„Staaten und Einstellungen im Wandel“ heißt die Studie, die am 04.11.2019 in Berlin vorgestellt wurde. Die Ergebnisse sind besorgniserregend. 52 Prozent der Befragten in Deutschland sehen die Demokratie in Gefahr. Im Ländervergleich – für die Studie wurden Menschen in der Tschechischen Republik, Bulgarien, Ungarn, Polen, Rumänien und der Slowakei befragt – schneidet Deutschland dabei nicht einmal besonders schlecht ab. In Ungarn, genauso wie in Rumänien glauben 58 Prozent der Befragten an die gefährdete Demokratie, in der Slowakei sind es sogar 61 Prozent. Nur 26 Prozent der Befragten in Deutschland sehen die Demokratie nicht gefährdet.
Besser sehen die Zahlen in Deutschland aus, wenn es um das Vertrauen in die Wahlen geht. Während in Bulgarien 76 Prozent der Befragten bezweifeln, dass die Wahlen im eigenen Land „frei und gerecht“ sind, sind es in Deutschland nur 19 Prozent. Trotzdem ist auch diese Zahl bemerkenswert, immerhin fast 20 Prozent der Befragten glauben also, dass Wahlen in Deutschland nicht frei sind. Tatsächlich hatte ein Beobachter*innen-Team der OSZE – auf Einladung der Bundesregierung – die Bundestagswahl 2017 begleitet und eine sauber durchgeführte Wahl attestiert: „Deutschland hat einmal mehr eine ungeminderte Verpflichtung zur Demokratie bewiesen“, so der Leiter des Teams, George Tsereteli. Anders sehen das Rechtsradikale und Rechtsextreme. So hatte der rechtsextreme Verein „EinProzent“ seine Unterstützer*innen zur Wahlbeobachtung in Sachsen, Brandenburg und Thüringen aufgerufen und dabei vor allem immer wieder angedeutet, dass eine solche Wahlbeobachtung von großer Bedeutung sei, da es angeblich Betrugsfälle zu Ungunsten der AfD gebe. In der Realität gab es die nicht, stattdessen wird so aber Misstrauen in die Demokratie geschürt.
Wie die Narrative von rechtsaußen verfangen, zeigt sich auch an anderen Fragen. 34 Prozent der Befragten aus Deutschland glauben, dass es negative Konsequenzen für ihr Leben gäbe „wenn sie die Regierung ihres Landes in der Öffentlichkeit kritisieren würden“.
Gemischt sind die Ergebnisse auch bei Fragen zur Zivilgesellschaft. Zwar gibt es eine klare Mehrheit (Deutschland 61 Prozent), die gemeinnützige Organisationen, also Nicht-Regierungs-Organisationen, als positive Akteurinnen wahrnimmt. Kontroverser wird es aber bei den Themen: „So sprachen sich über zwei Drittel für mehr staatliche Unterstützung für ältere Menschen, Kinder, Arbeitslose und Menschen mit Behinderungen aus. Demgegenüber zeichnete sich jedoch (…) ein anderes Bild in Bezug auf Migranten, Geflüchtete, ethnische Minderheiten und LGBTQ-Personen ab_ Fast zwei Drittel der Befragten aller Länder vertreten die Auffassung, dass diese Gruppen bereits eine ausreichende staatliche Unterstützung erhalten.“
Götz Frommholz ist ein Analyst bei den Open Society Foundations und präsentierte die Studie. Dabei ging er auch auf eine andere Erzählung ein, die gerade seit den Landtagswahlen und aktuell in Thüringen große Konjunktur hat: Die AfD sei eine bürgerliche Partei. Frommholz schlüsselte die deutschen Umfrageergebnisse nach Parteipräferenz der Befragten auf und wollte wissen, wo überschneiden sich die Meinungen von AfD-Unterstützer*innen mit denen der demokratischen Parteien. Es zeigt sich, es gibt tatsächlich nur wenige Gemeinsamkeiten. Es sind gerade die Sympathisant*innen der AfD die offenbar am meisten von Ängsten geplagt sind. Dabei unterscheiden sich die Zahlen zum Teil drastisch, während Wähler*innen der demokratischen Parteien sich in großen Teilen ihr Vertrauen in die Demokratie bewahrt haben, sieht es bei AfD-Unterstützer*innen anders aus. Die Antworten auf die restlichen Fragen sind ähnlich. Immer sind es die Rechtsaußen-Wähler*innen, die Ängste schüren oder womöglich darauf hereinfallen. Die Schnittmenge zu den tatsächlich bürgerlichen Parteien ist minimal.
Dass die Erzählungen von rechtsaußen so gut verfangen und in ganz Deutschland angekommen sind, ist 30 Jahre nach der Wende keine Überraschung für Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung: „Rechsextreme waren die ersten, die es geschafft haben, sich zu vereinigen.“ Gerade in Ostdeutschland war das besonders erfolgreich. Nationalkonservative aus dem Westen stießen auf Skinheads aus dem Westen. Beide einte die Ablehnung der Demokratie. Durch klar rechtsradikale Parteien wie die AfD werden die entsprechenden Einstellungen jetzt normalisiert. Beim AfD-Trauermarsch in Chemnitz zeigte sich, wie angeblich gemäßigte Kräfte zusammen mit gewaltbereiten Neonazis demonstrieren.
Der Erfolg der Bemühungen liegt auch an der stellenweisen Abwesenheit der Zivilgesellschaft. Kahane benennt diese Leerstelle als einen der Gründungsimpulse der Amadeu Antonoio Stiftung. Wo nach dem Ende der DDR keine Zivilgesellschaft existierte, musste sie erst aufgebaut werden. Für Selmin Çalışkan, Direktorin für Institutionelle Beziehungen der OSF, zentral: „Die Zivilgesellschaft ist der Schlüssel für eine funktionierende Demokratie. Unser Staat muss zeigen, dass er hinter der Zivilgesellschaft steht“.
Foto oben: Wikimedia / Christian Hepp / CC BY 3.0