In den Tagen nach Robinsons Verhaftung und Verurteilung erklärten sich prominente Vertreter der muslimfeindlichen Szene mit Robinson solidarisch. Es wurde eine Petition ins Leben gerufen und es kam zu einer kurzfristigen Demonstration in der Londoner Downing Street, in der die britische Premierministerin Theresa May ihren Wohnsitz hat. Neben Robinsons britischen Kollegen Caolan Robertson und Raheem Kassam, mit denen er vor kurzem beim sogenannten „Day for Freedom“ aufgetreten war, ergiffen weitere rechte Aktivisten wie der niederländische Rechtspopulist Geerd Wilders, der US-amerikanische Verschwörungstheoretiker Alex Jones und der für seine pseudowissenschaftlichen Theorien über den Zusammenhang von Intelligenz und „Rasse“ („euphemistisch als „race realism“ bezeichnet) bekannte Youtuber Stefan Molyneux in den sozialen Medien Partei für Robinson. Für sie alle stand fest: Tommy Robinson ist ein politischer Gefangener, seine Verhaftung ein Skandal einer totalitären politischen Justiz, in der es aufgrund „politischer Korrektheit“ nicht mehr erlaubt sei, sich kritisch zum Islam, zur Einwanderungpolitik oder eben zu „grooming gangs“ zu äußern.
Auch in Deutschland dauerte es nicht lange, bis sich bekannte rechte bis rechtsextreme Stimmen zu dem Fall äußerten. Der rechtsextreme Verschwörungstheoretiker Hagen Grell vekündetet auf YouTube, dass Journalismus in Großbritannien jetzt illegal sei. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Petr Bystron, der bis zu seinem Einzug in den Bundestag im September 2017 vom bayrischen Verfassungsschutz beobachtet worden war, forderte auf Twitter, dass Tommy Robinson in Deutschland politisches Asyl gewährt werden solle. Und der Co-Leiter der Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, rief zu einer Solidaritätsdemostration vor der englischen Botschaft in Wien auf.
Bislang haben sich im deutschsprachigen Raum nur wenige Stimmen außerhalb der rechten Online-Echokammern zu dem Fall geäußert. Für die Rechten ist Robinson das Opfer eines voreingenommen Polizeistaats geworden, nur weil er es „gewagt“ habe, über „grooming gangs“ zu berichten und sich gegen „Masseneinwanderung“ aus mehrheitlich muslimischen Ländern einzusetzen. Tommy Robinson, ein Held der Meinungsfreiheit in einer Gesellschaft, die aufgrund von „politischer Korrektheit“ die Augen vor der Realität verschließt?
Was sind „grooming gangs“?
Die komplexen Hintergründe der sogenannten „grooming gangs“-Fälle im Detail zu erläutern, würde an dieser Stelle zu weit gehen, aber zum weiteren Verständnis ist es wichtig zu wissen, dass Großbritannien seit der Aufdeckung des Missbrauchsskandals von Rotherham immer wieder von Berichten über organisierte Zwangsprostitution, Gruppenvergewaltigungen und sexuellen Mißbrauch von häufig Minderjährigen durch „grooming gangs“ erschüttert wird. Besonders seit dem 2014 veröffenlichten Untersuchungsbericht im Auftrag des Rotherham Councils, der zur Schlussfolgerung kam, dass Polizei und Behörden Beschwerden über die Vorfälle bewusst ignoriert und Täter nicht aktiv genug verfolgt hätten, weil die Angst bestand, dass aufgrund der ethnischen Herkunft der Täter (zumeist britisch-pakistanisch) der Vorwurf des institutionellen Rassismus erhoben werden würde, wenn die Behörden entschieden durchgreifen, steht das Thema immer wieder im Fokus der Öffendlichkeit. Auch rechte Gruppen versuchen diese Fälle für ihre politischen Botschaften zu instrumentalisieren. Ähnliche Muster wie in Rotherham offenbarten sich seitdem in den Missbrauchsskandalen in Rochdale, Oxford, Derby, Halifax, Newcastle und Telford.
