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Von braun zu schwarz Großrückerswalder NPD-Gemeinderat tritt für CDU an

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Ortsteil Boden der Gemeinde Großrückerswalde, wo die NPD mit 13 Prozent im Gemeinderat vertreten ist. (Quelle: Aagnverglaser / Wikipedia)

Von braun zu schwarz

Bei dem (Noch-)NPD-Gemeinderat handelt es sich um Sandrino Zießler. Der selbstständige Kfz-Mechaniker sitzt seit 2009 für die NPD im Großrückerswalder Gemeinderat, ist aber kein Mitglied der rechtsextremen Partei. Es war die Idee der Großrückerswalder CDU, auf Zießler zuzugehen. Der 41-jährige Zießler kommt aus dem Ortsteil Niederschmiedeberg, indem die CDU mit Mitgliedermangel kämpft. Der Bürgermeister Jörg Stephan (CDU) sagte der Freien Presse, Zießler habe mit den Zielen der NPD nichts am Hut und hätte nie menschenverachtende oder rechtsgerichtete Gedanken geäußert.

Der NPD-Gemeinderat selbst sagte der Lokalzeitung „Freie Presse“, über einen Freund auf die NPD-Liste gekommen zu sein, weil die „Leute gebraucht“ hätten und sich nicht mit allen Zielen der NPD identifizieren zu können. Dennoch sei er stolz auf sein Land und sehe etwa einen Zusammenhang zwischen der Öffnung der EU-Grenzen und einem Anstieg der Kriminalität. Zudem sei er gegen den Missbrauch der Sozialsysteme. Positionen, die er offenbar in allen rechten Parteien vertreten sieht.

Zießler wollte ursprünglich zur AfD

Denn: Zießler  ursprünglich zur AfD wechseln. Der sächsische Landesverband lehnte seinen Antrag aber ab. Der erfolgreiche Anwerbeversuch der CDU ist ein gefundenes Fressen für die AfDler, die sich darüber in einer Pressemitteilung mockierten: „Die AFD hatte jedoch von Anbeginn an eine Parteimitgliedschaft ehemaliger NPD?Mitgliedern und Angehörigen anderer, unter Extremismusverdacht stehender Organisationen ausgeschlossen. Umso bestürzter sind wir, dass ein NPD?Gemeinderat in Großrückerswalde von der NPD?Liste zur CDU wechselt und dort willkommen ist“, kommentiert AfD-Landesvize Carsten Hütter. Schließlich wird sonst eher der AfD vorgeworfen, am rechten Rand zu fischen. Wobei die AfD noch nie ein NPD-Mitglied aufgenommen hat, sondern nur ehemalige Mitglieder aus rechtspopulistischer Kleinparteien wie „Die Freiheit“. Außerhalb von Großrückerswalde löst die CDU-Entscheidung für Zießler Kopfschütteln aus: Im sächsischen Landtag gilt schließlich ein Konsens der demokratischen Parteien, nicht mit der NPD zusammenzuarbeiten.

Kritik von SPD und Grünen

SPD und Grüne kritisieren das „Abwerben“ Zießlers durch die örtliche CDU heftig. Der Landesparteirat von Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen bemängelt eine wenig glaubhafte Distanzierung Zießlers von der Nazi-Ideologie der NPD, insbesondere da er seinen NPD-Gemeinderatssitz bis zur kommenden Wahl nicht aufgeben will. An die Landes-CDU richteten die Grünen die frage: „Ist es eine politische Strategie der sächsischen CDU, ihre Reihen politisch um Meinungsbilder aus dem Umfeld der NPD kritisch zu erweitern oder hat sie eine Art politisches NPD-Aussteigerprogramm entwickelt, ohne die Kriterien für ein Engagement für und in einer demokratischen Partei klar festzulegen?“

Der sächsische SPD-Chef Martin Dulig sagte dem Tagesspiegel: „Es stellt sich schon die Frage, ob jemand ohne Denkpause von einer rechtsextremen zu einer demokratischen Partei wechseln kann und dann auch noch ein politisches Amt ausüben sollte. Es ist fraglich, ob die Läuterung im Kopf tatsächlich ernst gemeint ist.“ Die CDU sei „gut beraten hier sehr genau aufzupassen, dass nicht ein Wolf im Schafspelz bei ihr unterkommt“.

Auf Anfrage des Tagesspiegels sagte der sächsische CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer, dass ihn die Nachricht aus Großrückerswalde auch habe aufhorchen lassen. Trotzdem wolle er die Kandidatur des NPD-Gemeindevertreters nicht ausdrücklich als falsch kritisieren und verweist darauf, dass Zießler kein NPD-Mitglied gewesen sei.

