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Was wir gegen die Wortergreifung der Neonazis tun können

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NgN: Was meinen NPD und Neonazis eigentlich, wenn sie von Wortergreifungsstrategie sprechen?

Bianca Klose: Die Wortergreifungsstrategie ist ein Versuch der extremen Rechten, die weitgehende gesellschaftliche Ächtung rechtsextremer Positionen Schritt für Schritt zu überwinden. Dabei gibt es zwei wesentliche Aspekte: es geht sowohl um eine raumgreifende Strategie, als auch um eine Normalisierungsstrategie.

Sie versuchen über die Wortergreifung, rechtsextreme Positionen in die Diskurse um aktuelle gesellschaftliche Themen zu bringen und durch die Teilnahme an Veranstaltungen der politischen Gegner auch lokale Diskurse mitzubestimmen. In erster Linie will die extreme Rechte mit dieser Strategie eine öffentliche Plattform für ihre Positionen gewinnen.

NgN: Was bedeutet in diesem Zusammenhang Normalisierungsstrategie?

Bianca Klose: NPD und Neonazis bemühen sich, Rechtsextremismus als scheinbar legitimen Teil eines ganz normalen demokratischen Meinungsspektrums zu etablieren. Und natürlich geht es ihnen bei den Versuchen, an Veranstaltungen von demokratischen Parteien oder zivilgesellschaftlichen Initiativen teilzunehmen, um die direkte Konfrontation und eine Provokation der politischen Gegner und Gegnerinnen.

NgN: Und welche Faktoren sind für den Erfolg beziehungsweise Misserfolg der Wortergreifungsstrategie maßgeblich?

Bianca Klose: Der Erfolg der Wortergreifungsstrategie ist entscheidend abhängig davon, wie sensibilisiert die demokratischen Gegenkräfte sind. Die Rechtsextremisten sind ja nur dann erfolgreich, wenn es die Demokraten und Demokratinnen auch zulassen. Wir haben in Berlin die Erfahrung gemacht, dass zu dieser Strategie eine große Bandbreite von rechtsextremen Verhaltensweisen gehört. Oder, um es salopp auszudrücken: Es ist gewissermaßen eine Alltagspraxis, die von Prinzip des „trial and error“ geprägt ist. NPD und Neonazis schauen, wie die Situation bei den jeweiligen Veranstaltungen ist und darauf reagieren sie flexibel. Das heißt, wenn die demokratischen Kräfte eine „Entführung“ ihrer Veranstaltung nicht zulassen und die Rechtsextremisten schon an der Tür nicht reinlassen, dann reagieren diese häufig mit der Bedrohung der Veranstalter oder auch direkt mit Gewalt.

NgN: Gibt es Unterschiede im Auftreten der NPD in Großstädten und in ländlichen Regionen?

Bianca Klose: In Berlin haben wir sicherlich eine besondere Situation. Das heißt, dass wir es glücklicherweise zumindest im urbanen Raum mit einer sensibilisierten, gut informierten und resistenten Zivilgesellschaft zu tun haben, die einen Erfolg dieser Strategie im Ansatz vereitelt. Dazu haben sicherlich auch die breite Diskussion über die Wortergreifungsstrategie und die weite Verbreitung einer entsprechenden Handreichung beigetragen. Das bedeutet aber auch: Die Rechtsextremisten in Berlin sind schon auf ihren Ausschluss von Veranstaltungen vorbereitet und inszenieren sich dann als Opfer einer angeblichen Meinungsdiktatur.

NgN: Haben Sie das schon Mal direkt miterlebt?

Bianca Klose: Ein Beispiel für eine derartige Inszenierung war eine Veranstaltung im Januar diesen Jahres in Marzahn-Hellersdorf , als dort anlässlich des Holocaust-Gedenktages eine Ausstellung zum Thema Neofaschismus eröffnet wurde. Hier reagierten die Rechtsextremisten geradezu professionalisiert auf ihren berechtigten Ausschluss: Sie standen vor der Ausstellung mit gedruckten, vorgefertigten Schildern mit der Aufschrift „Ausgesperrt“. Wie gesagt, sie lieben die Selbstinszenierung als Opfer der demokratischen Gesellschaft. Und in der demokratischen Auseinandersetzung mit der extremen Rechten spielt es eine große Rolle, inwieweit sich die demokratischen Kräfte von so etwas beeindrucken lassen.

NgN: Andernorts gibt es ja viele Beispiele dafür, dass nach wie vor eine große Unsicherheit herrscht im Umgang mit Rechtsextremen und der NPD bei Veranstaltungen ? bis hin dazu, dass Veranstaltungen dann komplett von Rechtsextremisten „argumentativ entführt“, also quasi übernommen wurden.