Wer ist Tommy Robinson?
Tommy Robinson war jahrelang der Anführer der „English Defence League (EDL)“, einer muslimfeindlichen Protestbewegung, die ähnliche politische Inhalte wie „HoGeSa“ und „Pegida“ vetritt. Die Gründung der EDL 2009 war eine direkte Reaktion darauf, dass es bei der Rückkehr britischer Soldaten aus dem Irak heftige Gegendemonstrationen von Personen aus dem Umfeld der verbotenen islamistisch-extremistischen Gruppe al-Muhajiroun gab, die damals vor allem in Robinsons Heimatstadt Luton ihr Unwesen trieb. Al-Muhajiroun ist zwar seit 2005 verboten, taucht aber immer wieder unter neuem Namen und mit den gleichen Gesichtern wieder auf. Etliche ISIS/ al-Qaeda Kämpfer wurden über al-Muhajiroun rekrutiert. Selbst ein ehemaliger Kumpel von Robinson trat al-Muhajiroun bei, nachdem er im Gefängnis zum Islam konvertiert war. Etliche Mitglieder sind mittlerweile aufgrund terroristischer Aktivitäten inhaftiert.
Tommy Robinson hat die EDL dann 2013 verlassen, nachdem er vor allem durch Konversationen mit Quilliam, einer Anti-Extremismus-Organisation, die von ehemaligen islamistischen Extremisten gegründet worden war, seine Ansichten zum Islam, Muslimen etc. temporär modifiziert hatte und Angst davor bekam, dass die EDL zu weit nach rechts driftete. Dieser Wandlungsprozess ist sogar in einer fünfzigminütigen Fernseh-Dokumentation, „When Tommy meets Mo“ festgehalten worden. Somit kam es dann sehr öffentlich zum Bruch mit der EDL, der gemeinsam mit Quilliam (zu sehen am Ende der Doku) verkündigt wurde. Doch in den folgenden Jahren stellte sich heraus, dass Robinson keineswegs geläutert war. Nachdem er 2014 wegen Versicherungsbetrug im Gefängnis saß, kehrte Robinson radikal wie zu EDL-Zeiten zurück und gründete Ende 2016 Pegida UK als Ableger der deutschen muslimfeindlichen Protestbewegung. Ab 2017 begann er, für den rechtsextremen kanadischen Youtube-Kanal Rebel Media zu arbeiten. In seiner Funktion als Youtuber für Rebel Media konzentrierte sich Robinson auch immer wieder auf die Prozesse rund um die sogenannten „grooming gangs“.
Rebel Media und Robinson Wandel zum YouTube-„Journalisten“
Robinson „journalistischer Stil“ bei Rebel Media war geprägt von besonderer Rücksichtlosigkeit, durch welche die Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit seiner „Gegner“, die Verschleppung von Gerichtsprozessen, die Verschwendung von Steuergeldern und die Einschränkungen der Rechte Dritter billigend in Kauf genommen wurde.
Seit Beginn seiner Laufbahn bei Rebel Media gab es mehrere Vorfälle, die als Illustrationen seiner Fahrlässigkeit, Aggressivität und Ahnungslosigkeit bezüglich der „liberalen britischen Werte“ dienen, die er angeblich schützen möchte. So veröffentlichte Robinson (in seiner Rolle als „Reporter“) den Wohnort eines islamistischen „Gefährders“ (der daraufhin umziehen musste), schlug einen afrikanischen Migranten in Italien zu Boden, betrat uneingeladen Bürogebäude, um Journalisten, mit deren Berichterstattung über ihn er unzufrieden war, vor laufender Kamera zu konfrontieren oder stattete ihnen gleich einen Besuch zu Hause ab – alles für seine Clips für Rebel Media, die von hunderttausenden Usern angeclickt werden. Seine Fans waren begeistert: endlich zeigt es mal einer den arroganten, liberalen Medien!
