Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus ist zu einer Daueraufgabe geworden. Sicherlich steht kein neues 1933 vor der Tür, auch kein schneller Durchmarsch auf parlamentarischer Ebene, aber es gibt eine aktive Szene, die immer wieder „Vorfälle“ und mehr produziert. Weder die Zahl rechtsextrem motivierter Gewalttaten noch die Zustimmung zu rassistischen und anderen diskriminierenden Aussagen in der Bevölkerung geben Anlass zur Entwarnung.
Seit zehn Jahren gibt es Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus. Zuvor startete bereits das Landesprogramm „Tolerantes Brandenburg“, weitere Landesprogramme sind inzwischen hinzugekommen. Lokale Aktionspläne und vieles mehr sind erprobt worden. Von Anbeginn hat es spontane zivilgesellschaftliche Gegenwehr gegeben. Doch wenn ein Problem trotz zahlreicher Anstrengungen so zählebig ist, dann liegt die Frage nahe, ob genug und ob das Richtige getan wird. Engagement wird zur fragwürdigen Selbstberuhigung, zur professionellen Routine, wenn die Frage nach den Wirkungen ausgespart wird. Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus kann sonst zur entlastenden Ersatzhandlung werden: Eine kleine „Randgruppe“ wird traktiert, ohne die gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen anzutasten. Dies gilt vor allem für alltägliche Ohnmachtserfahrungen, Ausgrenzungen und Diskriminierungen – der Stoff, aus dem rechtsextreme Akteure ihre Legitimation beziehen.
Kompetenzzentren benötigen dauerhafte Finanzierung
Die Erträge der Bundesprogramme und einiger Landesprogramme sind unstrittig. Sie haben zur gesellschaftlichen Anerkennung der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und anderen Formen der Diskriminierung beigetragen. Mit den mobilen Beratungsteams, den unabhängigen Opferberatungen, aber auch in der Knastarbeit, der interkulturellen Praxis etc. sind Kompetenzzentren entstanden, die längst eine dauerhafte Finanzierung jenseits der „Projektitis“ von Modellprogrammen benötigen. Die Übertragung von positiven Modellerfahrungen in die Regelpraxis von Kindergärten, Schulen oder Vereinen steckt noch in den Anfängen. Und einen Fördertopf für kreative Projekte sollte es auch weiterhin geben.
Die stets aufs Neue kontroverse und ermüdende Debatte um die Ausrichtung und Zukunft der Modellprogramme droht eine gute Alltagspraxis von Initiativen, Bürger-Bündnissen oder Stiftungen unsichtbar zu machen, die sich oft unabhängig von staatlicher Förderung über Jahre in allen Gesellschaftsbereichen entwickelt hat. Sie machen Mut und können zum Handeln anstiften. In meinem Gutachten habe ich 13 wirksame Projekte aus drei Handlungsfeldern ausgewählt: Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Kein Projekt wird es alleine richten und ist ohne Ambivalenzen. Jeder Bereich hat seine eigene Handlungslogik. Aber wenn sie produktiv zusammenwirken, kann dies zu erfolgreichen Gegenstrategien gegen Rechtsextremismus führen.
Staat
Mit dem repressiven Teil staatlichen Handelns wird oft zu sorglos umgegangen. Gerade im Umgang mit Rechtsextremen wird vor allem Härte gefordert, ohne sich um Bürgerrechte und gesellschaftliche Folgen zu kümmern. Aber wie Hans Lisken und Erhard Denninger im Handbuch des Polizeirechts sagen: „Polizeiarbeit dient – wie die Justizgewährung – der Verwirklichung der Verfassung“. Dies sollte uneingeschränkt der Maßstab staatlichen Handelns sein. Dazu gehört das kreative Ausschöpfen rechtlicher Möglichkeiten, wie zum Beispiel der phantasievolle Einsatz gerichtlicher Mittel, der jugendlichen Neonazis die Stiefel auszieht (als Auflage bei Demonstrationen und im Alltag). Gerade das Jugendstrafrecht bietet zivilisierende Eingriffsmöglichkeiten. Generell kommt es darauf an, dass sich staatliche Organe den (potentiellen) Betroffenen von rechtsextremer Gewalt, dem Schutz ihrer Menschenwürde verpflichtet fühlen und z.B. die Errichtung von „Angsträumen“ verhindern. Rechtsextreme Motive müssen dazu wahrgenommen und thematisiert werden. Aber es braucht auch freiwillige Angeboten und positive Anreize zum Ausstieg, wie sie z.B. das „Violence Prevention Network“ für die Gefängnisarbeit in Brandenburg entwickelt hat. Die ist auch ein Beispiel für die notwendige Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und die präventive Öffnung repressiver Praxis. Dazu braucht es gemeinsame Leitbilder.
