Monica Black ist Historikerin und Associate Professor an der University of Tennessee, Knoxville. Ihr Buch Deutsche Dämonen — Wunderheiler und die Geister der Vergangenheit im Nachkriegsdeutschland ist bei Klett-Cotta erschienen. Der folgende Text wurde zuerst bei Religion Dispatches veröffentlicht. Übersetzt aus dem Englischen von Tobias Eberhard.
Als ich vor ein paar Jahren für meine Forschungsarbeiten in einer Zweigstelle der Staatsbibliothek zu Berlin war, entdeckte ich zufällig einen Verweis auf ein Buch aus dem Jahr 1951 mit dem Titel Hexen unter uns. Ein ehemaliger Lehrer, Johann Kruse, hatte es in Westdeutschland herausgebracht. Der Titel gab mir Rätsel auf, und ich ging davon aus, dass es sich dabei um Satire handeln musste. Es konnte nicht ernsthaft um die Angst vor Hexen im Nachkriegsdeutschland gehen. Doch, überraschenderweise, ging es genau darum. Also stellte ich Nachforschungen über das an, was Kruse als „den modernen Hexenwahn“ bezeichnete. Er sorgte sich zutiefst darüber, welche gesellschaftlichen Auswirkungen die Hexereianschuldigungen haben würden, die in den Jahren kurz nach 1945 über das Land hereinbrachen.
Zu dieser Zeit wurden Dutzende „Hexenprozesse“ abgehalten, wie es damals in der Presse zu lesen war. Doch befand sich in diesen Fällen nicht die der Hexerei bezichtigte Person auf der Anklagebank, wie es noch im sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert in Europa der Fall gewesen wäre. Der oder die Angeklagte in den Hexenprozessen der 1950er Jahre war vielmehr die Person, die die Anschuldigung vorbrachte. Sie wurden in den meisten Fällen wegen Verleumdung vor Gericht gestellt, manchmal waren die Anklagen jedoch auch schwerwiegender.
Die Angst vor Hexerei wird üblicherweise als etwas aus Europas Vergangenheit betrachtet, ist sie doch eng verknüpft mit den weitgreifenden Hexenjagden einer Epoche, die Historiker:innen als Frühe Neuzeit bezeichnen. Doch die Menschen haben niemals wirklich aufgehört, sich gegenseitig der Hexerei zu bezichtigen. Nur resultierten derlei Anschuldigungen irgendwann nicht mehr in kirchlichen oder gerichtlichen Untersuchungen oder gar in Hinrichtungen. In vielen Teilen Europas, wie auch in anderen Teilen der Welt, bestand die Hexenangst weiter fort. Doch was führte nach der Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg und der Zerschlagung des Dritten Reichs zu dieser immensen Häufung an Anschuldigungen?
Anders als bei der Hexenmanie in Europas Vergangenheit drehten sich die Anschuldigungen im Nachkriegswestdeutschland nicht um Teufelsbuhlschaft, nächtlichen Hexenflug oder die Fähigkeit, unbeschadet eine Treppe hinunterzustürzen. Auch wenn dabei immer wieder im Raum stand, dass unter Anwendung von Magie böse Taten begangen worden waren, ging es bei den Anschuldigungen meist um banalere, ganz menschliche Probleme, wie etwa Argwohn, Feindseligkeit und gärendes Misstrauen.
Dieses Merkmal fügt sich mit dem zusammen, was Anthropolog:innen und Historiker:innen, die sich mit vergleichenden Hexereistudien befassen, bereits aufgezeigt haben: Obwohl Hexenängste über verschiedene Orte und Zeiträume hinweg ganz unterschiedliche Formen annehmen können, geht es dabei häufig auch um Themen wie Vertraulichkeit und Misstrauen; zudem treten sie als Folge von Instabilität, Unsicherheit und Unbehagen auf — Zustände also, wie sie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg vorherrschten.