Besonders bezeichnend für Robinson’s Rücksichtslosigkeit war dabei, als Robinson ein Video online stellte, in dem er die damalige Quilliam-Forscherin Julia Ebner wegen eines kritischen Artikel, in dem er erwähnt wurde, konfrontieren wollte. Quilliams Büros waren aufgrund glaubwürdiger Drohungen jihadistischer Gruppen gegenüber den ehemaligen Islamisten, welche die Organisation gegründet haben und von Islamist*innen als „Verräter*innen“ angesehen wurden, an einem anonymen Ort untergebracht. Robinson, dem dies aufgrund seiner vormaligen Interaktionen mit Quilliam vollständig bewusst war, nahm das Sicherheitsrisiko für Quilliam (die Organisation musste daraufhin in neue Büroräumen umziehen) billigend in Kauf. Dies sind nicht die Methoden eines seriösen Journalisten.
Warum wurde Robinson verurteilt?
Einschränkungen (sogenannte „reporting restrictions“, mehr dazu hier) hinsichtlich der Berichterstattung zu laufenden Gerichtsprozessen sind in Großbritannien nicht unüblich. Besonders häufig gibt es solche Einschränkungen bei Prozessen bezüglich Sexualverbrechen oder wenn Opfer noch minderjährig sind und daher Diskretion gewahrt werden soll. Zudem soll verhindert werden, dass die Angeklagten in solchen emotionalen Fällenn durch eine negative Berichterstattung vorverurteilt werden. Durch solche Einschränkungen bezüglich dem, was während des Prozesses berichtet werden darf, soll entgegen den rechten Verschwörungstheorien online nicht verhindert werden, dass überhaupt von diesen Prozessen berichtet wird, sondern die Veröffentlichung der Details lediglich verschoben werden, um den laufenden Prozess so fair wie möglich zu gestalten.
Denn wenn Beschuldigte in derartig sensiblen Prozessen möglicherweise zu schweren Strafen verurteilt werden, ist es umso wichtiger, dass gewährleistet wird, dass es sich um einen fairen Prozess gehandelt hat. Robinson, der keinerlei journalistische Ausbildung besitzt, scheinen solche Regeln entweder nicht bekannt gewesen zu sein oder nicht wichtig zu erscheinen. Robinson stand in Hörnähe der Jury-Mitglieder, die sich auf dem Weg in den Gerichtssaal befanden, als er seinen Livestream filmte, der von insgesamt 250.000 Personen angesehen wurde.
In Fällen, in denen Angeklagte plausibel darlegen können, dass Richter oder die Geschworenen voreingenommen gegen sie waren und der Prozess deshalb nicht unter fairen Bedingungen stattgefunden hat, kann es schnell zu einer Prozesswiederholung kommen – was bei einem langwierigen Gerichtsverfahren wiederum Steuergelder in Höhe von mehreren hunderttausend Pfund Zusatzkosten bedeuten kann. Zudem wird es für Zeugen und vor allem für Geschädigte sicherlich keine schöne Erfahrung sein, einen solchen Prozess ein zweites Mal durchleben zu müssen. Seine Fans mögen sich noch sehr einbilden, dass sie auf der Seite der Opfer der „grooming gang“-Missbrauchsskandale stehen – durch sein Handeln hat Robinson tatsächlich nicht dazu beigetragen, dass die Opfer Gerechtigkeit erfahren.
Journalisten, die von dem „grooming gang“-Prozess in Leeds berichtet haben, wiesen zudem darauf hin, dass Robinson kein einziges Mal am eigentlichen Prozess teilgenommen hatte und sich in seinen (zum Teil ungenauen) Ausführungen lediglich auf öffentlich bekannte Informationen berief. Ziel Robinsons war es also keineswegs, die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Verhandlungen und Details des Gerichtsprozesses aufzuklären und mit zusätzlichen Fakten zu versorgen, sondern durch sensationalistische „Click-bait“-Videos den Volkszorn für seine politische Anti-Immigrationsplattform zu instrumentalisieren.
