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Wehrhafte Demokratie Was tun bei rechtsextremen Sprüchen im Klassenzimmer?

„Wer in der Demokratie schläft, erwacht in der Diktatur“. Dieses Zitat stammt vom Nürnberger Professor und Publizisten Hermann Glaser und schmückte ein Wahlplakat in der Altstadt von Jena. Das Plakat richtet sich gezielt an Nicht-Wählerinnen und -wähler und an „Politikverdrossene“. Die Message: Demokratie lebt vom Mitmachen eines jeden Einzelnen. Dazu gehört auch, regelmäßig wählen zu gehen.

Ich bin in Jena unterwegs, um mit Mitarbeiter*innen eines Demokratieprojektes zu sprechen, wohl auch deshalb fällt mir das Plakat gleich ins Auge. Das passt ja hervorragend! Nico Przeliorz von der Koordinierungs- und Kontaktstelle des Runden Tisches für Demokratie, kurz „KoKont“ genannt, steht mir Rede und Antwort. Im Gespräch wird mir wieder einmal bewusst, dass Demokratiebildung in Deutschland keineswegs selbstverständlich ist. In vielen Schulen mangelt es an fächerübergreifenden, langfristig angelegten Angeboten zu diesem wichtigen Thema. Dazu passt auch, dass die konkrete Auseinandersetzung mit den Gefahren für die Demokratie, allen voran mit Rechtsextremismus, in den Schulen häufig viel zu kurz kommt. Dabei ist der Handlungsbedarf enorm groß, auch in Thüringen: „In einer durchschnittlichen Schulklasse in Jena sitzen zwar nicht massenhaft gefestigte Rechtsextreme“, erzählt Nico Przeliorz, „aber nicht wenige haben eine mehr oder weniger latent rassistische Einstellung, die sie auch zum Ausdruck bringen“. Hier sind die Eltern, aber auch die Lehrerinnen und Lehrer gefragt.

Hilflosigkeit auch bei den Lehrkräften

Regelmäßig rufen in der Amadeu Antonio Stiftung ratlose Menschen an, die zwar über die Entwicklungen in der rechtsextremen Szene durchaus Bescheid wissen und die ihre Augen und Ohren offen halten. Aber wenn es darum geht, in konkreten Situationen rechtsextremen und demokratiefeindlichen Parolen etwas entgegenzusetzen, setzt Hilflosigkeit ein, auch bei den Lehrkräften. Was tun, wenn ein Schüler mit „Thor Steinar“-Jacke ins Klassenzimmer kommt und antisemitische Sprüche loslässt? Beunruhigend viele Lehrkräfte können diese Frage für sich nicht beantworten und sind mit entsprechenden Situationen schlichtweg überfordert. Einige nehmen nicht einmal wahr, wenn im Klassenzimmer rechtsextremes Gedankengut verbreitet wird, doch den meisten Lehrer*innen  ist sehr wohl klar, was abläuft. Die Frage ist dann: Wie damit umgehen? Aber gefragt sind nicht nur die Lehrer*innen; auch die Jugendlichen sollten ihren rechtsextremen Mitschülern klar machen, dass sie mit deren menschenfeindlichen Einstellungen nicht einverstanden sind. Wie in anderen Bereichen auch ist das eigentliche Problem nicht die rechtsextreme Minderheit, sondern die schweigende Mehrheit.

Argumente gegen rechte Parolen entwickeln

Daran soll sich zumindest in einigen Schulen grundlegend etwas ändern. Um über rechtsextreme Symbole und Parolen aufzuklären und aufzuzeigen, wie in entsprechenden Situationen angemessen reagiert werden kann, bietet der Thüringer Verein Bildungswerk BLITZ in Zusammenarbeit mit der Jugendbildungsstätte Hütten Workshops für Jugendliche und Lehrkräfte an. Gemeinsam mit Nico Przeliorz sowie mit Mitarbeitern des Vereins Bildungswerk BLITZ, dem Trägerverein von KoKont, fahre ich zum Staatlichen Berufsbildenden Schulzentrum in den Jenaer Stadtteil Göschwitz, um mir vor Ort ein genaueres Bild zu machen. Das Berufsschulzentrum hat sich ans Bildungswerk BLITZ gewandt, um unter den Schülerinnen und Schülern eine Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in Gang zu setzen. Immerhin hat sich das Berufsschulzentrum zum Ziel gesetzt, in näherer Zukunft eine „Schule ohne Rassismus“ zu werden.

Im Mai fand an der Schule ein dreitägiger Workshop statt, der von der Amadeu Antonio Stiftung im Rahmen der Kampagne „Kein Ort für Neonazis“ gefördert wurde. Thema: „Rechte Symbole und rechte Sprüche – erkennen und adäquat reagieren“. Der Workshop, ein gemeinsames Angebot von KoKont, dem Film e.V. Jena, dem Schüler-Lehrer-Netz und Bildungsreferenten der Jugendbildungsstätte Hütten, wurde speziell auf die Bedürfnisse der Berufsschülerinnen und -schüler angepasst und bedient sich eines Filmscreenings und der interaktiven Methode des Forumtheaters. Das wichtigste Ziel, so die Veranstalter, sei es, die Jugendlichen für rechte Symbole und Parolen zu sensibilisieren und ihnen dabei zu helfen, Argumente gegen Rechtsextremismus zu entwickeln und in alltagsnahen Situationen einzuüben.