MBT kritisiert „schräge Logik“ der CDU

Jens Paßlack vom Mobilen Beratungsteam (MBT) – Regionalbüro Südwest, dessen Träger das Kulturbüro Sachsen ist, sieht in dem Abwerben eines NPDlers durch die CDU eine neue Qualität im Umgang demokratischer Parteien mit der rechtsextremen NPD. Eigentlich gelte es in der sächsischen Politik als Tabu, mit der NPD zusammenzuarbeiten. Während dies auf Landtagsebene noch gut klappt, werde auf Kreistags- oder Gemeinderatsebene dieses Tabu oft gebrochen. Regelmäßig erhielten NPD-Anträge mehr Stimmen, als die Rechtsextremen an Mandaten haben. Die Argumentation der Großrückerswalder CDU, nach der das Abwerben von Zießler in Ordnung wäre, da dieser niemals NPD-Mitglied gewesen wäre, hält Paßlack für eine „schräge Logik“. Schließlich sei eine Mitgliedschaft nur ein rein formales Kriterium und die Nicht-Mitgliedschaft in der NPD somit keine hinreichende Rechtfertigung, mit Rechtsextremen zusammenzuarbeiten. Außerdem könnte man dieser Logik folgend auch „Freie Kräfte“ aus der Kameradschaftsszene auf seine Liste aufnehmen, denn diese seien selten offizielles Mitglied einer rechtsextremen Partei.

Hochburg der Rechtsextremen

Großrückerswalde kann ebenso wie der gesamte Erzgebirgskreis durchaus als Hochburg der Rechtsextremen bezeichnet werden. Im Gemeinderat ist neben der CDU mit 62,8% und der FDP mit 24,2% auch die NPD mit 13% vertreten. Bei den Landtagswahlen 2009 kam die NPD in Großrückerswalde auf zehn Prozent. Bei den Landtagswahlen 2004, als die NPD erstmals seit 36 Jahren wieder in einen Landtag einziehen konnte, stimmten gar 19 Prozent der Großrückerswalder Wähler*innen für die Neonazis, die hier ihr sachsenweit drittbestes Ergebnis einfahren konnten. Im Ortsteil Niederschmiedeberg, aus dem Zießler kommt, erreichte die NPD damals sogar über 30 Prozent. Eine offene rechte Szene wollte Bürgermeister Jörg Stephan (CDU) bezeichnenderweise schon 2009 nicht erkennen: „Da stehen mal welche an der Bushaltestelle zur Ausfahrt nach Dresden, solche Sachen, sonst aber nichts“, sagte er damals der Freien Presse.

Jens Paßlack vom MBT erwartet allerdings, dass die AfD der NPD bei den nächsten Wahlen in Sachsen massiv Stimmen abwerben wird. Auch die innerparteilichen Querelen um Holger Apfels Abgang könnten die NPD schwächen.

NPD als schlechter Verlierer

Als schlechter „Verlierer“  erweist sich auch in dieser Geschichte übrigens die NPD, die ihrer illoyalen, antikameradschaftlichen Gesinnung mit einem Statement zum Vorfall im Internet gerecht wird:  Darin bezeichnet Stefan Hartung, Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Erzgebirge, es als „Fehler“, Zießler für die NPD nominiert zu haben, und nennt ihn einen „Total-Ausfall“. Zwar habe der vor der Nominierung an „nur einem politischen Lager zuordbaren Treffen“ teilgenommen und gern „Thor Steinar“ getragen, dann aber wenig im NPD-Sinne im Gemeinderat bewegt: „Lediglich auf Musikkonzerten wie z.B. des nationalen Liedermachers Frank Rennicke und weiterhin örtlichen Zusammenkünften der „Szene“ habe man ihn Berichten zufolge gesichtet.“

Und die CDU?

Die Landes-CDU, die sich in den vergangenen Jahren den Kampf gegen Rechtsextremismus in Sachsen durchaus auf die Fahnen geschrieben hatte, gibt sich bedeckt. Laut „Tagesspiegel“ kommentierte Generalsekretär Michael Kretschmer: „Die Nachricht hat mich auch aufhorchen lassen.“ Die Kandidatur des NPD-Gemeindevertreters in Großrückerswalde auf der CDU-Liste wollte er dennoch nicht ausdrücklich als falsch kritisieren. Zum einen sei der Mann kein NPD-Mitglied gewesen. Zum anderen müsse die Entscheidung im Kontext mit dem auch dort sichtbaren „Zerfall der NPD“ betrachtet werden.

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