Zivilgesellschaft
Dass es an ihnen häufig fehlt, illustriert ein aktuelles Beispiel. Sitzblockaden gegen Nazi-Aufmärsche sind seit den erfolgreichen Aktionen in Dresden und Berlin populär geworden. Je nach Prominenz und Opportunität wird mit dem Nötigungsparagraphen des Strafgesetzbuches gedroht. Nach dem Mutlangen- und dem Wunsiedel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts sollte allerdings klar sein, dass die „Fernziele“ der Blockierenden zu würdigen sind, bevor von Nötigung oder „verwerflicher Gewaltanwendung“ gesprochen werden kann. Was für die Friedensbewegung gegolten hat, sollte auch für friedliche Sitzblockaden mit antifaschistischen Motiven in Anspruch genommen werden.
Für ein Gelingen zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus ist eine Stärkung der aktiven Bürgerschaft unerlässlich. Vielerorts, wie zum Beispiel in Wernigerode, gibt es Bürgervereinigungen, die seit Jahren und ohne lokalen Aktionsplan versuchen, die lokale Zivilgesellschaft zu stärken und die rechtsextreme Szene aufzulösen. Weniger bekannt ist eine wachsende Zahl von interreligiösen Begegnung, etwa den abrahamischen Trialogen zwischen Juden, Muslimen und Christen, die gegen religiös motivierte Diskriminierungen wirken können. Zum bürgerschaftlichen Engagement gehört auch eine eigenständige und professionelle Infrastruktur, wobei gerade auch „schwache“ Zivilgesellschaften externe Unterstützung benötigen.
Wirtschaft
Aktuell ist das Beispiel aus Bad Saarow, wo dem NPD-Vorsitzenden Udo Voigt Hausverbot im Hotel Esplanade erteilt worden ist. Konsequentes Vorgehen gegen diskriminierende und rassistische Handlungen sind Grundbedingungen für Erfolg gegen Rechtsextremismus. Wie Konsumentinnen und Konsumenten auf Unternehmen dabei einwirken können, zeigt die Kampagne „Servicewüste für Nazis“ in Berlin. Doch ebenso geht es um Unterstützung einer wertschätzenden Vielfalt im Betrieb selbst: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund müssen willkommen sein. Als gutes Beispiel kann hier die Unternehmensgruppe Freudenberg und die Freudenberg Stiftung, aber auch ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt gelten. In der beruflichen Ausbildung und in der Weiterbildung muss Vielfalt ein Thema sein.
Demokratie in allen Lebensbereichen
Generell ist den gelungenen Beispielen gemeinsam, dass sie keine kurzfristigen Projekte, sondern „gewachsen“ sind und einen mehrjährigen Vorlauf hatten. Es geht um die Problemrhythmen und Zeithorizonte vor Ort. Für alle positiven Beispiele gilt ebenso, dass die Engagierten Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen und mitgestalten wollen. Es geht nicht um Zuständigkeiten und Handlungsgrenzen, sondern Alltagspraxis von Bürgerinnen und Bürgern.
Nirgendwo wird das Wort Demokratie so strapaziert, wie in den Auseinandersetzungen mit Rechtsextremismus, nirgendwo bleibt auch so unbestimmt, was mit „Stärkung der Demokratie“ gemeint sein könnte. Genügt es bereits, wenn die Leute nicht (mehr) rechtsextrem wählen oder am Wahltag zuhause bleiben? Von zentraler Bedeutung ist eine konsequente Antidiskriminierungspolitik. Es kommt darauf an, mehr Demokratie zu wagen – von Anbeginn und in allen Lebensbereichen. Nicht zuletzt deshalb, weil die demokratische Erfahrung selbst etwas bewirken zu können, wirksam vorrechtsextremen Ideologien schützt.
*Der Politikwissenschaftler und Extremismusexperte Roland Roth lehrte an der Hochschule Magdeburg-Stendal.
Dieser Beitrag von Roland Roth ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).