Wir schaffen Aufmerksamkeit
Wenn mir vorher jemand gesagt hätte: „Wir wollen ab August im Hundertwasserhaus eine Ausstellung zu rechtsextremer Symbolik einrichten. Wir denken, da kommen genug Leute. Machst du mit?“ hätte ich diesen Menschen wahrscheinlich für verrückt erklärt. Wer guckt sich in den Sommerferien zu so einem drögen Thema eine Ausstellung an? Doch seit ihrer Eröffnung am 1. August 2007 waren bis Mitte September über 2.600 Besucher*innen in der Ausstellung.Da hatte die öffentliche Berichterstattung über den „Skandal im Hundertwasserhaus“ ihr Gutes: Besonders in den Sommerferienwochen kamen viele Besucher/innen, die von dem rechtsextremen Laden gehört hatten. Teilweise waren sie dann erstaunt, dass es im Osten überhaupt „solche Initiativen dagegen“ gibt.
Der Wunsch nach Aufklärung und Information ist jedoch größer, als wir ihn erfüllen könnten. Eine Broschüre „Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus“ des Innenministeriums haben wir kistenweise verteilt. Jetzt ist sie vergriffen und Menschen beklagen sich deswegen bei uns in der Ausstellung. Andere nehmen die Ansichtsexemplare einfach mit. Oder sie hinterlassen ihre Visitenkarte, weil sie „alles an Informationen über Rechtsextremismus“ zugeschickt haben möchten.
Die Ausstellung als Ort der demokratischen Auseinandersetzung
In diesen Gesprächen mit Besucher*innen zeigen häufig die öffentlichen Debatten über aktuelle Fälle und Skandale ihre Wirkung: Mal ist „nur der Osten braun“, mal „ist es doch gar nicht so schlimm“, mal „müssen alle immer unbedingt was dagegen tun“.
Menschen kommen und schütten ihr Herz aus, finden endlich jemanden zum Reden. „Manchmal ist das hier wie Seelsorge“, meinte ein Ausstellungsbegleiter am Ende einer Schicht. Häufig geht es dann um Kriegserlebnisse oder eigene Erfahrungen mit Rechtsextremen in der Nachbarschaft.
In die Ausstellung kommen nicht nur Menschen, die ihren Protest gegen das „Narvik“ äußern, sondern auch diejenigen, denen unsere Ausstellung eine Dorn im Auge ist. U.a. stand dort ein „junger Nationaldemokrat“, der sich beklagte, dass wir die Rechtsextremen zu undifferenziert darstellen („Die sehen so aus wie du und ich“ Ach…). Diskutiert haben wir mit allen, aber Beleidigungen, Pauschalurteilen und rechtsextremen Äußerungen immer widersprochen.
Die Polizei holen?
Muss man Angst haben, wenn man bei uns alleine in der Ausstellung steht? Was sollte man können und wissen als Ausstellungsbegleiter*in?
In und mit der Ausstellung entstehen Begegnungen und Kontakte über die bisherigen Kreise hinaus: Der rechtsextreme Jugendliche diskutiert mit der Pfarrerin, die Mitarbeiter*innen von Linkspartei und bischöflichem Ordinariat machen gemeinsam Ausstellungsdienst, Christ*innen und Nichtchrist*innen kommen in der Schicht zusammen und haben zwischendrin immer auch Zeit miteinander zu reden.Die Vernetzung reicht auch über das lokale Umfeld hinaus: Uns erreichen Grüße und Wünsche zur Unterstützung von Freund*innen aus der Friedensbewegung, von Unbekannten, die über unsere Aktivitäten gelesen haben, von den Frauen in Schwarz aus Jerusalem und dem Bündnis Schöner leben ohne Nazi-Läden aus Rostock. Kolleg*innen und Initiativen aus anderen Regionen stellen uns ihre Materialien zur Verfügung. Wir merken: Wir sind nicht allein mit unserem Protest.