Bianca Klose: Auch wenn es in Berlin sehr selten zu beobachten ist, dass die rechtsextreme Strategie der Wortergreifung erfolgreich ist, gibt es leider doch einige wenige Beispiele, wo Rechtsextremisten zu Wort kommen und ungehindert auftreten konnten. Das heißt, es gibt auch in Berlin zivilgesellschaftliche Runde Tische oder aber auch Veranstaltungen von parteinahen Stiftungen und im universitären Rahmen, wo wir feststellen mussten, dass die Veranstalter trotz des Bekanntheitsgrades der Wortergreifungsstrategie darauf nicht vorbereitet sind. Oder aber sie überlassen aufgrund eines defizitären Demokratieverständnisses oder unter Bezugnahme auf einen falsch verstandenen Liberalismus den Rechtsextremisten doch den Raum. Damit räumen sie ihnen die entsprechende Plattform zur Selbstinszenierung ein. Und sie unterhöhlen die Gemeinsamkeiten, den Konsens der Demokraten und Demokratinnen im Umgang mit der menschenverachtenden und zutiefst antisemitischen Ideologie des Rechtsextremismus.

In der Auseinandersetzung mit rechtsextremen Strategien sollte man keinesfalls alleine auf das Handeln von Polizei und Justiz setzen. Es geht weniger um die juristische Legalität von rechtsextremen Akteuren oder Strategien als vielmehr um die demokratische und menschenrechtliche Legitimität. Rechtsextremisten besitzen in Deutschland keine demokratische Legitimität. Das sollten sich alle Menschen immer wieder vor Augen führen und ihr Handeln entsprechend anpassen.

NgN: Welche Konsequenzen hat es, wenn die NPD ihre Strategie erfolgreich durchsetzen kann?

Bianca Klose: In dem Moment, wo Veranstalterinnen die Präsenz von Rechtsextremisten zulassen, werden damit automatisch von Rechtsextremen bedrohte Menschen und Gruppen ausgeschlossen. Es wird potenziellen Opfern zugemutet, mit Personen in einem Raum zu sitzen, die die nicht davor zurückschrecken Gewalt gegen sie anzuwenden. Außerdem wird so auch zugelassen, dass Rechtsextremismus als ganz normaler Bestandteil eines demokratischen Meinungsaustausches akzeptiert wird.

Der Bundesvorstand der Jungen Nationaldemokraten (JN) hat einmal die Stossrichtung der Wortergreifungsstrategie direkt formuliert: Dass es nämlich in der Konfrontation mit dem politischen Gegner darum gehe, dass dieser nicht mehr in der Lage sein soll, über die Rechtsextremen, sondern nur noch mit diesen zu reden.

Und wenn dann am Ende einer Veranstaltung tatsächlich eingeräumt werden muss, dass mit den anwesenden Rechtsextremen diskutiert werden musste und nicht über sie, ist es das immer ein wichtiger Teilerfolg für die extreme Rechte.

NgN: Welche Begründungen hören Sie für das Zurückweichen vor den Neonazis?

Bianca Klose: Wir hören dann sehr häufig die Argumentation, man könne ja formal nichts gegen die Rechtsextremisten machen. Darin sehen wir als MBR den größten Fehler. Das ist eine Verrechtlichung der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten. Für die Zivilgesellschaft gelten meines Erachtens aber weniger enge Rahmenbedingungen als für den Staat und seine Institutionen ? gerade in der politischen Auseinandersetzung. Schließlich ist eine konsequente inhaltliche Positionierung immer möglich. Die Frage ist nur, ob sie immer gewollt ist. Für uns sind Begriffe wie Demokratie und Toleranz keinesfalls beliebig. Gerade der Umgang mit Minderheiten in der Gesellschaft – auch bei Veranstaltungen – oder der Umgang mit potenziellen Opfern rechtsextremer und rassistischer Gewalt wird zum Maßstab für eine demokratische Kultur. Dazu kann jede und jeder beitragen ? auch diejenigen, die bei Veranstaltungen die Versammlungsleitung sind.

NgN: Können sich diejenigen, die Veranstaltungen planen, vor der Wortergreifungsstrategie schützen?

Bianca Klose: Angesichts der rechtsextremen Kampfansage, die Wortergreifungsstrategie bundesweit umsetzen und den politischen Gegner auf seinem eigenen Terrain verbal und inhaltlich angreifen zu wollen, ist es tatsächlich zentral, dass Demokraten und Demokratinnen hierauf jederzeit vorbereitet sind. Man kann die extreme Rechte in ihre Schranken weisen: am einfachsten geht das, indem Veranstaltungen genau vorbereitet werden. Wir unterstützen dabei alle, die uns anfragen: Lehrer und Lehrerinnen, Politiker, Gewerkschaften, kleine Initiativen. Wir liefern ihnen Argumente und Checklisten. So können sie gewährleisten, dass Rechtsextremisten keine Plattform für ihre menschenverachtenden Propaganda auf der eigenen Veranstaltung erhalten.

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