Aktive Demokratiebildung etablieren

Frank Weingart, der stellvertretende Leiter des Berufsschulzentrums, erklärt freundlich, warum ihm das Projekt am Herzen liegt: „Als UNESCO-Projektschule ist es uns besonders wichtig, aktive Demokratiebildung zu etablieren, was natürlich auch Aufklärung gegen Rechtsextremismus beinhaltet“. Weingart und seine Kollegen haben früher bereits ähnliche Veranstaltungen für Schüler und Lehrkräfte angeboten. „Wir würden das auch weiterhin regelmäßig machen, aber am Ende hakt es dann doch wieder am Geld“, klagt Weingart. So bleiben Workshops zum Thema Rechtsextremismus vorerst vereinzelte Lichtblicke im regulären Lehrplan.

Die Kooperation zwischen dem Berufsschulzentrum und dem Bildungswerk gestaltete sich von Anfang an unkompliziert: „Genau wie die Schule sind auch wir nicht in erster Linie gegen etwas, sondern vor allem für Demokratie“, erklärt Frank Hofmann, der als Bildungsreferent in der Jugendbildungsstätte Hütten arbeitet. Der Workshop wurde so konzipiert, dass das Thema „Rechte Symbole und Parolen“ von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachtet wird. Die Referenten fragen die Jugendlichen zunächst, was ihnen spontan zu Nazis einfällt. Die Ergebnisse dieses Brainstormings sind interessant. Die meisten Schüler in der Klasse distanzieren sich mit ihren Aussagen deutlich von der Nazi-Ideologie: „Ein Nazi ist ein rechtsradikaler Waschlappen, der sich beim Türken Döner holt!“ ist der deutlichste Kommentar. Für einen anderen Schüler ist ein Nazi „jemand, der noch in den alten Zeiten lebt und für die Rassentrennung eintritt“. Andere lassen eine klare Distanzierung vermissen: „Ein richtiger Nazi ist jemand, der sich mit Hitlers Zeiten auseinandergesetzt hat und der äußerlich seine Meinung zeigt und vertritt“.

Verbote alleine bringen nichts

Die Methode des Forumtheaters trägt mit Hilfe darstellerischer Formen zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Konfliktsituationen bei. Die Schülerinnen und Schüler schlüpfen in verschiedene Rollen und können auf diese Weise die Konflikte, die im Zusammenhang mit rechtsextremen Parolen und Symbolen in der Schule entstehen, selbst durchleben. Aber auch informative Vorträge sind Bestandteil des Workshops. So lernen die Jugendlichen, warum rechtsextreme Frauen alles andere als harmlos sind, oder setzen sich mit den Textinhalten rechtsextremer Musik auseinander. Von einem Polizisten erfahren die Schüler*innen aus erster Hand, welche der rechtsextremen Symbole verboten sind und welche nicht. „Verbote allein bringen aber doch nichts“, gebe ich zu bedenken. Wird denn in den Workshops auch darüber diskutiert, warum bestimmte Symbole verfassungsfeindlich sind, möchte ich von Frank Weingart wissen. Seine Kollegin kommt ihm zuvor: „Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Ideologie ist uns ganz wichtig“. Schließlich könne die Schule ja schlecht für Demokratie eintreten und gleichzeitig mit diktatorischen Maßnahmen wie Verboten daherkommen.

Mit ähnlichen Fragen beschäftigen sich auch einige Lehrerinnen und Lehrer der Karl-Volkmar-Stoy-Schule, einem staatlichen Berufsschulzentrum in Jena. Auch sie sehen Handlungsbedarf und sind unzufrieden mit der Situation an ihrer Schule, was den Umgang mit rechtsextremen Positionen unter den Schülern betrifft. Das Berufsschulzentrum ist mit seinen insgesamt 1.200 Schülerinnen und Schülern eine große Schule, die Jugendlichen kommen aus nahezu allen Regionen Thüringens. Rechtsextreme Tendenzen unter den Schülern sind häufig zu beobachten. Einige engagierte Lehrkräfte haben deshalb die Initiative ergriffen und an einem Workshop des Bildungswerks BLITZ teilgenommen, der sie dazu befähigt, zur richtigen Zeit angemessen zu reagieren und zu handeln, wenn sie rechte Sprüche hören oder entsprechende Symbole auf der Kleidung ihrer Schüler erkennen.

Initiative muss von den Schüler*innen kommen

Zurück im Berufsschulzentrum in Jena-Göschwitz. Frank Weingart gibt am Ende des Gesprächs zu, dass auch er eine Wissenslücke zu füllen hatte: „Viele der aktuellen Symbole hätte ich nicht als ‚rechtsextrem‘ eingeordnet – von daher habe auch ich als Lehrer etwas dazugelernt“. Weingart ist zuversichtlich, dass das mit der „Schule ohne Rassismus“ bald klappen wird. Erzwingen kann er nichts, das ist ihm klar. Die Initiative müsse von den Schüler*innen kommen, nicht von den Lehrer*innen, sagt er. Ein erster Schritt ist mit den Workshops nun gemacht: „Wenn die Lehrer*innen bei rechtsextremen Parolen im Unterricht nicht mehr wegsehen, sondern sich dem Problem stellen, ist schon viel gewonnen“.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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