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Wahlkampfarena TikTok Die AfD verliert ihre Dominanz – zumindest offiziell

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Parteien und Schattenaccounts nutzen TikTok im Bundestagswahlkampf 2025 um Wähler*innen zu erreichen. (Quelle: Pixabay und Canva)

Innerhalb weniger Jahre hat sich TikTok zu einem zentralen politischen Mobilisierungsinstrument entwickelt. Auch die AfD hat die Plattform frühzeitig für sich entdeckt. Medienberichte zeichnen das Bild einer nahezu uneingeschränkten Dominanz der Partei auf TikTok. Doch ist das wirklich noch der Fall? Oder haben andere Parteien inzwischen aufgeholt?

Um systematisch zu untersuchen, wie politische Parteien auf TikTok agieren, haben wir im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojektes der Amadeu Antonio Stiftung und des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts zu extrem rechter und verschwörungsideologischer Mobilisierung in Sachsen über die offizielle TikTok-Research-API Daten gesammelt. Die API ermöglicht den Abruf von Metadaten zu den veröffentlichten Videos, also unter anderem die Anzahl der Views, Likes, Shares, Hashtags und Kommentare. Zudem können Informationen zu Accounts, einschließlich Follower-Zahlen und verifiziertem Status erfasst werden. Zur Datenerhebung wurde die Liste aktueller TikTok-Accounts deutscher Politiker*innen von Martin Fuchs genutzt. Diese Liste ist umfangreich, hegt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom 1. Dezember 2024 bis zum 12. Januar 2025 und deckt damit den Vorlauf zur heißen Phase des Bundestagswahlkampfs ab.

Entzauberung des AfD-Erfolgs

Die Ergebnisse zeigen: Die AfD hat zwar immer noch die meisten Follows, aber die Konkurrenz holt auf. Besonders Heidi Reichinnek (Die Linke) ragt heraus – sie liegt bei der Anzahl der Likes sogar auf Platz 1 (Abbildung 1) und bei den Follows auf Platz 7. Auch das „Teambundeskanzler“-Profil von Olaf Scholz (SPD) zeigt, dass andere Parteien zunehmend auf TikTok aktiv und erfolgreich sind. Alice Weidel (AfD) bleibt zwar die meistgefolgte Politikerin (Abbildung 2), aber der Vorsprung schrumpft.

Abbildung 1: Accounts nach Likes Stand 12.01.2025
Abbildung 2: Accounts nach Follower Stand 12.01.2025

Ein weiterer, aus unserer Sicht wichtiger, Maßstab ist die Gesamtreichweite der im Bundestag vertretenen Parteien. Abbildung 3 zeigt, wie die Gesamtheit der offiziell bekannten Accounts je Partei performen. Auf der x-Achse ist die Gesamtanzahl der Views je Partei dargestellt, während die y-Achse die Anzahl der veröffentlichten Videos je Partei angibt. Die Größe der Kreise entspricht der Gesamtanzahl der Follows. Dadurch lässt sich erkennen, welche Parteien besonders aktiv Inhalte veröffentlichen und welche Parteien mit vergleichsweise wenigen Videos und wenigen Follows hohe Reichweiten erzielen.

Abbildung 3: Erfolg der Parteien (Summe aller Views) auf TikTok 1.12.2024 – 12.01.2025

Insgesamt zeigt sich, dass die AfD derzeit noch die meisten Views generiert, aber insbesondere die SPD trotz geringerer Follow-Anzahl stark aufgeholt hat. Interessanterweise erhält die FDP trotz vergleichsweise weniger Follows eine hohe Anzahl an Views.

Schattenaccounts: Ein unsichtbares Netzwerk?

Doch nicht nur offizielle Partei-Accounts spielen in den sozialen Medien eine Rolle. In einem zweiten Arbeitsschritt beobachten wir Accounts, die politischen Content verbreiten, ohne offiziell einer Partei anzugehören. Die Influencerin Laura Melina Berling stellte in einem Selbstversuch fest, dass TikTok bestimmten User*innen verstärkt AfD-freundliche Inhalte vorschlägt. Um diesen Content systematisch zu analysieren, haben wir Daten zu Videos mit parteispezifischen Hashtags (Parteinamen, Namen der Spitzenkandidierenden) von inoffiziellen Accounts ebenfalls analysiert.

Abbildung 4: Anzahl von TikToks nicht parteizugehöriger Accounts mit Bezug auf die jeweiligen Parteien im Zeitverlauf
Abbildung 5: Anzahl von TikToks nicht parteizugehöriger Accounts, OHNE AfD, mit Bezug auf die jeweiligen Parteien im Zeitverlauf

