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Verschwörungsideologien 13-Jährige wird Anführerin einer QAnon-Kult-Gruppe

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Die 13-jährige "Tiny Teflon" wird von QAnon-Anhänger*innen für ihre "Gematrie", also Zahlenauslegung, gefeiert.

Erinnern Sie sich noch an QAnon? Die Verschwörungsideologie war in der Pandemie weltweit und auch in Deutschland in aller Munde, als der realitätsfernste Rand der Verschwörungsszene, der auf das „große Aufwachen“ wartet (#thegreatawakening), Donald Trump als Erlöser ansieht und unter anderem angeblich entführte Kinder aus Kellern befreien will (#savethechildren), in denen sie gefangen gehalten werden, weil die „Eliten”, aka Jüdinnen und Juden, ihr Blut trinken wollen, um ewig jung zu bleiben.

Dass diese Menschen von Ereignissen in der realen Welt nur minimal tangiert werden, ist bei Verschwörungsgläubigen zu erwarten. Dass Donald Trump etwa nicht mehr Präsident der Vereinigten Staaten ist, dass es Strafverfolgung wegen verbrecherischen Handelns im Amt gegen ihn gibt, das ignorieren QAnon-Fans mit großer Geste: alles Teil des Plans (#trusttheplan).

Kinder spielen in der QAnon-Ideologie eine überaus große Rolle – sie sollen aus den Fängen der „globalistischen Eliten“ (so der geläufige Dogwhistle für die „jüdische Weltverschwörung“) gerettet werden, sind der Anlass für herzzerreißende Memes und die hohe Beteiligung von Frauen, Müttern und Großmüttern bei QAnon.

Nicht selten haben solche narrativen Fixierungen allerdings unangenehme Wurzeln in der Realität, die die Frage erlauben: Wer muss hier eigentlich vor wem geschützt werden?

„Negative 48“ zerstört Familien

In den USA, dem Mutterland der QAnon-Ideologie, gibt es diverse Spielarten. Eine kombiniert die Q-Ideologie mit der Verschwörungserzählung, dass der 1963 erschossene John F. Kennedy (wäre heute 106) und auch sein 1999 gestorbener Sohn John F. Kennedy Jr. (wäre heute 63) gar nicht tot seien, sondern bereit, als Erlöser in Erscheinung zu treten. 2021, als dies laut Michael Protzman, einem leidlich bekannten QAnon-Guru, geschehen sollte, erschienen die Kennedys zwar nicht. Aber seither variiert die Exegese, wie John F. Kennedy auftreten wird – so soll u.a. Donald Trump eigentlich JFK sein. Und auch Protzman selbst, Gründer der QAnon-Gruppe „Negative 48“,  hat sich gelegentlich als Verkörperung Kennedys gefühlt. In den USA hat Protzmans wie ein sektenartiger Kult organisierte Gruppe über 1.000 Anhänger*innen auf Telegram. Deren Angehörige beklagen derweil, wie sehr die Gruppe Familien zerstöre und die Mitglieder aus der Realität entferne – und ausnehme. Protzman gab an, im Kampf gegen die Pädophilie durch die USA reisen zu müssen und ließ dies seine Anhänger*innen finanzieren, von denen sich etliche ruinierten. Angehörige der Kult-Anhänger berichten: „Meine Schwester hat ihre Kinder verlassen für den Kult. Sie sind ihr nun egal. Sie vergisst Geburtstage, Feiertage. Sie kommt nicht zurück. (…) Wir trauern um sie.” (vgl. Vice).

Michael Protzmans Kinder-Prophetin

Doch das Zerstören von Familien ist nur ein kinderfeindliches Ergebnis der vorgeblichen Kinderschützer*innen – der 60-jährige Protzman hatte offenbar auch ein ganz besonderes Interesse an jungen Mädchen, zumindest an ein einem. Die hielt er für eine Art Prophetin, so dass er sie, unter Zustimmung ihrer Mutter, auf seinem Telegram-Channel auftreten und dort auch Chats führen ließ und schließlich die Administration übertrug, berichtet das US-Magazin Vice. Und als Protzman im Juni 2023 bei einem Motorradunfall ums Leben kam und sein Kult ohne Anführer dastand, wurde die heute nach eigenen Angaben 13-Jährige zur Anführerin des Kultes ernannt.

Auf Telegram nennt sich das Mädchen „Tiny Teflon“ und hat inzwischen auch einen eigenen, unauffällig benannten Kanal, um jetzt ihre rund 800 Anhänger*innen zu bespielen. Da ihre Identität unbekannt ist, lässt sich das Alter von 13 nicht verifizieren. Auf Audioaufnahmen klingt sie allerdings realistisch jung und wird immer von ihrer Mutter begleitet, die bisweilen kommentierend in „Tiny Teflons“ Exegese der Welt eingreift.

„Tiny Teflon“ berechnet Zahlen aus Trump-Videos

Dass ein 13-jähriges Kind, das noch nicht einmal ein Teenager ist, als Anführerin eines Kultes eingesetzt wird, klingt für nicht verschwörungsgläubige Ohren verrückt, für die Anhänger*innen ist dies aber offenbar folgerichtig. „Tiny Teflon“ ist bereits seit Jahren Teil des Kultes – also bereits als kleines Kind und ohne die Möglichkeit einer eigenen Entscheidung – und hat sich vor allem auf die „Gematrie“ spezialisiert, eine Weltdeutung auf der Grundlage von Zahlen, die nach einem bestimmten Schema auf Buchstaben übertragen werden. Angeblich soll es so möglich sein, die Zukunft zu errechnen. Praktisch übt „Tiny Teflon“ das in Livestreams, übersetzt Donald-Trump-Videos oder Spielfilme in „Gematrie“, wobei sie immer so viele Wörter und Buchstaben weglässt, bis die Zahlenmystik passt („von den Soldiers of God lasse ich mal das of weg, und schon ist das Ergebnis wieder 181“). Die erwachsenen Fans sind begeistert: „Höre ich mir in Dauerschleife an. Guter Job, Tiny Teflon!“

Gefahr für weitere Kinder

„Tiny Teflon“ selbst findet, die Berechnungen der „Gematrie“ machten „so viel Spaß“, dass sie unbedingt andere Kinder anwerben möchte, damit sie es ihr gleichtun – und dann auch in die Zukunft sehen können. Begeisterte Eltern bieten daraufhin die eigenen Kinder als Rekrut*innen des Kultes an. Es kann also noch viel mehr Kinder geben, die keine gute Zukunft erwartet, weil ihre Eltern sie einem verschwörungsideologischen Kult in die Arme geben. Diese Art von „Schützt die Kinder“ ist jedenfalls nicht zu deren bestem.

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