In solchen Zeiten können dramatische Veränderungen dazu führen, dass das Vertraute befremdlich erscheint, und selbst alltäglichen Vorkommnissen haftet plötzlich eine schwerwiegende Bedeutung an. Eine Reihe von Unglücken — ein Todesfall oder eine Verletzung oder eine Krankheit unmittelbar auf andere Rückschläge folgend — scheint dann nicht mehr reiner Zufall zu sein. Stattdessen wirkt es, als hätte dies jemand so eingefädelt, vielleicht sogar eine Gruppe von Personen, die im Geheimen, hinter den Kulissen agiert. Eine Verschwörung. In Gemeinschaften, in denen die Hexerei als Ausdrucksform zwischenmenschlicher und gemeinschaftlicher Konflikte fungiert, als eine Art und Weise, die Welt und die Ereignisse darin zu betrachten und zu erklären, kann ein allgemein vorherrschendes Misstrauen dazu führen, dass Anschuldigungen mit größerer Wahrscheinlichkeit ausgesprochen werden.
Das frühe Westdeutschland war ein unheimlicher Ort. Ein heimgesuchter Ort. Ein von Entfremdung und Heimlichkeit geplagter Ort. Der Psychiater Alexander Mitscherlich, der einer der bekanntesten und angesehensten Kritiker der Bundesrepublik werden sollte, sah die vorherrschende Stimmung von einer „Kühle“ geprägt, die seiner Ansicht nach „die Beziehungen untereinander befallen“ hatte. Diese Kühle hatte „kosmische Ausmaße“ angenommen, schrieb Mitscherlich, „wie eine Veränderung des Klimas.“
In den 1940er und 50er Jahren wurde erst langsam mit dem Wiederaufbau der (u.a. Regierungs-, Bildungs-, Medien- und medizinischen) Institutionen begonnen, die von den Nazis vereinnahmt und zerstört worden waren. Und Westdeutschland war durchzogen von Angst: davor, dass das, was verborgen war, ans Licht kommen könnte. Einige verglichen die Situation mit einem ruhenden Bürgerkrieg; ein Bürgerkrieg, der sich darin äußerte, dass stets die Möglichkeit bestand, dass eine Bekanntschaft — ein Nachbar vielleicht oder eine Kollegin — den Behörden einen Hinweis über das eigene „ehemalige politische Leben“ geben könnte, also einen Hinweis darauf, was man unter der Herrschaft der Nationalsozialisten getan hatte. Einer der ersten Rechtsakte der Bundesrepublik, der breit über das politische Spektrum unterstützt worden war, war die Amnestie vieler Verbrechen aus der Nazi-Zeit, mit folgender Absicht: einen klaren Strich zu ziehen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, sowohl im gesetzlichen als auch im psychologischen Sinne.
Denn in der Vertrautheit der Gemeinschaften, in den örtlichen Umgebungen, erinnerten sich viele Menschen in den 1940ern und 50ern daran, wie die neue Ordnung der Nazis Fuß gefasst hatte als sich die Diktatur im Jahr 1933 festsetzte – an die Art und Weise, wie Eigentum, Macht und Positionen von den neuen Gebietern ergriffen und an Freunde und Verbündete verteilt worden waren. Nach 1945 fiel es oftmals den Entnazifizierungskomitees zu, die sich aus Bürgern und Bürgerinnen mit reinen politischen Westen zusammensetzten, Mitglieder der eigenen Community zu befragen und ihre Dokumente zu inspizieren und auch ein Urteil zu fällen, häufig über Menschen, die sie kannten. Wurden belastende Verbindungen in der Vergangenheit festgestellt, verloren die jeweiligen Personen möglicherweise ihre Arbeit oder ihr Eigentum, das ihnen während der Nazi-Ära unrechtmäßig zuteil geworden war. Mit anderen Worten: Die, die während des Dritten Reichs über Macht verfügt hatten und diese dann verloren, lebten Seite an Seite mit denen, die ihre Macht vorher verloren hatten und sie nach dem Krieg wiedererlangten. Dies war der perfekte Nährboden für Anschuldigungen in Communitys, in denen schließlich in der Hexerei begründete Konflikte auftraten.
