Eigentlich sollte der Plauener Bürgerpreis besonderes gesellschaftliches Engagement im sächsischen Landkreis würdigen. Am 14. Oktober 2022 zeichnete die Stadt die fünf diesjährigen Gewinner*innen aus, zwei Bürger erhielten außerdem die Stadtplakette als zweithöchste Ehrung der Stadt. Der dotierte Preis wird von der Stiftung der Sparkasse im Rahmen ihrer Initiative „Ein Herz fürs Vogtland“ gefördert. Die Stiftung übernehme „gesellschaftliche Verantwortung für die Region“, heißt es in ihren eigenen Worten.
Zu den Preisträgern dieses Jahr gehört aber auch der Verein „KALEB Vogtland e.V.“. Und dass es sich dabei um einen regionalen Ableger einer bundesweiten Organisation von Abtreibungsgegner*innen handelt, scheint weder der Stiftung der Sparkasse noch der Stadt Plauen ein Dorn im Auge zu sein.
1990 wurde „KALEB“ in Leipzig gegründet, heute besteht die Organisation aus 35 regionalen Anlaufstellen. Dabei liegt der Großteil der Anlaufstellen in Ostdeutschland. Allein in Sachsen gibt es elf Anlaufstellen. Der 2015 von Petra Weigert gegründete „KALEB Vogtland e.V.“ ist einer davon.
Der Name ist eine Abkürzung von „Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren“. Der Verein ist Mitglied in dem bundesweiten Netzwerk von sogenannten Lebensschützer*innen, dem „Bundesverband Lebensrecht“, und Teil des „Treffens Christlicher Lebensrecht-Gruppen“. Laut eigener Aussagen kooperiert „KALEB“ mit anderen „Lebensschutz“-Organisationen zusammen, wie der „Aktion Lebensrecht für Alle“.
Von „Kindestötung“ zu „Mord“
Das Netzwerk, von dem „KALEB“ Teil ist, besteht aus christlich motivierten, reaktionären Abtreibungsgegner*innen, die sich gegen das Recht auf Selbstbestimmung von Menschen mit Uterus aussprechen. Sie bezeichnen Abtreibung als „Kindstötung“ und „Mord“. Das Ziel des „Bundesverband Lebensrecht“: ein „Europa ohne Euthanasie und Abtreibung“.
Sowohl in Deutschland als auch international nehmen Anhänger*innen der sogenannten „Lebensschutz-Bewegung“ eine besonders radikale Position unter Abtreibungsgegner*innen ein. Vertreter*innen sprechen sich gegen das Recht auf Abtreibung aus – und für starke Restriktionen bis hin zum Verbot. Ihre Argumentationen gegen das Recht auf Selbstbestimmung gehen oftmals mit regressiven, reaktionären Vorstellungen von Geschlechterrollen und Sexualität einher. So setzen sich Lebensschützer*innen auch gegen Aufklärungsprojekte zu Sexualität für Kinder und Jugendliche ein. Verschwörungsideologische Motive und Narrative, wie die Mär der drohenden „Frühsexualisierung“, aber auch Holocaust-Relativierungen wie die Benennung von Abtreibungen als „Babycaust“, sind im Auftreten und der Bewerbung ihrer antifeministischen Ideen dabei keine Einzelfälle.
Die „Lebensschutz-Bewegung“ kommt ursprünglich aus den USA. Ihre Mitglieder sind mehrheitlich christlich-konservativ geprägt. In Deutschland gibt es außerdem inhaltliche und personelle Überschneidungen zu völkisch-nationalen Bewegungen, welche in Abtreibungen und der Liberalisierung von Geschlechterrollen eine Gefährdung der Reproduktion des „deutschen Volkskörpers“ sehen.
Moralischer Druck
„KALEB“ selbst bezeichnet sich als „Beratungsstelle“, verfügt allerdings über keine staatliche Anerkennung für Schwangerschaftskonfliktberatung und darf deshalb keine Beratungsscheine ausstellen. In einer Undercover-Doku des MDR aus dem Jahr 2021 wurden Vorwürfe gegen die „KALEB“-Beratungsstellen in Chemnitz und Dresden laut. Schwangere würden in den Beratungen moralisch unter Druck gesetzt, statt in ihrer freien Selbstbestimmung unterstützt zu werden.
