„Neulich aufm Dorffest“, berichtet ein Leser aus Mittelschwaben auf der Seite, „die Feuerwehr lud ein, es gab Bier, Schwein, Tanzmusik und Wein. Inmitten der Dörfler die rechtsextremen Deppen. Einfach zu erkennen an ihren orangenen T-Shirts mit der Aufschrift ?Nur Hitler?.“ Viele Bürger, schreibt der Nutzer, hätten sich empört, aber niemand habe etwas unternommen. „Was kann man tun, um solche quasiuniformierte Präsenz zu verhindern, wenn deren zahlenmäßige Stärke derart einschüchtert?“
Will man etwas tun gegen die Ausbreitung des Rechtsextremismus in Deutschland, helfen politische Grundsatzreden zu wenig. Polizei, Justiz oder Förderprogramme für Anti-Nazi-Initiativen sind sicher wichtig. Doch entscheidend ist, was auf Dorffesten passiert, an Bushaltestellen und auf Schulhöfen, an Stammtischen und in Sportvereinen. Gerade dort ist die Unsicherheit am größten, weil es keine Dienstvorschriften gibt für den Umgang mit rassistischen Nachbarn. Vor einem Vierteljahr hat die ZEIT deshalb zusammen mit einer Reihe von Partnern ein Internetportal gestartet, das praktische Hilfe für die alltägliche Auseinandersetzung bietet. Das „Netz gegen Nazis“, unterstützt vom Deutschen Fußball-Bund, vom Deutschen Feuerwehrverband, vom Deutschen Sportbund, von StudiVZ und dem ZDF, ist ein Experiment: Nicht Journalisten oder Experten sollen dort Ratgeber sein, sondern andere Leser. Sie, so die Idee, wissen selbst am besten, was hilft ? oder eben auch nicht.
Auf die Frage zu dem Dorffest meldeten sich schnell andere Leser mit Vorschlägen zu Wort: mit den Rechtsextremen diskutieren, sie fotografieren, ihre Namen herausfinden, eine Initiative gründen, die über rechtsextreme Gruppen aus der Gegend aufklärt. Ein Leser riet, was vermutlich auch professionelle Berater gesagt hätten: den Veranstalter zu drängen, dass er sein Hausrecht ausübt und zur Durchsetzung die Polizei ruft.
Das »Netz gegen Nazis« versucht nicht, die ohnehin Engagierten zu erreichen, sondern eine breite Öffentlichkeit. Seit dem Start Anfang Mai verzeichnete das Portal 2,5 Millionen Leser, mehr als 5000 von ihnen haben sich registrieren lassen: Feuerwehrmänner aus Baden-Württemberg, Lehrerinnen aus Hamburg, Fußballfans von Energie Cottbus ? und viele Schüler und Jugendliche. „Welche Eltern in Kiel und Umgebung haben auch Kinder in der rechten Szene?“, wurde gefragt. Oder: „Was mache ich, wenn in meinen Jugendclub Neonazi-Musik auftaucht?“ Die Ergebnisse sollen im Herbst einfließen in einen gedruckten Ratgeber.
Auch Rechtsextremisten wurden aktiv: Es kam zu offener Hetze, die Macher der Seite wurden wüst beschimpft. Viel häufiger aber wurden mehr oder weniger gut getarnte Sabotageversuche unternommen, seitdem das Portal Anfang Mai online ging. „Scheint hier ja eine sehr einseitige Sache zu sein“, erregte sich ein Leser. Warum es auf dieser Internetseite nur um Rechtsextremismus gehe, fragte er, und „nicht gegen alle Extremisten (also auch solche von links)“. Damit brachte er eines der Lieblingsargumente von Neonazis zur Sprache. Weil viele in der Mitte der Gesellschaft das genauso sehen, ist die Klage über vermeintliche Einseitigkeit die effektivste Ausweichstrategie von NPD und Konsorten.
Zudem verniedlichen sich Rechtsextremisten oft als „Patrioten“ oder „Konservative“. „Nach eurer meinung“, schimpfte ein Nutzer, „wäre jeder deutsche der sein land mag ein nazi!!!!!!!!!!!!“ In Wahrheit zielt das Portal exakt auf das Gegenteil: den bürgerlichen Widerstand gegen Rechtsextremismus zu stärken, das Thema aus der linken Ecke zu holen. Häufig kamen deshalb Konservative beim »Netz gegen Nazis« zu Wort. Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach etwa oder sein Parteifreund Armin Jäger, Fraktionschef im Schweriner Landtag, der betonte: „Kampf gegen Rechtsextremismus ist Christenpflicht.“
Das Internet ist ein beliebtes Tummelfeld für Rechtsextreme; dort finden sie fast ideale Bedingungen für das, was sie »Wortergreifungsstrategie« nennen. Sie können unerkannt bleiben, sich hinter Fantasienamen verstecken, und sie brauchen nicht einmal eine Mehrheit, um Onlineforen zu beherrschen. Oft sind sie lauter, hartnäckiger und ausdauernder als Normalleser. So mancher offensichtlich Rechtsextreme meldete sich nach der Sperrung seines Nutzerkontos gleich mehrfach mit neuen Namen an. Ein Leser nannte solche Methoden »die Cyber-SA«.
