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Volk als Mythos

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Aufgeklärtere Rechtsextremisten halten zwar an einem biologischen Volksbegriff fest, argumentieren aber, nachdem sie ihr Rassenbekenntnis abgelegt haben, kulturell. Der Euro-Kurier, eine Verlagszeitschrift des auschwitzleugnenden Grabert-Verlags, fragt in seiner Ausgabe vom August 2001 rhetorisch: „Sind Begriffe wie ?Volk?, ?Nation?, ?Staat? und ?Reich? angesichts der Pax Americana nicht ohnehin bloße Theorie…?? (Hervorhebung im Original). Zur Klärung dieser Begriffe verliert der dreiseitige Artikel kein einziges Wort. Stattdessen wettert er gegen die „Konsumspießer“, das Fast-food-Essen, den Beschiss an Kleinaktionären der Telekom, den Niedergang der deutschen Sprache und das Internet und schimpft auf Adorno, den ?Prediger der Frank-furter Schule?. Ein Volk, das dadurch gefährdet ist, dass es bei McDonald isst, hat keine von einer ?eiserner Logik der Naturgesetze? (Hitler 1944) geschützte biologische Substanz, wie sie der biologische Rassismus noch selbstverständlich voraussetzte.

Das Deutsche Kolleg, dessen Köpfe die linken Renegaten Reinhold Oberlercher und Horst Mahler sind, ist sich dieser Problematik bewusst und bestimmt „Volk“ als „Gemeinschaft von Abstammung, Sprache und Schicksal?. Das „Deutsche Volk“ ist „das gemein-germanische Volk“ (Deutsches Kolleg: „Reformation der NPD“). Zwar spricht Mahler ohne Umschweife von Rasse, er weiß aber, dass er diesen Begriff nicht biologisch definieren kann. Es sei der Fehler des „historischen Nationalsozialismus“ gewesen, „die völkische Lebensordnung einseitig nur als biologische Überlebensstrategie? zu begreifen. In „Verflossene Freundschaften?? spricht Mahler von „ehernen Naturgesetzen?, denen die rassistisch-sozialdarwinistische Doktrin anhing. Er gibt, obwohl er den Begriff in Anführungszeichen setzt, keine Quelle an; wahrscheinlich bezieht er sich auf die ähnliche, oben zitierte Stelle in ?Mein Kampf?. Mahler möchte diese Denkweise überwinden.

„Volk“ ist der Zentralbegriff in Mahlers politischer Philosophie. Er spricht vom „Volk“ als einer unveränderlichen Größe. „Wir“ sind „Germanische Krieger“ und gehören zu einer „germanischen Volksgemeinschaft“ („Offener Brief an Daniel Goldhagen“). Diese Kontinuität über Jahrtausende kann es aber nicht geben, am wenigsten, wenn man, wie Mahler, „Volk“ kulturell definiert. Kultur ist nicht konstant, und sie ist äußeren Einflüssen ausgesetzt. Wenn, wie bei allen hier gezeigten Beispielen, „Volk“ kulturell definiert wird, geht der rassenbiologische, auf Substanz bezogene Inhalt des traditionellen Volksbegriffs verloren. Im heutigen Rechtsextremismus ist „Volk“ endgültig zum Mythos geworden.
Mahlers Volksbegriff ist im Kern antisemitisch. Mahler stellt der „germanischen Volksgemeinschaft? die ?Zersetzer der Sittlichkeit? (die Juden) gegenüber (Mahler: „Ausrufung des Aufstands der Anständigen? und Mahler: ?Endlösung der Judenfrage?). Der germanische und der jüdische Geist werden bei Mahler zu Grundprinzipien, die in einem ewigen und universellen Krieg miteinander liegen (ähnlich bei Hitler 1944). Nach Mahler ist die Geschichte ?der Kampf des zersetzenden Jüdischen Geistes gegen den sittlichen Geist der Germanen? (Mahler: ?Gotteserkenntnis statt Judenhass?), eine typisch dualistisch-mythologische Denkfigur. Dieser Dualismus von Gut und Böse ist ein uraltes my-thologisches Motiv. Wenn Mahler, ohne dies je zu begründen, in der Bevölkerung der Bun-desrepublik Deutschland eine ?germanische Volksgemeinschaft? ausmacht, rechtfertigt er seinen Nationalismus und Antisemitismus durch mythologische Figuren.

Mahler vermengt seine Mythologisierungen mit einer Art religiöser Sinnstiftung: Den Toten des Zweiten Weltkrieges will er „wieder einen Sinn […] geben?, indem die Nach-kriegsordnung rückgängig gemacht wird (Mahler: „Recht und Pflicht zu Krieg und Frieden“). Hier hat ein pseudoreligiöses Motiv Vorrang vor der politischen Analyse. In seinem „Pflichtheft der Deutschen“ lässt Mahler etwas wie eine exklusive Offenbarung anklingen, ein klassisches esoterisches Motiv: „Wisse, dass unserem Volk die Wissenschaft als Wissen vom absoluten Geist gegeben ist (…) Also verfluche nicht den Feind, sondern schließe ihn in deine Gebete ein, auf dass er des Wissens vom absoluten Geist teilhaftig werde.?

Dieser Auszug des Essays „Mythologie und Okkultismus bei den deutschen Rechtsextremen“ ist aus dem Buch Handbuch Rechtsradikalismus, Thomas Grumke und Bernd Wagner (Hrsg.), Leske + Budrich, 2002

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