1.) Zschäpes Jugend in Jena
In den 1990er Jahren verkehrt Beate Zschäpe als Jugendliche im Jenaer „Winzerclub“. Im Umfeld des Jugendclubs im Stadtteil Winzerla kommt sie in Kontakt mit der rechtsextremen Szene und lernt ihre späteren Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, sowie spätere Unterstützer/innen des NSU kennen. Nach Angaben eines Sozialarbeiters antwortet die 17-jährige Zschäpe auf die Frage nach ihrem Berufswunsch: „Zuerst einmal müssen die Ausländer weg.“ Zschäpe gibt hier offenbar bereits einen Ausblick auf ihr Erwachsenenleben. Erste Warnzeichen sind also vorhanden, führen jedoch nicht zu wirksamen Konsequenzen.
2.) Zschäpes Radikalisierung in rechtsextremen Organisationen in Thüringen
Mit anderen Thüringer Neonazis bildet Beate Zschäpe die „Kameradschaft Jena“, beteiligt sich bis 1998 an bundesweiten Aufmärschen der Neonazi-Szene und an Aktionen der „Anti-Antifa Ostthüringen“ und deren Nachfolgeorganisation „Thüringer Heimatschutz“ (THS). Zschäpe wirkt ab 1993 zum Teil maßgeblich an Attacken auf linke Jugendliche mit, soll bei einem Angriff einer Punkerin einen Arm gebrochen haben und wird mehrfach von der Polizei mit Waffen (u.a. einem Dolch) aufgegriffen. Frauen in der rechten Szene gelten in den Sicherheitsbehörden und den Medien – zu dieser Zeit vielleicht noch mehr als heute – zumeist nur als Anhängsel von rechtsextremen Männern und nicht als gleichberechtigt. Das mag eine Erklärung sein, warum Beate Zschäpe ohne Vorstrafe bleibt.
3.) Zschäpes erste Flucht und der Weg hin zur Gründung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU)
Nachdem 1996 und 1997 in Jena mehrere Bombenattrappen und zündunfähige Sprengkörper gefunden worden waren, durchsucht die Polizei am 26. Januar 1998 die Wohnungen von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. In einer von Zschäpe angemieteten Garage werden vier Rohrbomben mit etwa 1,4 Kilogramm TNT gefunden. Den größten Teil dieses Sprengstoffs soll die Gruppe von einem Rechtsextremen erhalten haben mit dem Zschäpe zuvor liiert war. Noch während der laufenden Durchsuchung kann das Trio flüchten, versteckt sich mithilfe von Kompliz/innen aus der rechten Szene in Sachsen und gründet noch im Jahr 1998 den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Der NSU verübt in der Folge von 2000 – 2006 eine rassistische Mordserie an neun Menschen mit Migrationshintergrund, ein Nagelbomben-Attentat in Köln im Jahr 2004 mit zahlreichen Verletzten und einen Mord an einer Polizistin im Jahr 2007. Zudem überfällt der NSU Banken, um das Leben im „Untergrund“ zu finanzieren.
4.) Zschäpes Tarnung und das Leben im „Untergrund“
Zschäpe sorgt – laut der späteren Anklageschrift gegen sie – in der Zeit im „Untergrund“ von 1998 bis zum November 2011 als eines von drei gleichberechtigten Mitgliedern des NSU insbesondere für den Anschein von Normalität und Legalität gegenüber dem nachbarschaftlichen Umfeld und pflegt eine unauffällige Fassade, um Rückzugsort und Aktionszentrale der terroristischen Vereinigung zu tarnen. Zschäpe soll sich aber auch bei der Beschaffung von Schusswaffen und Ausweispapieren beteiligen. Ferner sei sie für die Logistik und die Verwaltung der Gelder aus den Banküberfällen zuständig. Nachbar/innen der verschiedenen Versteckwohnungen werden sie später als gesellig und unauffällig beschreiben. Das Stereotyp von der „friedfertigen und unpolitischen“ Frau wird von Zschäpe offenbar gezielt bedient und genutzt, um eine bestmögliche Tarnung zu erreichen.
