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Warum PEGIDA? Die Suche nach Erklärungsmustern

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Faktenresistent auf dem Weg zur "Wahrheit": PEGIDA- Demonstration in Dresden. (Quelle: Redaktion FgN)

„Bedrohte“ Gruppen-Identität

Für den Konfliktforscher Andreas Zick laufen bei PEGIDA vor allem diejenigen mit, die fürchten, durch Migrant_innen etwas zu verlieren. Vorgeblich „Fremde“ werden von ihnen als mögliche Konkurrenz wahrgenommen –  gerade vor dem Hintergrund von Finanz- und Währungskrisen. Zick nähert sich PEGIDA gruppensoziologisch – für ihn ist die Herausbildung einer „bedrohten“ Gruppenidentität entscheidend. Also: Die Bedrohung durch Asylsuchende und Islamist_innen muss nicht zwangsläufig individuell wahrgenommen werden, sondern funktioniert auf einer kollektiv-identitären Ebene: als Deutsche oder eben als „Patrioten“. Über die Abwertung anderer werde das Selbstwertgefühl der einzelnen Gruppenmitglieder erhöht. Um den Übergang von Frustration zu aggressiver Abwertung wie im Fall von PEGIDA zu schaffen, brauche es allerdings ideologische Propaganda von außen.

Die PEGIDA-Demonstrationen sind laut Zick ein Ausdruck der „Rückkehr von völkischen Ideen“. So sind es nicht die Migrant_innen, die Integrationsdefizite in der aufgeklärten Gesellschaft haben: Vielmehr seien populistische Eurogegner, Anti-Islam-Hetzer und demokratiemüde Bürger im Begriff, gemeinsam mit Rechtsextremen und Teilen der AfD eine „radikale Parallelgesellschaft“ zu bilden.

Ressentiments der Mitte

Der Soziologe Oliver Nachtwey sieht in einem Interview mit der „Deutschen Welle“ PEGIDA als Ausdruck eines neuen antimuslimischen Rassismus der Mitte.  Dieser ist für ihn das Produkt einer Gesellschaft, in der das Gefühl vorherrsche, überall und mit jedem in Wettbewerb zu stehen. Anstatt sich aber gegen dieses System zu wehren, würde stattdessen der Fokus auf das Fremde gelenkt. Daran trage auch die Politik eine Mitschuld. Zum einen weil sie diese Tendenz verstärke, und zum anderen, weil es ihr nicht mehr gelänge, gesellschaftliche Konflikte und Streitlinien zu organisieren und zu zivilisieren. Weil Parteien als Kanäle der Artikulation von Ängsten nicht mehr funktionieren, entstehen Protestbewegungen „von unten“. Dabei hält Nachtwey aber fest, dass PEGIDA vor allem ein „Bürgerbündnis“ der Mittelklasse ist, denn gerade in dieser Schicht nehmen Ressentiments gegen Minderheiten dramatisch zu. Ihm zu folge distanzieren sich PEGIDA- Bürger_innen von Neonazis um die NPD nicht deshalb, weil es keine inhaltliche Übereinstimmung gebe, sondern wegen des Wunsches Teil des Establishments zu bleiben, dem man sich zugehörig fühlt: „Man schielt eher von rechts heraus auf die Mitte des Systems“. Deshalb warnt Nachtwey ausdrücklich vor der Gefahr, dass Parteien die Parolen und Inhalte von PEGIDA aufnehmen könnten.

Untertanen treten nach unten

In eine ähnliche Richtung geht auch das Deutungsangebot des Journalisten Patrick Gensing auf „publikative.org“. Die Freiheiten einer fragmentierten Gesellschaft würden bei einigen Menschen zu Angst und Verunsicherung führen. Das Resultat sei eine Flucht vor der Freiheit, hin zur Sehnsucht nach autoritären Strukturen: „Sie wollen endlich einfach wieder Untertan sein“. Und tatsächlich scheint Erich Fromms Beschreibung des „autoritären Charakters“ die PEGIDA-Anhänger_innen perfekt zu beschreiben: „eine Denkweise, die an Konventionen hängt, zugleich aber abergläubische Züge hat, sensible und künstlerische Seiten zurückweist und vor allem alles Fremde, fremde Menschen und Sitten, ablehnt“. Bei PEGIDA handelt es sich um Teile der Mittelschicht, die nicht mit der Moderne zurechtkommen und offen nach unten treten. Die Einstellungen und Inhalte von PEGIDA seien nichts neues, lediglich ihre Fähigkeit zur Organisierung auf der Straße oder in Parlamenten. Gensing flankiert seine Beobachtungen mit einer Analyse der Fragmentierung der Medienlandschaft, die für die Vermittlung der Inhalte von PEGIDA entscheidend ist. Politische Meinungsbildung spiele sich mittlerweile jenseits größerer Zeitungsredaktionen und Parteien auf – häufig dubiosen — Blogs und Portalen in sozialen Netzwerken ab. So vernetzen und radikalisieren sich politische Milieus, indem sie auf entsprechenden Seiten mit einfachen Antworten zum entsprechenden Themenschwerpunkt (Islamisierung, Gender-Wahnsinn, Gutmenschen-Terror etc.) versorgt werden.