Robinson wurde für das Filmen eines Prozesses, der „reporting restrictions“ unterlag, wegen „Contempt of Court“ (Verachtung/ Geringschätzung eines Gerichts) zu 13 Monaten Haft verurteilt. Dabei fiel ins Gewicht, dass Robinson ein Wiederholungstäter ist, der aufgrund eines ähnlichen Vergehens im Vorjahr bereits verurteilt wurde und sich noch auf Bewährung befand. Ein Video aus dem Jahr 2017 zeigt, wie Robinson vor einem Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder einer „grooming gang“ in Oxford Angeklagte und deren Angehörige filmt und sie als „muslimische pädophile Vergewaltiger“ bezeichnet. Durch solches Verhalten hat er in den Augen der britischen Justiz riskiert, dass Angeklagte öffentlich vorverurteilt werden und dadurch die Wahrnehmung der Richter und der Geschworenen beeinflusst werden könnte. Nach seiner Verurteilung im letzten Jahr wurde Robinson mitgeteilt, dass er bei einem weiteren ähnlichen Verstoß mit einer Haftstrafe zu rechnen habe. Auch dass Robinson seine Fans auf YouTube dazu aufforderte, das Video zu teilen, wurde von der Richterin als verschärfend gewertet
Aufgrund einer Gerichtsanordnung war es den Journalist*innen, die während Robinsons Verurteilung anwesend waren, zudem mehrere Tage lang nicht gestattet, über seinen Prozess zu berichten. Dadurch sollte verhindert werden, dass durch das Bekanntwerdens der Verurteilung der Ausgang des Prozesses beeinflusst wird, über den Robinson ursprünglich „berichtet“ hatte. Ähnliche „reporting restrictions“ waren ebenfalls ausgesprochen wurden, als Robinson 2017 wegen „contempt of court“ vor Gericht stand. Auch dies ist nicht die große Verschwörung des „deep state“, sondern eine Maßnahme im Interesse fairer Gerichtsverfahren. Aufgrund journalistischer Beschwerden und des großen öffentlichen Interesse an Robinsons Verurteilung wurden die Einschränkungen innerhalb weniger Tage aufgehoben.
Etliche von Tommy Robinsons Unterstützern haben online behauptet, dass eine Haftstrafe für Robinson einer „Todesstrafe“ gleichkomme. Und tatsächlich wurde Robinson während seines letzten Gefängnisaufenthalts mehrfach von muslimischen Insassen attackiert, bei denen er, kaum überraschend, nicht besonders beliebt ist. Nachdem Maajid Nawaz, einer der Mitgründer von Quilliam, öffentlich dafür eingetreten war, dass Robinsons körperliche Unversehrtheit sichergestellt werden müsse, wurde Robinson sogar in ein anderes Gefängnis verlegt. Robinson verbrachte zudem freiwillig Teile seiner Haftstrafe in Einzelhaft. Doch kann dies wohl kaum bedeuten, dass Robinson über dem Gesetz steht.
In ihrem Schuldspruch brachte die Richterin zum Ausdruck, dass sie sich nicht sicher sei, ob Robinson die Tragweite seiner Handlungen bewusst seien. Zusätzlich erklärte sie: „Ich respektiere das Recht eines jeden auf freie Meinungsäußerung. Das ist eines der wichtigsten Rechte, das wir haben. Mit solchen Rechten kommt auch Verantwortung.“ Es ist bedauerlich, dass Robinson, der sich stets darauf berief, Großbritannien und seine Werte verteidigen zu wollen, so wenig Wert auf andere wichtige Rechte, wie das Recht auf einen fairen Prozess legt, dass auch Personen genießen, denen so schwere Verbrechen vorgeworfen wie den potentiellen „grooming gang“-Mitgliedern am Crown Court von Leeds.
Jakob Guhl ist Project Associate beim Institut for Strategic Dialogue in London. Dort arbeitet er vor allem bei der Online Civil Courage Initiative, einem Projekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, die zivilgesellschaftliche Reaktion auf Hassrede und Extremismus im Internet zu verbessern und auszuweiten.