5.) Zschäpes Helferinnen im „Untergrund“
Rechtsextreme Frauen, oft als Funktionärinnen in verschiedenen Organisationen der rechten Szene tätig, unterstützen den NSU nach dem Abtauchen mit Ausweisdokumenten, einer Bahncard und einer Krankenkassenkarte für Zschäpe. Diese kann so auf verschiedene Tarnidentitäten zurückgreifen. Die Helferinnen konstruieren damit einen wichtigen Rahmen. Plausible Legenden werden gestrickt, beispielsweise wird sehr wahrscheinlich auf das Kind einer Helferin zurückgegriffen, um sich gelegentlich als Päarchen mit Kind präsentieren zu können. Die Unterstützerinnen tragen entscheidend dazu bei, den NSU über Jahre hinweg erfolgreich dem Zugriff der Ermittlungsbehörden zu entziehen. Die Polizei verpasst im Jahr 2007 die Chance, der mutmaßlichen NSU-Unterstützerin Mandy S. auf die Spur zu kommen, als sie im Raum Nürnberg eine Rasterfahndung durchführt. Obwohl sich die Ermittler/innen vom Verfassungsschutz Bayern zunächst alle Namen von Rechtsextremen in der Region geben lassen, präzisieren sie kurz darauf das gewählte Raster und schließen unter anderem alle Frauen – und damit auch Mandy S., die auf der Liste steht – von der weiteren Überprüfung aus.
6.) Das Ende des NSU im „Untergrund“ – Zschäpe geht an die Öffentlichkeit
Nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 4. November 2011 im thüringischen Eisenach nach einem gescheiterten Banküberfall versucht Zschäpe, Spuren zu beseitigen, indem sie einen Brand im vom NSU genutzten Wohnungsversteck im sächsischen Zwickau legt. Von der mutmaßlichen NSU-Unterstützerin Susann E. soll sie hierauf frische Kleidung ohne Brand- und Benzinspuren erhalten haben. Außerdem informiert Zschäpe Helfer/innen und Angehörige ihrer Komplizen über die neue Situation und verschickt die vorbereiteten Bekennervideos der Terrorzelle. Insgesamt entzieht sich Zschäpe noch etwa vier Tage lang ihrer Verhaftung und bewegt sich unkontrolliert im Bundesgebiet, bis sie sich schließlich im Beisein eines Anwalts selbst stellt.
7.) Umgang von Medien und Justiz mit Zschäpes zweiter Flucht
Bis heute ist weder klar, auf welchem – offenbar konspirativem – Weg Zschäpe vom Tod ihrer zwei Mittäter erfährt, noch, was sie während ihrer anschließenden mehrtägigen Flucht alles tut. Theoretisch kann sie Kontakt mit Unterstützer/innen und möglicherweise sogar weiteren bislang unbekannt gebliebenen Mittäter/innen gesucht haben. Medial wurde und wird jedoch angesichts dieser unbeobachteten Zeitspanne kaum Besorgnis vermittelt. Auch das OLG München und der Präsident des Bundeskriminalamts legen sich bereits vor Prozessbeginn gegen Zschäpe und vier NSU-Unterstützer darauf fest, dass der NSU nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt und der Inhaftierung Zschäpes nicht mehr existiere. Selbst wenn sich die von der Justiz getroffenen Vermutungen letztlich als zutreffend herausstellen sollten, wäre die Frage zu stellen, ob die angesprochene Aufklärungslücke bei einem rechtsextremen Mann nicht eine ernstere Besorgnis sowohl innerhalb der Sicherheitsorgane als auch in den Medien auslösen würde. Immerhin gilt Zschäpe – laut Anklage der Bundesanwaltschaft – als ein ‚Kopf‘ einer rechtsterroristischen Gruppierung.
8.) Medien präsentieren Zschäpes (vermeintliches) Liebesleben
Beate Zschäpe ist im November 2011 schlagartig zur bekanntesten Rechtsextremistin Deutschlands geworden. Die gesteigerte Aufmerksamkeit an ihrer Person führt jedoch nicht automatisch zu einer schärferen Wahrnehmung und sachkundigen Berichterstattung über die Bedeutung von Frauen in der rechtsextremen Szene. Einige auflagenstarke Medien reproduzieren in den ersten Wochen und Monaten nach der Selbstenttarnung „das übliche Klischee von der unpolitischen Frau“, spekulieren z.B. über das Liebesleben der mutmaßlichen Rechtsterroristin und charakterisieren sie unkundig und voreilig als Mitläuferin. So wird berichtet, dass Zschäpe eine ‚Dreierbeziehung‘ mit Mundlos und Böhnhardt geführt habe und sie politisch kaum engagiert gewesen sei. Die Mühe, die Vergangenheit Zschäpes in der organisierten rechtsextremen Szene Thüringens zu recherchieren, machen sich zunächst nur wenige Journalist/innen.