Zutiefst antidemokratisch

Der Digital- und Politikberater Martin Fuchs fokussiert sich in einem Artikel von „RP-Online“ ebenfalls auf die Mobilisierung von PEGIDA über soziale Medien. Seiner Meinung nach ziehen gerade extreme und grenzüberschreitende Aussagen auf den nicht moderierten Facebookseiten von PEGIDA neue Anhänger_innen an. Islamisierung sei dabei aber nur der vorgebliche Aufhänger: „In den Kommentaren findet sich Kritik an vielem, was die deutsche Mittelschicht vermeintlich bedroht.“ Der Sozialwissenschaftler Fabian Virchow betont im selben Sinne: Die auf den aktuellen Demonstrationen verwendeten Begrifflichkeiten wie Überfremdung stammen „wirklich klassisch aus dem aktuellen Diskurs der Rechtsextremisten“. Der Leipziger Islamismus-Forscher Oliver Decker verleiht dieser Feststellung Nachdruck. Der große Zulauf der PEGIDA-Demonstration sei vor allem auf „zutiefst antidemokratische“ und rechtsextreme Einstellungen und die gezielte Abwertung einzelner Gruppen in weiten Teilen der Gesellschaft zurückzuführen.

Ein Erfolgssymptom der liberalisierten Gesellschaft

Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, vertritt eine andere Auffassung. Für sie ist PEGIDA ein „Erfolgssymptom“ einer liberalisierten Gesellschaft. Die Demonstrationen seien letztendlich ein Rückzugsgefecht derjenigen, die mit den Entwicklungen in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren nicht klar kämen – seien es mehr Rechte für Homosexuelle, die zunehmende Integration von Migrant_innen oder Einwanderung im Allgemeinen. Ein Problem ist für sie jedoch, dass die Politik der gesellschaftlichen Realität hinterher hinke. Politiker_innen dürften jetzt nicht vor PEGIDA zurückweichen, dafür sieht Kahane allerdings auch wenig Spielraum: Grundrechte könnten nicht einfach wieder abgeschafft werden, Freizügigkeit sei einer der zentralen Pfeiler der Europäischen Union. Die PEGIDA-Anhänger_innen zeichneten sich durch eine Mentalität der Gartenzwerge aus, die „ihr Dresden“ ohne Ausländer_innen haben wollten. Insofern sei PEGIDA tatsächlich als Ostphänomen zu begreifen. Anetta Kahane verweist auch auf die verschwörungstheoretischen „Friedensmahnwachen“ als Initialzündung, die im vergangenen Sommer als Erste die Symbolträchtigkeit der Montagsdemonstrationen für sich zu nutzen wussten.

Armut der Antworten aus der Politik

Aus dem Querschnitt der Analysen ergibt sich ein erstes Bild: Die PEGIDA- Anhänger_innen stammen aus der Mitte der Gesellschaft. Dies macht allerdings die von ihnen vertretenen Thesen und Positionen keinesfalls weniger rassistisch und rechtsradikal. In Anbetracht dessen ist die Armut der Deutungsangebote aus Politik oder offiziellen Stellen wie der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) in Sachsen bedenklich. So äußerte sich der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger folgendermaßen: Es sei besorgniserregend, dass es „dem organisierten Rechtsextremismus gelingt, Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft, die Angst vor einer Islamisierung haben, dort abzuholen und an den Rand unserer Gesellschaft zu ziehen“. Die Erkenntnis, dass es die Mitte der Gesellschaft ist, die ein Problem mit rassistischen Einstellungen hat, hat sich offensichtlich bisher nicht durchgesetzt. Der Chef der LpB in Sachsen, Frank Richter, will gar den „offenen und konstruktiven Dialog mit PEGIDA-Demonstranten“ suchen –  ein Teil der Demonstrant_innen seien „im guten Sinne des Wortes besorgte Bürger, die ernsthafte Fragen haben.“

Zur Frage des Dialogs mit PEGIDA

Zur Frage des Dialogs mit den berühmt-berüchtigten „besorgten Bürger_innen“ hat sich das Bündnis „Dresden Nazifrei“ bereits treffend geäußert: „Was die sogenannten „besorgen Bürger_innen“ angeht, von denen immer wieder die Rede ist, kann ein Dialog, der versucht aufzuklären, Relationen zurecht zu rücken, Unwahrheiten richtig zu stellen und Vorurteile abzubauen, nicht in einem großen, öffentlichen Rahmen stattfinden, sondern er muss im Kleinen, im Alltäglichen geführt werden. Dort, wo wir auf diese Menschen treffen: auf Arbeit, im Verein, in der Schule, an der Käsetheke oder auf der Parkbank. Hier ist unsere Gesellschaft als Ganzes gefragt, in den Dialog zu gehen, wenn diese Themen und Meinungen aufkommen. Dabei geht es nicht darum, Zugeständnisse zu rassistischen Thesen zu machen – denn wer bis heute nicht verstanden hat, welche Ideologie man mit der Teilnahme an PEGIDA-Aktionen unterstützt, dem können wir dem Vorwurf, ein Rassist zu sein, nicht ersparen.“

Nicht mit den Rassist_innen muss der Dialog gesucht werden, sondern mit denjenigen, die den Hass von PEGIDA zu spüren bekämen: Menschen mit Migrationshintergrund oder ohne deutschen Pass. Dieser Forderung von „Dresden Nazifrei“ können wir uns vollumfänglich anschließen.

 

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