Der „Ethnopluralismus“ ist das ideologische Kernstück der „Neuen Rechten“. Er wird als Alternative zu „Universalismus“ oder „Egalitarismus“ ausgegeben und bedeutet eine Kampfansage an die Prinzipien der Aufklärung und an die Menschenrechte. Das Weltsystem des „Judenchristentums“ und des Marxismus – gemeint ist die Gleichheitslehre – sei die Rechtfertigung für den „größten Völkermord“ in der Geschichte. Als Zentrum der europäischen „intellektuellen neuen Rechten“ gilt gemeinhin das 1969 von Alain de Benoist in Frankreich gegründete Groupement de Recherche et d’Etudes pour la Civilisation Européenne (GRECE) mit verwandten Studiengruppen in der Bundesrepublik, der Schweiz, den Niederlanden, Belgien, Italien, Portugal, Spanien und England. Die bundesdeutsche Filiale ist das Thule-Seminar, sein Vordenker Pierre Krebs. Er schreibt zum „Ethnopluralismus“: „Die Erde wurde ihrer Territorien beraubt, ihre Völker wurden entwurzelt. Sie stellt nur noch die Gemeinsamkeit von Handelszonen, von Verkehrsstraßen, von zerfließenden Austauschnetzen dar, die den Gesetzmäßigkeiten des Managements und des Marketings unterworfen sind. Der Mensch beherrscht nicht mehr einen Raum als Territorium, weil er von überall kommt, und somit von nirgendwo… Der Mensch gehört nicht mehr einem Ort, einer Herkunft, einer Geschichte und somit einer Kultur, einem Schicksal und einer Macht an.“ (Krebs 1982: 14) Daher ruft diese „Neue Rechte“ zum „totalen Angriff … gegen alle totalitären Erscheinungen der Gleichheitslehre“ auf, gegen den Kraken, der „die Völker von innen anfrisst, indem er ihre Seele gegen die trügerische Sicherheit des materiellen Wohlstands“ eintauscht. Immer noch Krebs: „Wir rufen die Menschen Europas zur Zusammenraffung aller ihrer lebendigen Kräfte und Freiheiten gegen die Versklavung der egalitär-kaufmännischen Gesellschaftsform auf. Wir rufen alle Völker der Welt zur Wiederbelebung ihres kulturellen Erbes, ihres historischen Gedächtnisses und ihrer gemeinschaftlichen Traditionen auf, um den [dem] universalen Völkermord des Kosmopolitismus Einhalt zu gebieten. “ (ebd., S. 33). Folglich klagt Krebs ein „Grundrecht auf Verschiedenheit“ ein: „Denn durch seine Vermischung der Rassen, der Kulturen und Weltanschauungen beseitigt der Egalitarismus nicht nur die grundlegendsten Begriffe von Achtung und Toleranz, sondern darüber hinaus die Freiheit und das Grundrecht auf Verschiedenheit. (…) Im Namen der Toleranz macht sich die Lehre von der völligen Gleichheit der Menschen der denkbar größten Intoleranz schuldig, die darin besteht, die Verschiedenheit, Originalität und Besonderheit überall da systematisch zu zerstören, wo sie sich der Mühle der Gleichmacherei nicht fügen.“ (Krebs 1982: 25, 26) In traditionell rechtsextremer Sichtweise kämpft diese „neue Rechte“ gegen Aufklärung, Demokratie und Menschenrechte und setzt sich für die Erhaltung der Rassen ein. Neu ist, daß Rasse nicht mehr im althergebrachten biologischen Sinne verstanden wird und es auch nicht mehr um die Wertigkeit von Rassen geht, sondern um die Verschiedenartigkeit von Kulturen und das vermeintliche Recht jedes Volkes auf seine Identität. Noch einmal Krebs (1981, S. 23f.): „Die morgige Welt muss ethnopluralistisch sein! – Wir lehnen die egalitäre Welt ab und widerlegen sie. Wir setzen ihr die pluralistische Menschheit entgegen, die in den verschiedenen Teilen der Welt eine andere Hautfarbe besitzt. Ihre jeweils geistige erbmassebedingte Erscheinungsform reflektiert die unterschiedliche Empfindsamkeit einer Seele, die andere psychische Saiten ertönen läßt; reflektiert die Eigentümlichkeit eines Geistes, der um einen anderen Austausch, um eine andere Auslegung bemüht ist; reflektiert ein Wesen schließlich, das andere Welt- und Lebensvorstellungen hat. Unsere Verwurzelung ist territorial, menschlich und kulturell. Territorial im ethnologischen Sinne, nämlich daß der territoriale Instinkt des Individuums in der Personalisierung eines Raumes besteht, innerhalb dessen es sich absichert, sich organisiert und sich eingewöhnt. Diese Raumpersonalisierung ermöglicht auf einer zweiten Stufe die Normalisierung der gesellschaftlichen Beziehungen. Menschlich im anthropologischen Sinne, nämlich, daß ein Individuum sich dann einer bestimmten Gruppe verpflichtet fühlt, wenn es sich mit Menschen, in denen es sich wiedererkennt, identifizieren kann. Kulturell im ethnologischen Sinne, nämlich daß ein Individuum sich durch die Sprache, die Bräuche und die gesellschaftlichen Verhaltensweisen der Menschen, unter denen es sich entfaltet, identifiziert.“ Insgesamt scheint es mir durchaus gerechtfertigt zu sein, in diesem Zusammenhang von „Neorassismus“ zu sprechen: Das Bedrohungspotential für die jetzt ethnopluralistisch gefaßte „Nation Europa“ wird – historisch bedingt – nicht mehr im Bolschewismus, auch nicht allein in den beiden Supermächten, sondern in einem weltumspannenden, völkervernichtenden System gesehen, in dem alle bisherigen Feindbilder verschmelzen: Kapitalismus, Kommunismus, Liberalismus, Christentum, Judentum und Islam. Elemente des Neorassismus finden sich mehr oder weniger kompakt in allen Programmen der europäischen „neuen Rechten“. Dies gilt insbesondere für das Bedürfnis nach nationaler Identität und völkischer Verwurzelung, für den Hinweis auf die Verschiedenheit der Ethnien und Kulturen und für die Forderung nach Bewahrung dieser Verschiedenheit (nach ihrer Isolierung gewissermaßen) und schließlich für die ethnozentristische Absicht, das eigene Volk über die anderen zu stellen („Deutschland zuerst“, „les francais d’abord“, „eigen Volk erst“). Der Neorassismus könnte eher als der traditionelle biologische Rassismus geeignet sein, die Bedürfnisse breiterer sozialer Schichten nach Orientierung, Identität und Schutz in einer Situation des raschen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs zufrieden zu stellen. Die Ideologie des Ethnopluralismus eignet sich besonders für die von Gessenharter betonte Scharnierfunktion der „neuen Rechten“, weil sie nationale Identität ohne Bezugnahme auf den klassischen Rassismus (ihrem Selbstverständnis nach sogar im Gegensatz dazu) rechtfertigt, weil sie ihre Fremdenfeindlichkeit als Deutschfreundlichkeit ausgibt und weil sie dafür auch noch ein humanitäres Anliegen in Anspruch nimmt. Dieser Text ist ein Auszug aus dem Aufsatz „Die neue Rechte in der Bundesrepublik“