9.) Anklage gegen Beate Zschäpe als gleichberechtigte Beteiligte am NSU
Während Beate Zschäpe in Haft ist, formuliert die Generalbundesanwaltschaft (GBA) die schwerstmögliche Anklage gegen sie. Das OLG München lässt diese in vollem Umfang zu. Die Anklageschrift sieht Zschäpe als eines von drei gleichberechtigten Mitgliedern des NSU. Ihr wird vor allem auch die Mittäterschaft bei den 10 Morden der Terrorgruppe vorgeworfen. Juristisch muss hierfür nicht bewiesen werden, dass Zschäpe selbst geschossen hat oder auch nur an den Tatorten anwesend war. Wenn sie die Taten gewollt hat und deshalb zu diesen beigetragen hat, kann sie als Mittäterin – und damit wie eine Mörderin – verurteilt werden. Zudem wird Zschäpe die Brandstiftung am Wohnhaus in Zwickau vorgeworfen, bei der sie den möglichen Tod mehrerer Menschen in Kauf genommen haben soll. Für Unterstützungsleistungen bzw. Beihilfe zum Mord müssen sich auch André E., Ralf Wohlleben, Carsten. S und Holger G. vor Gericht verantworten. Frauen, die als Unterstützerinnen tätig waren, werden im Jahr 2013 noch nicht angeklagt.
10.) Medien kommentieren Zschäpes Erscheinen vor Gericht
Da zu Prozessbeginn am 6. Mai 2013 im Münchner NSU-Prozess zunächst nur Formalitäten behandelt werden, widmet sich die Presse schwerpunktmäßig Äußerlichkeiten wie Kleidung, Frisur, Mimik und Gestik von Beate Zschäpe. Über die Kleidung der männlichen Angeklagten wird weniger berichtet. Die bereits seit dem Auffliegen des NSU vorhandene Erwartungshaltung in den Medien, derzufolge eine aussagende Zschäpe Reue und Empathie mit den Opfern zeigen möge, wird besonders oft artikuliert. Als Grund hierfür scheinen nur geschlechtsspezifische Rollenerwartungen in Frage zu kommen, denn auch die als zentrale und langjährige Unterstützer angeklagten Ralf Wohlleben und André E. könnten mit ihrem Wissen bislang unbekannte Abläufe erhellen. Den beiden Männern wird jedoch offenbar eine festere rechtsextreme Überzeugung unterstellt als Zschäpe – oder zumindest ein geringeres Mitleidsempfinden bzw. die geringere soziale Kompetenz. Tatsächlich sagen im weiteren Lauf des Prozesses die zwei männlichen Angeklagten Carsten S. und Holger G. aus und gestehen gegenüber den Hinterbliebenen der Opfer ihre Schuld ein.
11.) Medien erklären Zschäpe als entlastet
In der Berichterstattung über den NSU-Prozess ist nach dem Prozesstag am 11. Juni 2013 in nicht wenigen Medien zu vernehmen, dass Beate Zschäpe zumindest teilweise entlastet worden sei. Der Mitangeklagte im NSU-Prozess Carsten S. hatte erstmalig und überraschend über ein Gespräch mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ausgesagt. In diesem Gespräch hätten beide ihm gegenüber Andeutungen über einen Sprengstoffanschlag in Nürnberg gemacht. Als Beate Zschäpe zur Gesprächsrunde hinzugekommen sei, hätten Carsten S. zufolge Mundlos und Böhnhardt „Psst“ gesagt und damit das Gespräch unterbrochen. Nach Interpretationen in der Presse bedeute dies, dass Zschäpe insgesamt von wenig wissen durfte und auch von wenig wusste. Tatsächlich gibt die Gesprächsunterbrechung juristisch keinen Anlass, von einer Entlastung von Zschäpe auszugehen, da nicht klar ist, weshalb sie erfolgte und es ohnehin nur um mögliche neue Vorwürfe ging. Eine Entlastung kann sich aus einer Aussage über bislang gar nicht vorgeworfene Taten kaum ergeben. Nicht unwahrscheinlich ist zudem, dass Mundlos und Böhnhardt von Zschäpe nicht bei unbedachten und unvernünftigen Äußerungen gegenüber dem ihnen wenig bekannten jungen Unterstützer Carsten S. ‚ertappt‘ werden wollten und daher das Gespräch unterbrachen. Man stelle sich vor, Beate Zschäpe sei ein Mann – würde in dem Fall auch Unwissenheit unterstellt werden oder käme ein männlich gedachter Vertrauter von Mundlos und Böhnhardt nicht sogar in den Verdacht, Anführer der Gruppe zu sein, dessen Kontrolle geachtet werden muss?
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