemaliger Sicherheitskräfte widmet. An besagtem „Tag X“ wollte die Gruppe die staatliche Macht übernehmen und die Situation für sich nutzen, um bestimmte Personen auszuschalten. Die rund 2000 Namen hielten sie auf einer Feindesliste fest, die Politiker*innen und zivilgesellschaftliche Akteure umfasste. Zur Vorbereitung hortete der Polizist Marko G., ein ehemaliges SEK-Mitglied und Administrator der „Nordkreuz“-Gruppe, Waffen und über 55.000 Schuss Munition. Ein Teil der Munition kommt der Staatsanwaltschaft zufolge von Polizei- und Bundeswehreinheiten im gesamten Bundesgebiet. Woher die restliche Munition stammt, ist bis heute größtenteils ungeklärt. 100 Schuss Munition, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, sind einer Recherche des ZDF zufolge zu dem Spezialkommando USK Bayern zurückzuverfolgen. Auch einige Übungsplätze von „Nordkreuz“ befinden sich in Bayern.
Bayerischer Polizist als Mitglied bei Uniter e.V.
Zudem hat der Verfassungsschutz den Verein Uniter e.V. mittlerweile als Prüffall eingestuft. Auch ein Polizist und ehemaliges Mitglied der Spezialkräfte in Bayern war Teil des Vereins, in dessen Chatgruppen wiederholt rechtsextreme Nachrichten verbreitet wurden. Der Verein gilt als Sammelbecken von „Preppern“, die sich auf Untergangsszenarien vorbereiten und von erfahrenen Ausbildern in Militärtaktik trainiert werden. Gegründet wurde Uniter e.V. von André S., einem Elitesoldaten, der unter dem Tarnnamen „Hannibal“ die Chatgruppen organisiert hat, die sich mit paramilitärischen Trainings und einem „Tag X“ beschäftigt haben. Eine dieser Chatgruppen war „Nordkreuz“.
Die Verbindungen innerhalb rechtsextremer Strukturen in den Sicherheitskräften zieht ein Verbindungsnetz durch ganz Deutschland. Bayerns Polizei lässt sich auch in der Liste rassistischer Chats wiederfinden: 47 aktive und ehemalige Beamt*innen teilten rassistische und antisemitische Videos miteinander – wieder vorwiegend aus dem Bereich der Spezialkräfte.
Rechtsextreme Strukturen bleiben unerwähnt
Die Auflistung rechtsextremer Entwicklungen veranschaulicht eine schwerwiegende Problematik: verdeckte Strukturen in staatlichen Sicherheitsorganen mit rechtsextremen Umsturzfantasien sind weitaus verbreiteter als angenommen. Erstaunlich ist allerdings, dass der Verfassungsschutzbericht Bayern 2019 diese Entwicklungen nicht erwähnt, obwohl die landeseigenen Sicherheitsorgane betroffen sind. Der Verfassungsschutz Bayern gibt gegenüber Belltower.News an, dass im Bericht lediglich Bestrebungen erwähnt würden, „bei denen hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für Extremismus vorliegen und denen bayernweit eine besondere Bedeutung im Berichtsjahr zukamen“. Zudem könne man sich gegenüber aktueller Verdachtsfälle sowie nicht abgeschlossener polizeilicher Ermittlungsverfahren nicht äußern. Was den Uniter e.V. angeht, teilt der Verfassungsschutz mit, habe man „die Entwicklungen des Vereins, insbesondere im Hinblick auf extremistische Bestrebungen, fest im Blick“.
Möglicherweise die Aufgabe verfehlt?
Im Fall der rassistischen Chatgruppen wurden 15 Polizisten vom Dienst suspendiert oder versetzt. Es wird auch wegen Volksverhetzung ermittelt. Nach eigenen Angaben ist der Verfassungsschutz für die Beobachtung von „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind“, zuständig. Dass jene Gruppen wie „Nordkreuz“, die bereits seit 2015 existieren, vom Verfassungsschutz nicht ausreichend benannt werden, obwohl sie zutiefst staatsgefährdend sind, gibt Grund zur Sorge. Denn seit spätestens 2017 hat der Verfassungsschutz Kenntnis von den Chatgruppen. Ebenso bedenklich ist, dass erst taz-Recherchen das Netzwerk offengelegt haben, das sich unmittelbar auf den „Tag X“ vorbereitet hat und notfalls den Stein selbst ins Rollen bringen wollte, wie der Fall Franco A. zeigt.
Beobachtung des „Flügels“ und der „JA“
Eine neue Bedeutung kommt im Verfassungsschutzbericht Bayern dem AfD-„Flügel“ sowie der Jungen Alternative (JA), der Jugendorganisation der AfD, zu. Die Beobachtung in Bayern umfasst ein Personenpotenzial von 110 Personen des „Flügels“ sowie 120 Personen bei der JA. Insgesamt zählt der Verfassungsschutz in Bayern 2570 rechtsextremistische Personen. Das entspricht einer Steigerung von knapp 9% im Vergleich zum Vorjahr. Zudem verzeichnet er eine starke Zunahme rassistischer und antisemitischer Straftaten von knapp 15% zu 2018.
Gamerszene als Radikalisierungsgrund?
Während im Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 die Nutzung von Computerspielen für eine Radikalisierung Rechtsextremer keine Erwähnung findet, werden im Bericht 2019 Computerspiele als möglicher Radikalisierungsgrund angegeben. Ursprung dieser Erwähnung liegt vermutlich in der Äußerung von Bundesinnenminister Horst Seehofer, der nach dem Terroranschlag von Halle ankündigte, die Gamerszene stärker in den Blick nehmen zu wollen. Dieses Vorhaben stieß auf scharfe Kritik. Vor allem, weil das Problem weniger bei den Computerspielen als bei den rechtsextremen Ideologien liegt.
Bis heute ist nicht klar, was der Verfassungsschutz bisher über die rechtsextremen Strukturen in den Sicherheitsbehörden tatsächlich ermittelt hat. Die taz weist auf widersprüchliche Aussagen hin und auch die Rolle des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), dem André S. als Kontaktperson diente, ist ungewiss. Nach dem aktuellen Bericht aus Bayern bleiben erneut viele offene Fragen, nicht nur im Bezug auf rechtsextreme Strukturen in Sicherheitskreisen.
Vgl. Recherche Twitter/Robert Andreasch