Gibt uns der Ausbruch solcher Hexereianschuldigungen nach Holocaust und Krieg, Hinweise darauf, wie unser historischer Moment, mit all seinen fantasievollen Vorstellungen über heimliche, böse Verschwörungen, zu verstehen ist? Anhänger von QAnon behaupten, dass eine geheimnisvolle Gruppe von pädophilen Menschenhändlern, darunter auch der amtierende Präsident der USA, Joseph Biden, den Teufel anbetet und die Welt übernommen hat. Angeblich kann nur Donald J. Trump diesen verdorbenen Machenschaften ein Ende setzen.
Über einen Fall der Teufelsbesessenheit aus dem 17. Jahrhundert unter einer Gruppe von Ursulinennonnen schrieb Michel de Certeau, dass „das Merkwürdige tief im Wesen einer Gesellschaft verwurzelt ist, […] mit zu vielen soziokulturellen Verbindungen, um isoliert davon betrachtet zu werden.“ Was nichts anderes heißt als: Vorkommnisse, die einerseits wie Anomalien erscheinen, wie unerklärliche Ausbrüche des Merkwürdigen, etwa Hexereianschuldigungen oder Vorfälle der Dämonenbesessenheit, tragen bei genauerer Betrachtung mehr Bedeutung in sich. Möchte man jedoch etwas verstehen, das einem fremd erscheint, so Certeau, ist der erste Schritt das Eingeständnis, dass es zu einem selbst gehört.
Im Gegensatz dazu greifen die meisten aktuellen Erklärungen für QAnon auf Aspekte der individuellen Psychologie zurück. In einem kürzlich bei Slate erschienenen Artikel wird behauptet, dass eine „Mischung von Persönlichkeitsmerkmalen“, wie „ein geringes Selbstwertgefühl“, angeblich dafür sorgt, dass ein Mensch anfällig für Verschwörungserzählungen wird. Andere schieben die Schuld „schlechten Denkern“ zu, die unachtsam und leichtgläubig seien. Diese Erklärungen verwässern die historische Spezifizität von bestimmten Ausbrüchen von Verschwörungserzählungen (vermutlich gibt es zu jeder Zeit Menschen, deren analytisches Denken nicht sehr hoch ausgeprägt ist und die mit einer geringen Selbstachtung ausgestattet sind); doch das ist nicht das einzige Problem. Diese Erklärungen ignorieren, was es auf einer vertraulichen, gemeinschaftlichen Ebene bedeutet, dass einige Menschen glauben, dass manche von uns Kindern ihre Körperflüssigkeiten abzapfen.
Denn in Verschwörungserzählungen sind nicht nur die involviert, die an sie glauben. QAnon-Anhänger sind der festen Überzeugung, dass zumindest einige von uns sich dem absolut Bösen verschrieben haben, und einen gewissen Anteil der Bevölkerung in ein überaus boshaftes Komplott verwickeln. Das ist nicht nur eine Angelegenheit der individuellen Psychologie oder des Charakters. Es ist eine gesellschaftliche Angelegenheit. Und als solche sollte sie auch behandelt werden.
In Deutschland verbesserten sich die materiellen Umstände während der 1950er Jahre schrittweise. Das Unglück als chronischer Zustand des Lebens war auf dem Rückzug. Als die Angst, das die in der Vergangenheit begangenen Untaten ans Licht kommen könnten, langsam verschwand, bildete sich das Vertrauen nach und nach neu, und die Hexereianschuldigungen nahmen ab.
Es bleibt abzuwarten, welcher Wandel dazu führt, dass auch in den USA das Vertrauen erneut aufgebaut werden kann. Allenthalben herrscht Korruption in verschiedensten Formen und infiziert ganze Bereiche des Lebens. Rassismus, Misogynie, grassierende Ungleichheit, ungehemmte Gier, rechtswidriges Verhalten von Unternehmen, nie endende Kriege. Doch ein Phänomen wie QAnon als gesellschaftliches und gemeinschaftliches Problem zu verstehen, und nicht nur als ein individuelles, könnte vielleicht ein Anfang sein.