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„Wenn der Nachkriegswohlstand endet, ist dem Rechtsextremismus Tür und Tor geöffnet“

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Das Interview führte Valentina Huthmacher

Was sind die Ursachen von Rechtsextremismus?

Die zur Zeit prominenteste These zu den Ursachen von Rechtsextremismus ist die Deprivations- beziehungsweise Desintegrationsthese. Diese besagt, dass es einen Zusammenhang zwischen sozialer und ökonomischer Lage sowie der politischen und gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeit auf der einen Seite und der politischen Einstellung einer Person auf der anderen Seite gibt. Soziale und ökonomische Benachteiligung und eine geringe Möglichkeit zur Teilhabe können eine antidemokratische, also zum Beispiel rechtsextreme Position zur Folge haben.
Diese These wurde in empirischen Studien bestätigt: Es zeigt sich, dass es einen Zusammenhang zwischen ökonomischer Desintegration und politischer Rechtsgerichtetheit gibt. Menschen, die rechten Meinungen zustimmen, sind aber nicht nur diejenigen, die tatsächlich benachteiligt sind, sondern auch diejenigen, die in der unteren Mittelschicht vom sozialen und ökonomischen Abstieg bedroht sind oder sich davon bedroht fühlen.
Allerdings erklärt die Empirie nicht den Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Lage, politischer Teilhabe und Rechtsextremismus. Und auch nicht, warum dieser Zusammenhang häufig gerade nicht anzutreffen ist: Rechtsextreme Einstellungen sind in allen Bevölkerungsschichten vorhanden. Das zeigt: Wie dieser Zusammenhang gestrickt ist, bleibt offen.

Welche historischen Ursachen für den heutigen Rechtsextremismus sehen Sie?

Durch die mangelhafte Verarbeitung der NS-Zeit ist in den Psychen der Menschen etwas offen geblieben, das immer noch abgearbeitet werden muss. Man kann davon ausgehen, dass psychische Strukturen, und damit diese mangelhafte Verarbeitung, über Generationengrenzen hinweg weitergegeben wurden und sich heute im Rechtsextremismus ausformen.
Aber auch mit Blick auf die deutsche Vergangenheit spielt die ökonomische Lage und deren Entwicklung eine entscheidende Rolle bezüglich des Rechtsextremismus. In der NS-Zeit hat das deutsche Selbstbild eine enorme Aufwertung erfahren, die nach dem zweiten Weltkrieg weggebrochen ist. Dieser Verlust wurde durch den deutschen Nachkriegswohlstand kompensiert. Wir haben deshalb diese Wohlstandserfahrung als ?narzisstische Plombe? bezeichnet. Gleichzeitig wurde die Demokratie nicht als gesellschaftliches Gemeinschaftsprojekt gesehen, sondern hauptsächlich als notwendige Grundlage für eben diesen Wohlstand. Wenn nun der Wohlstand zurückgeht, erfährt das Selbstbild wieder eine Abwertung und die Demokratie verliert ihre primäre Legitimation: Die Plombe löst sich. Dann ist dem Rechtsextremismus wieder Tür und Tor geöffnet.

Warum denken und/oder handeln manche Menschen rechtsextremistisch?

Die Erziehung legt das Fundament für die persönliche Entwicklung von Menschen. Ein demokratisches Erziehungsklima befördert die Entwicklung eines positiven Selbstwerts und die Erkenntnis des Werts anderer Menschen. Außerdem befördert es eine demokratische Einstellung. Im Gegensatz hierzu fehlt bei der autoritären Erziehung die Möglichkeit, einen positiven Selbstwert zu entwickeln. Stattdessen entstehen Aggressionen, die ein Ventil brauchen. Menschen, die autoritär erzogen wurden, tendieren stark zur Befürwortung von Gewalt und zu rechtsextremen Positionen.
Man kann aber auch sagen, dass das gesellschaftliche Umfeld zu rechtsextremistischer Positionierung beiträgt. Denn in den letzten Jahren, im Zuge des Umbaus des Sozialstaats, werden Abweichungen generell stark durch den Staat definiert und sanktioniert. Dies bereitet einen Boden für undemokratische Diskurse und legitimiert Ungleichheitsvorstellungen.

Dr. phil. Oliver Decker forscht an der selbständigen Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig. Seit 2002 ist er an der Durchführung und Publikation der ?Mitte?-Studien zur rechtsextremen Einstellung und ihren Einflussfaktoren in Deutschland beteiligt. Im Herbst steht die Veröffentlichung der neuesten Studie an.

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