Viel wurde im Vorfeld der Demo in Göppingen über den Nazi-Aufmarsch geschrieben, in der Nachberichterstattung dominierten die Schlagzeilen über vereinzelte Ausschreitungen gewaltbereiter Gegendemonstranten*innen. Etliche von ihnen wurden festgenommen, Antifaschisten*innen berichten von einem unverhältnismäßigen Polizeieinsatz. So erzählte etwa Landtagsvizepräsidentin Brigitte Lösch (Grüne), dass eine etwa 20-köpfige Abordnung der Grünen Jugend ohne Vorwarnung von der Polizei eingekesselt worden sei. „Es gab keine Aufforderung von der Polizei, sie wurden einfach abgedrängt. Weder sehen die aus wie ein schwarzer Block, noch hatten die irgendetwas dabei“, so Lösch gegenüber der Südwest Presse. Ein anderer Kritikpunkt betrifft die Stadt: Diese hatte eine eigene Gegenveranstaltung organisiert und sich nicht an der zentralen Kundgebung des Bündnisses „Kreis Göppingen nazifrei“ beteiligt. Ein Vorwurf, den Göppingens Oberbürgermeister Guido Till (parteilos) mittlerweile zurückgewiesen hat. Noch vor der Sommerpause, so Till, habe die Stadtverwaltung dem Bündnis eine gemeinsame Protestveranstaltung vorgeschlagen. Dies sei vom Bündnis erst begrüßt, dann aber abgelehnt worden. Dies bestreitet „Kreis Göppingen nazifrei“ in einer Pressemitteilung. „Bereits vor einem ersten Kontakt mit der Stadt hatten wir unsere Kundgebung angemeldet“, betonte Bündnis-Sprecher Alex Maier. Bei einem ersten Kooperationsgespräch sei von der Stadtverwaltung das Angebot gemacht worden, dass die Stadt die Kundgebung des Bündnisses übernehmen wolle – „mit unserer Unterstützung, aber nicht mit uns gemeinsam“.
Gemeinsam Flagge zeigen statt getrennter Kundgebungen
Es scheint fast müßig, im Nachhinein genau klären zu wollen, wie es zu den Vorgängen am Samstag in Göppingen kam. Klar ist, dass es knapp 150 Nazis gelungen ist, die Stadt einen Tag lang in Atem zu halten. Sie gehörte nicht mehr den Bürger*innen, die Abläufe wurden von den Rechtsextremen bestimmt. Diesen Eindruck kann auch Chris Kühn, Landesvorsitzender der Grünen in Baden-Württemberg, bestätigen. Er kommt aus Göppingen, entsprechend persönlich sind seine Eindrücke von der Demo: „Es trifft einen schon emotional, wenn die eigene Heimatstadt an einem solchen Tag hermetisch abgeriegelt ist.“ Für ihn habe sich Göppingen fast wie eine Geisterstadt angefühlt. Kühn habe zunächst die Kundgebung des Bündnisses besucht und dann versucht, durch die Stadt zu laufen. Die beiden getrennten Kundgebungen von Stadt und Bündnis transportieren auch für ihn eine schlechte Botschaft: „Ich hätte es besser gefunden, wenn gemeinsam Flagge gezeigt worden wäre.“
Gegendemonstranten*innen am Samstag in Göppingen (Foto: Kreis Göppingen nazifrei)
Zum viel kritisierten Polizeieinsatz erklärte Kühn, dass es während des Nazi-Aufmarschs keine Gelegenheit für die Gegendemonstranten*innen gegeben habe, ihrem Protest Ausdruck zu verleihen. Einige von ihnen seien bereits am Bahnhof von der Polizei eingekesselt worden – für den Landesvorsitzenden der Grünen ein schlechtes Signal, da sie so nicht an der Gegenkundgebung teilnehmen konnten. Kühn sagte weiter, dass er aber auch Gegendemonstranten*innen gesehen habe, die gegen Polizei und Polizeiautos vorgingen. „Das waren unschöne Szenen“, beschreibt er. Insgesamt habe schon eine gewaltgeladene Stimmung in der Stadt gelegen. „Der Großteil der Demonstranten war aber friedlich“, betont er.
Juristisches Hin und Her im Vorfeld
Der Demonstration in Göppingen war ein juristisches Hin und Her vorausgegangen: Zunächst hatte die Stadt Göppingen den Nazi-Aufmarsch verboten, was vom Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigt wurde. Der Anmelder des Aufmarschs legte daraufhin Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim ein, der das Verbot kippte. „Diese Entscheidung war zu erwarten, sieht man sich die Rechtsprechung an“, kommentiert Kühn. Er würde sich daher eine andere Rechtsprechung wünschen – „vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass eine Handvoll Nazis eine ganze Stadt in Atem halten können“.
Chris Kühn, Landesvorsitzender der Grünen Baden-Württemberg (Foto: chriskuehn.de)
Die Demonstration in Göppingen war nicht der einzige Nazi-Aufmarsch der jüngsten Zeit in Baden-Württemberg: Erst kurz davor hatten gut 70 NPD-Demonstranten*innen versucht, durch Heidelberg zu marschieren – bereits zum Start ihrer Route standen ihnen am Hauptbahnhof rund 2.000 Gegendemonstranten*innen gegenüber, so dass sie ihren Weg stundenlang nicht fortsetzen konnten. Die Nazis lösten ihre Demo schließlich auf, ohne ihre geplante Route zu gehen. Sicherlich ein positives Beispiel für den Erfolg zivilgesellschaftlichen Engagements. Gleichzeitig aber fügt sich die gescheiterte Demo in eine ganze Reihe von Nazi-Umtrieben in Baden-Württemberg ein, auf die auch Chris Kühn verweist: „Brandanschläge, Aufmärsche, Prügeleien“, zählt er auf. Insofern habe das Bundesland ganz sicher ein Problem mit Rechtsextremismus. Umso fragwürdiger erscheint die Aussage von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zur „Unterwanderung von Teilen Ostdeutschlands“ durch Rechtsextreme. Friedrich hatte in einem Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“ erklärt: „Mich treibt schon um, dass in einigen Landstrichen Ostdeutschlands Neonazis auftrumpfen und zivilgesellschaftliches Leben bewusst für ihre Zwecke unterwandern.“
Ein gesamtdeutsches Problem
Mittlerweile hat der Bundesinnenminister seine Aussage zwar präzisiert – „Ich habe nie behauptet, dass das ein ostdeutsches Problem sei“, erklärte er später – doch wieder bleibt das Bild vom „braunen Osten“, während der Rechtsextremismus im Westen aus dem Fokus rückt. Tatsächlich aber sei dieser „ein gesamtdeutsches und sogar europäisches Problem, das sich nicht auf Ostdeutschland beschränkt“, so Chris Kühn.
Insgesamt müsse der Kampf gegen Rechtsextremismus verstärkt werden, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die Nazis nicht aggressiver, sondern auch organisierter geworden seien. Kühn führt dazu aus: „Das zeigt nicht zuletzt das Beispiel des Nationalsozialistischen Untergrunds.“
Demoberichte im Netz
„Ein Recht auf Nazipropaganda“ (blick nach rechts)
Ausnahmezustand und NS- Verherrlichung bei Nazi-Aufmarsch in Göppingen (Störungsmelder)