Gastbeitrag von Konrad Erben
Auf Seite 126 des Berichts sprach der Nachrichtendienst mit einer Fußnote den Anschlag auf eine Moschee in Dresden im Jahre 2016 einem linksextremen Bekennerschreiben zu. Dies ist erstaunlich, da dieses Bekennerschreiben nicht nur von Anfang an als wenig glaubwürdig galt und schnell wieder von der Onlineplattform verschwand, auf der es verbreitet wurde. Vor allem führten Ermittlungen die Behörden am Jahresende 2016 zu einem Rechtsextremen aus dem Pegida-Umfeld.
Nach einem Twitter-Austausch zwischen dem Verfassungsschutzpräsidenten Kramer und anderen Nutzer_innen der Plattform räumte ersterer irgendwann zerknirscht den Fehler ein und kündigte eine Korrektur in der Druckfassung des Berichtes an.
Scharfe Kritik gab es auch aus Richtung der Thüringer Linkspartei. Katharina König-Preuß und Steffen Dittes werfen dem Verfassungsschutz eine Ungleichgewichtung politisch motivierter Gewalt vor. So tauchen zwar Straftaten gegenüber einer AfD-Abgeordneten auf, nicht aber zahlreiche Angriffe auf Einrichtungen und Politiker_innen von SPD, CDU, Linken und Grünen, darunter auch ein Sprengmittel-Anschlag und ein Mordaufruf in Liedform gegen eine Landtagsabgeordnete der Linken und ihren Vater, einen evangelischen Pfarrer. Dieser Mordaufruf einer Schweizer Neonazi-Band fand in der Thüringer extremen Rechten weite Verbreitung, so dass etwa auf einer Demonstration der rechtsextremen Thügida am 09. November 2016 ein Redner darauf Bezug nahm.
Das Verbreiten von Falschinformationen und die Wahrnehmungsstörung bei politisch motivierter Gewalt stellen aber nur die Spitze des Eisbergs dar. Schaut man tiefer in den Verfassungsschutzbericht, offenbart sich eine wilde Mischung aus alten Erkenntnissen, anderswo kopierten Inhalten und gefährlicher Denunziation zivilgesellschaftlichen Engagements.
Was der VS über die extreme Rechte in Thüringen (nicht) weiß
Die Erkenntnisse über die Verbindungen von Neonazis und Rockern, extrem rechte Hasskonzerte und Entwicklungen der Szene, die der Dienst beschreibt, sind aufmerksamen Beobachter_innen in weiten Teilen nicht neu. Haben doch Anfragen der Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuß und Recherchegruppen auf dem Portal „Thüringen rechtsaußen“ diese Dinge längst offengelegt. Neue Erkenntnisse liefert der Thüringer Verfassungsschutz nicht.
Bei den Passagen zur Neuen Rechten kopiert der Dienst schlicht und einfach weite Teile von der Bundeszentrale für politische Bildung, und erwähnt beim Blick auf Thüringen wichtige Vorfälle nicht. So taucht rund um den Abschnitt zur sogenannten Identitären Bewegung an keiner Stelle die öffentlichkeitswirksamste Aktion der sich modern gebenden Nazis im Berichtszeitraum auf. Im Frühjahr 2016 hatten Akteure der “Identitären” in Schöngleina bei Jena einen Zaun rund um eine Clearingstelle für unbegleitete minderjährige Geflüchtete gezogen und dies mit einem professionell produzierten Video auch über Soziale Netzwerken verbreitet, unter anderem über die neurechte Sammlungskampagne “Ein Prozent für Deutschland”. Einer der lokalen Akteure dieser Aktion trat später auch bei den Kommunalwahlen im Ort an, unterlag aber deutlich.