Wirkungen über die Ausstellung hinaus
Im Rahmen der Ausstellung ist ein Informationsblatt entstanden. Für Christ*innen und Kirchengemeinden in Magdeburg gedacht, informiert es über Handlungsmöglichkeiten gegen Rechtsextremismus. Wir beziehen uns in dem Text bewusst auf das Gemeinsame Wort der Bischöfe in Sachsen-Anhalt vom Juni. Schön ist, dass sowohl das Bistum als auch die Evangelische Kirchenprovinz sofort bereit waren, als Herausgeber zu fungieren. Das Informationsblatt wurde schon viel in Gemeinden verteilt und ist in der Ausstellung zu bekommen, steht aber auch auf den Internetseiten des Bistums Magdeburg und bei Miteinander e.V. zum Download (Dass in der Meldung einer Kirchenzeitung unser Text mit dem Bischofswort verwechselt wurde, amüsiert hoffentlich auch die Bischöfe…)
Andere langfristige Wirkungen sind schwer einzuschätzen. Was deutlich zu merken ist und u.a. an der Nachfrage nach Infomaterialien ablesbar ist: Die Zahl derjenigen, die Informationen und Aufklärung über Rechtsextremismus und rechtsextreme Aktivitäten wünschen, ist deutlich angewachsen. Dies hat sicherlich auch mit der Medienberichterstattung über aktuelle Fälle zu tun. Die Ausstellung befriedigt hier zumindest einen Teil Nachfrage und vermittelt weitere Informationsmöglichkeiten, die gerne angenommen werden.
Grenzen
Begrenzt ist die Wirkung der Ausstellung v.a. durch ihre Laufzeit. Am 21. November wird die Ausstellung schließen. Das „Narvik“ wird wohl länger geöffnet bleiben. Solch eine Ausstellung allein kann ein rechtsextremes Geschäft nicht schließen, aber sie kann im Konzert der unterschiedlichen Proteste ein wichtiger Baustein sein und Öffentlichkeit schaffen.
Nicht alle Erwartungen können erfüllt werden
Menschen verlangen von uns, die Ausstellung doch auch über ihren Endtermin hinaus offen zu halten. „Das muss weitergehen“, sagen sie und verstehen nicht, dass das nicht leistbar ist, wenn nicht jeder Einzelne mitmacht. Das ehrenamtliche Engagement stößt hier deutlich an die eigenen Grenzen. Und auch ein Angebot für finanzielle Unterstützung hilft da nur bedingt.
Außerdem gilt: Es geht um wesentlich mehr als um diesen einen Laden im Hundertwasserhaus. Selbst wenn das „Narvik“ für immer schließen wird, wird es andere Geschäfte geben und weiterhin rechtsextreme Einstellungen, Gruppierungen, Organisationen und Aktivitäten. Deshalb will die Ausstellung über die aktuelle Auseinandersetzung um einen Laden hinausweisen. Es muss mehr geschehen als nur die Schließung eines Ladens.Neben der Ausstellung und unseren Protesten läuft das „normale Geschäft“ weiter: Rechtsextreme Aktivitäten finden weiterhin statt, Menschen werden angegriffen. In der politischen Auseinandersetzung sind für die einen die Opfer selbst schuld. Andere fordern (mal wieder) ein NPD-Verbot oder mehr Zivilcourage, und diskutieren dabei über Fördermittel und dass Menschen sich auch ohne Geld engagieren müssen.
Fazit
Die Einrichtung der Ausstellung war eine tolle Idee und ihr Betrieb ist ein großer Aufwand. Viel Zeit und Kraft fließen in die Ausstellung. Aber: Es lohnt sich. Es bewegt sich etwas in dieser Stadt und darum herum. Die Kultur der Aufmerksamkeit wird spürbar. Danke, liebe Menschen in der Ausstellung und um sie herum, für euer Engagement