Liest man sich die Selbstbeschreibung des Vereins durch, wundert dies kaum. So schreibt der Verein in seiner Satzung aus dem Jahr 2022 ganz klar, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vom Grundsatz her ablehnen. Der Schutz des ungeborenen Lebens – oder in Worten des Vereins: des „Kindes“ – stehe für sie an der ersten Stelle. Weiter heißt es: „Vielleicht gibt es in Deinem Herzen noch eine weitere Stimme: ‚… Ich möchte das unschuldige Kind nicht töten‘“.
Der Bibelgürtel des Ostens
„KALEB“ ist vor allem in Westsachsen und dem Erzgebirge Teil eines konservativ, teils fundamentalistischen Netzwerks evangelikaler Christ*innen. In Abgrenzung zum Großteil von Ostdeutschland existiert hier ein regelrechter „Bibelgürtel“, bestehend aus einer christlich-konservativen Mehrheitsgesellschaft. Ausdruck dieser ist nicht zuletzt der jährlich stattfindende „Schweigemarsch für das Leben“, ein Aufmarsch von Abtreibungsgegner*innen in Annaberg-Buchholz. Dieser wurde ursprünglich von CDU-Mitgliedern angemeldet und organisiert. Auf dem Aufmarsch zeigen sich auch personelle Verbindungen in die radikale Rechte. Neben evangelikalen Fundamentalist*innen haben an dieser Veranstaltung in Vergangenheit bereits organisierte Neonazis teilgenommen. Einer der prominenteren Redner des Aufmarsches, Pfarrer Dr. Theo Lehmann, trat auch mehrfach als Redner auf „Pegida“-Demonstrationen auf.
Auf parteipolitischer Ebene ist die Klientel der Abtreibungsgegner*innen traditionell an die rechtskonservativen Teile der sächsischen CDU angegliedert, wandert in den letzten Jahren aber auch zunehmend zur AfD über. Die Sympathie der CDU gegenüber den organisierten Abtreibungsgegner*innen dürfte auch für die Verleihung des Bürgerpreises an „KALEB Vogtland“ ausschlaggebend gewesen sein. Laut der Stiftung der Sparkasse sind es die Kommunen selbst, die über die Nominierten sowie über die Gewinner des Bürgerpreises entscheiden. Seit September 2021 stellt die CDU nicht nur den Oberbürgermeister Stefan Zenner, sondern mit Tobias Kämpf auch den Kulturbürgermeister.
Die Zugewandtheit der vogtländischen CDU zur rechtskonservativen „Werteunion“ drückte sich nicht zuletzt durch den Besuch von Hans-Georg Maaßen 2019 in Plauen aus. Neben der „Jungen Union Vogtland“, die bei „KALEB“ in Plauen zu Besuch war und sich in einem Facebook-Post begeistert über dessen Arbeit auslässt, scheint auch der neue Kulturbürgermeister Kämpf Fan von dem Verein und dessen Weltanschauung zu sein. Ein Blick auf seine Facebook-Seite verrät schnell, wie es um dessen Position gegenüber dem Recht auf reproduktive Selbstbestimmung steht: Neben Werbung für den sogenannten „Marsch für das Leben“ in Berlin, dem größten jährlichen Auftritt von Abtreibungsgegner*innen in Deutschland, teilte Kämpf auch einen Post vom Verein „Durchblick“, in dem Abtreibung als „Kindstötung“ bezeichnet wird.
Kein Ausrutscher
Es ist nicht das erste Mal, dass „KALEB Vogtland“ für sein „soziales Engagement“ in Plauen geehrt wird. Bereits 2017 wurde die Gründerin Petra Weigert mit dem „Ehrenamtspokal Vogtlandkreis“ für „außerordentliche Leistungen im Ehrenamt“ ausgezeichnet. Und damit ist der Plauener Vereinsableger nicht allein. Auch in Dresden erhielt der „KALEB“ 2020 den Bürgerpreis der Stiftung Sparkasse.
Neben der öffentlichen Anerkennung gehen diese Ehrungen auch immer mit Preisgeldern einher. So wird nicht nur das reaktionäre Gesicht des Vereins unter dem Deckmantel „sozialen Engagements“ verschleiert, sondern auch eine Normalisierung von antifeministischen Positionen befeuert und finanziert. Und dabei gibt es im Vogtland, sowie in ganz Sachsen, Vereine und Einzelpersonen, die sich ehrenamtlich für eine bunte, diverse und freie Gesellschaft einsetzen, in der jede*r über den eigenen Körper selbst bestimmen darf. Solange regressive Bestrebungen, wie die der „Lebensschutzbewegung“ mit öffentlichen Geldern gefördert und honoriert werden, hat dieses pluralistische, demokratische Engagement aber im Vergleich immer schlechtere Karten.
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