Die Ergebnisse sind eindeutig (Abbildung 4): Täglich erscheinen bis zu 2000 TikTok-Videos mit Bezug zur AfD. Der Höchstwert liegt somit bei etwa dem Vierzehnfachen des höchsten Werts für die Linkspartei (ca. 140 Videos). Diese enorme Menge an AfD-bezogenen Videos überdeckt die Sichtbarkeit anderer Parteien nicht nur auf TikTok, sondern auch in unserer Abbildung. Deshalb haben wir in Abbildung 5 noch einmal, dieselben Daten ohne AfD-Content dargestellt. Tendenziell werden Linke, SPD und auch die Grünen etwas häufiger thematisiert, FDP, Union und BSW seltener. Spitzen des AfD-Contents lassen sich zu den Anschlägen in Magdeburg und Aschaffenburg feststellen. Dass das Gespräch zwischen Elon Musk und Alice Weidel auf X für erhöhte Aufmerksamkeit zu Gunsten der AfD sorgte, zeigte auch eine Veröffentlichung in der FAZ. Stichproben zeigen, dass ein Großteil des Contents sehr einfach gestaltet ist: Häufiger handelt es sich um Standbilder mit AfD-Werbung, unterlegt mit Background-Footage, Effekten, Sounds und zahlreichen Hashtags. Auffällig ist auch, dass die Ausschläge bei AfD-Content kurz nach den betreffenden Events noch weiter und sehr deutlich ansteigen, bei den anderen Parteien jedoch nach dem Peak während des Events wieder absacken. Unklar bleibt, ob diese Vielzahl der AfD-Videos automatisiert generiert wird.

In diesem Zusammenhang ist auch die große Differenz in der Anzahl der „Fan-Accounts“ auffällig. Während wir für die demokratischen Parteien zwischen 74 (BSW) und 873 (SPD) solcher Accounts registrierten, waren es für die AfD im selben Zeitraum 12.790. Während unserer Untersuchung fiel außerdem auf: Viele „AfD-Fanseiten“ verschwinden plötzlich aus der TikTok-API. Die Plattform scheint aktiv zu werden und auffällige Accounts zu löschen.

In die Analyse wurden keine TikToks einbezogen, die mit Hashtags Bezug zu mehreren Parteien gleichzeitig herstellen. So kann aber durch sogenanntes Hashtag-Hijacking Content in andere Themen eingeschleust werden. Bei der Untersuchung wurden ebenso sehr viele TikToks dieses Typs festgestellt.

Kommentaranalyse: Wie reagieren Nutzer*innen?

Reichweite alleine bedeutet noch nicht unbedingt Erfolg im Sinne von höherer Zustimmung. Wie wird also der Content der Parteien aufgenommen? Um dies zu untersuchen, werteten wir alle Kommentare unter den Videos der offiziellen Partei-Accounts automatisiert aus. Mithilfe einer sogenannten Sentiment-Analyse teilten wir diese in negativ, neutral und positiv ein. Es handelt sich hierbei um ein statistisches Verfahren mit den üblichen Irrtumswahrscheinlichkeiten. Die Analyse verschafft uns aber einen aussagekräftigen Überblick.

Abbildung 6: Sentiment-Analyse der Kommentare unter TikToks von Partei-Accounts

Die meisten Kommentare entfielen auf Videos der AfD, wobei über die Hälfte der Reaktionen positiv eingeordnet wurde und nur etwa ein Drittel negativ. Die zweitmeisten Kommentare entfielen auf die SPD – hier war fast die Hälfte negativ konnotiert. Ähnlich sieht es bei den Grünen und der FDP aus, wo ebenfalls etwa 50 Prozent der Kommentare negativ eingeordnet wurden. Bei der CDU/CSU sind es fast zwei Drittel negative Kommentare. Leider erlaubt es die TikTok-API nicht, die Accounts hinter den Kommentaren nachzuvollziehen, sodass unklar bleibt, ob hier gezielte Kampagnen gegen bzw. für die jeweiligen Parteien Stimmung machen.

Fazit: Kein Monopol der AfD, aber fragwürdige Strukturen

Schon im Bundestagswahlkampf 2017 und dann auch 2021 war die AfD besonders erfolgreich auf Facebook. Auch auf TikTok konnte die extrem rechte Partei gerade unter jungen Menschen viel Reichweite generieren. Insgesamt zeigt die Forschung, dass rechtsextreme Akteure einen Vorteil in den sozialen Medien haben. Ein Grund hierfür ist die Kompatibilität zwischen populistischer Agitation und den Plattformlogiken, deren Algorithmen belohnen, was Aufmerksamkeit generiert. Vor allem sind das Emotionen.

Unsere Analyse zeigt aber, dass andere Parteien, insbesondere SPD, Linke und FDP, aufholen. Sie sind also durchaus in der Lage, ihre Kommunikation den sozialen Medien anzupassen. Das Narrativ, die AfD sei die unangefochtene TikTok-Partei, lässt sich im Winter 2024-2025 nicht mehr bestätigen. Fraglich bleibt zwar, ob die zunehmende Verlagerung der politischen Debatte auf soziale Plattformen – deren Algorithmen und Geschäftsmodelle intransparent bleiben – der Qualität zuträglich ist. Zumindest aber ist der Erfolg der extremen Rechten kein Automatismus, der sich mit dem Verweis auf „die sozialen Medien“ hinreichend erklären lässt.

Grund zur Entwarnung gibt es keinen: Die Masse an nicht-offiziellen Accounts, die pro-AfD-Content verbreiten, wirft Fragen auf. Es gibt Hinweise auf koordinierte Kampagnen, womöglich auch aus dem Ausland. Die Gefahr gezielter Desinformationsstrategien, wie sie in Rumänien bereits sichtbar wurden, sollte nicht unterschätzt werden. Hier ist TikTok in der Pflicht, Manipulationsversuche frühzeitig zu unterbinden.

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