Auch an anderer Stelle weist der Berichtsteil zum Rechtsextremismus Leerstellen auf. So werden den extrem rechten Parteien NPD, Der III. Weg und Die Rechte ein Bedeutungsverlust bzw. Stagnation auf niedrigem Niveau attestiert. Dass zur selben Zeit aber mit der AfD eine völkisch-nationalistische Partei bei breiten Teilen der Bevölkerung Zustimmung gefunden hat, unterschlägt der Verfassungsschutzbericht völlig. So z. B. auch im Abschnitt zum rechtsextremen „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“. Dieser ist ein Zusammenschluss aus “Autonomen Nationalisten”, NPD und Kameradschaftsakteur_innen. Unterschlagen wird dabei die führende Rolle, die ein Funktionär der AfD Jugendorganisation Junge Alternative, Lars Steinke, im „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ einnahm. Seit Sommer 2017 ist Steinke übrigens Vorsitzender der Jungen Alternative Niedersachsen.
Abseits des Komplexes „Rechtsextremismus“ werden im Bericht ganze Passagen aus vorangegangenen Berichtszeiträumen identisch übernommen. So offenbart sich eine mangelnde Auseinandersetzung und Überprüfung, insbesondere mit unbewiesener Tatsachenbehauptungen in den Abschnitten zu sog. Ausländerextremismus und sog. Linksextremismus, die teils seit Jahren durch den Thüringer Verfassungsschutz reproduziert werden.
Der (Links)Extremismusbegriff des VS
Der Verfassungsschutz erhebt für seinen Extremismusbegriff ausdrücklich keinen wissenschaftlichen Geltungsanspruch. Stattdessen stützt man sich auf einen Begriff aus politischen Auseinandersetzungen der 1960er und 1970er Jahre der Bundesrepublik. Zusammengefasst: alles ist extremistisch, dass sich gegen die Freiheitlich demokratische Grundordnung (FDGO) richtet, so wie sie sich aus dem Grundgesetz (GG) ableitet. Das Resultat einer solchen Definition ist aber, dass der Korridor dessen, was nicht extremistisch ist, auf einmal sehr, sehr schmal werden kann.
Das Grundgesetz ist nicht die einzig wahre Verfassung, die Grundlage für eine Demokratie sein kann. Frankreich hat eine andere Verfassung als die USA, haben eine andere Verfassung als der Senegal, hat eine andere Verfassung als Japan, hat eine andere Verfassung als Deutschland. Trotzdem können all diese Länder – in leichten Abstufungen – als freie Demokratien gelten. Wer aber nun ein Gesellschaftssystem anstrebt, dass sich nicht explizit auf das Grundgesetz bezieht, gleich wie frei, demokratisch, gerecht und solidarisch es sein mag, rutscht schon in das Extremismus-Spektrum des Verfassungsschutzes. Besonders deutlich wird das wieder einmal bei den Passagen des Berichts, die sich um den sogenannten Linksextremismus drehen.
Dort wird dieser Szene attestiert, dass sie die demokratische Zivilgesellschaft zwar ablehne, aber rund um das Thema „Antifa“ immer wieder über ihren Schatten springe – auch um demokratisch initiierte Proteste zu unterwandern. Diese Interpretation unterschlägt, dass zivilgesellschaftlicher Protest gerade von seiner Vielfalt und einem breiten Spektrum, von Parteien, über Kirchen, Gewerkschaften, linke Klein- und Kleinstgruppen, bis hin zu Einzelpersonen lebt – die auch alle zusammen die Zivilgesellschaft bilden. Gerade dort, wo eine Vielfalt von Akteur_innen und Aktionsformen in gemeinsamer Solidarität zusammenkommen, gelingt es am besten, (rechten) Menschenfeinden den öffentlichen Raum streitig zu machen. Der Versuch, hier einen Spaltpilz in Bündnisse und Plattformen des zivilgesellschaftlichen Protests zu tragen, ist kontraproduktiv und kriminalisiert den legitimen und notwendigen Protest.
Hinter der Blamage rund um die Falschinformation wäre übrigens eines noch fast untergegangen. Seit neuestem führt das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz wieder V-Leute im Komplexbereich Rechtsextremismus. Der selbe Verfassungsschutz, der über seine V-Leute einst die Naziszene und -strukturen in Thüringen finanzierte, mit prägte und das NSU-Netzwerk deckte.