Geschickter scheint es, sich zu tarnen. Das rechtsextreme Thiazi-Netz gab kürzlich explizite Ratschläge für braune Aktivisten: „Outest Du Dich als ?einer von uns? wird man Dir nie richtig zuhören und Deine Beiträge ggf. sogar löschen. Besser wäre es, sich zu ihnen zu gesellen, sei einer von ihnen, sei naiv, sei demokratisch, sei systemtreu!“ Häufig versuchen Rechtsextreme, durch unverfänglich daherkommende Fragen oder provokante Thesen vom Thema abzulenken. In dem erwähnten Forum zum Verhalten auf einem Dorffest etwa versuchte ein Saboteur den Einwurf: „Was ist an Rechten soooo schlimm?“ Als an anderer Stelle ein Vater wissen wollte, wie er mit seinem rechtsextremen Sohn umgehen solle, wurde offensichtlich zur Ablenkung die Frage gestellt, ab wann denn jemand rechtsextrem sei. Ein anderer zog die Rechts-links-Karte: „Ist es nicht generell ein Unglück wenn ein Kind in den Extremismus abgleitet? (?) Gefahren durch überhöhten Drogen- und Alkoholkonsum drohen ja wohl in erster Linie im linken Spektrum.“
In einer Debatte über rechtsextreme Ideologien wollte ein Nutzer folgende Ansicht unterbringen, die aber unterbunden wurde: „Im Dritten Reich gab es prozentual mehr Ausländer als in der BRD. Allerdings waren sie nicht aus dem islamischen Kulturkreis, sondern aus dem christlichen. Und sie wussten: Hier muss man sich integrieren.“ Schnell hätte er es geschafft, sich wütende Kommentare einzuhandeln ? und damit zwei Ziele erreicht: Das eigentliche Thema wäre umschifft. Und das Diskussionsklima aggressiv genug, um einige demokratische Nutzer davon abzuhalten, selbst zu kommentieren. „Unauffällig sondieren, keine großartigen Diskussionen, kurze, knappe Finten“, fasste ein genervter Leser das Auftreten eines gegnerischen Diskutanten zusammen, „vor allem aber kein einziger vernünftiger Kommentar zu den gestellten Fragen.“
Man kann jedenfalls, so ein Fazit, nicht gleichzeitig mit Rechtsextremen und über Rechtsextreme reden. Natürlich kann es gelegentlich sinnvoll sein, mit Neonazis zu diskutieren: Aber die wenigsten wird man dadurch von ihrer Ideologie abbringen. Solche Diskussionen sind eher Schaukämpfe, um rechtsextreme Agitation zu widerlegen oder bloßzustellen ? und das bisweilen unentschlossene Publikum auf die demokratische Seite zu ziehen. Sollen dagegen konstruktive (und durchaus kontroverse) Debatten über den richtigen Umgang mit Rechtsextremisten entstehen, muss man diese davon ausschließen, denn sie werden immer versuchen zu stören.
Beim »Netz gegen Nazis« arbeiten deshalb – neben einer vierköpfigen Redaktion für aktuelle Berichte und Lexikontexte zum Thema – acht professionelle Moderatoren, die 16 Stunden täglich die Foren betreuen. Sie überprüfen jede einzelne Wortmeldung und weisen Leser auf ähnliche Debatten an anderer Stelle hin, sie mahnen bei hitzigen Wortwechseln zu Ruhe, sie löschen Beiträge, die vom Thema wegführen oder offen rechtsextrem sind ? und sie werfen nach mehrmaliger Ermahnung eben auch hartnäckige Störer raus.
Rechtsextreme jammern über »Meinungsdiktatur« in den Foren
Bereits zum Start des Portals wurden transparente Debattenregeln formuliert und auf der Internetseite veröffentlicht, nach denen etwa rassistische Beiträge gelöscht werden. Rechtsextreme jammern, sobald sie in die Defensive geraten, über »Meinungsdiktatur« oder »Gesinnungsterror«. »Diese Seite ist totalitär und faschistisch«, pöbelte ein Nutzer, als er nicht über linken Antisemitismus diskutieren durfte.
Das betreffende Forum hatte ein orthodoxer Jude aus Berlin-Schöneberg eröffnet. Er habe Angst vor Neonazis, schrieb er, und denke daran auszuwandern. Offensichtlich Rechtsextreme versuchten dann, das Thema auf den Antisemitismus von Linken oder arabischen Jugendlichen hinzudrehen. Aber die anderen Nutzer und auch der Fragesteller stiegen darauf nicht ein. Dutzende Nutzer bekundeten ihre Solidarität, und einer bat: „Denke daran, dass, wenn du freiwillig gehst, haben die genau das erreicht, was sie erreichen wollten. Wenn du uns in Deutschland erhalten bleibst, bereicherst du unsere Kultur, erweiterst du unsere Horizonte und bleibst ein Teil unserer Identität.“ Am Ende der Debatte schrieb der Jude: „Vielen Dank, Deutschland!!!“