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Wenn Zahlen zum Politikum werden Statistiken rechtsextremer Gewalt in Deutschland

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Demo in München erinnert an die Todesopfer rechter Gewalt (Quelle: Johannes Hartl)

Die Auseinandersetzung mit der konkreten Anzahl von Opfern rechtsextremer Gewalt beinhaltet wohl immer den Wunsch, das Problem zunächst überhaupt fassen zu können. Von welchen Dimensionen muss man ausgehen, wenn wir über rechtsextremen Terror in Deutschland sprechen? Wie viele Menschen sind ihm mit tödlicher Folge zum Opfer gefallen?

Spätestens seit der NSU-Mordserie und nun mitten im Wahlkampf liegt das Thema erneut brandaktuell auf dem Tisch. Problematisch ist hierbei, dass die Einstufung selten nach mathematischen Vorgaben und viel zu oft aufgrund der wertenden Perspektive aller in die Ermittlungen verwickelten Personen erfolgt – eine riesige Fehlerquelle.

Statistiken sind immer auch politisches Werkzeug

Die Opfer-Liste des Journalisten Frank Jansen, welche häufig unter dem Namen „Jansen-Liste“ gehandelt wird, führt der „Tagesspiegel“-Mitarbeiter schon seit den 90er Jahren. Sie beinhaltet inzwischen 152 Namen. Zuletzt musste er sie im März aufgrund des „NSU-Prozesses“ vor dem Oberlandesgericht (OLG) München überarbeiten. Sein Ergebnis von 152 Personen ist wesentlich höher als die offizielle Version, welche 63 Menschen als Todesopfer rechter Gewalt führt. Ungefähr 20 davon wurden allein dank Jansen und seinen Mitarbeitern nachgemeldet. Der Thüringer Justizminister Holger Poppenhäger von der SPD bringt die verwirrende Zahlen-Schieflage auf den Punkt: Der Staat „mogele“, um das Problem des Rechtsextremismus nicht allzu groß wirken zu lassen.

Noch drängender wird die Problemlage, zieht man die Opferliste hinzu, welche die Amadeu Antonio Stiftung kontinuierlich pflegt. Ihrzufolge sind seit 1990 bis Ende 2012 183 Menschen durch die Folgen menschenfeindlicher Gewalt ums Leben gekommen. Diese Liste basiert auf den Recherchen der Redaktion von „Mut gegen rechte Gewalt“ und des Opferfonds CURA.  

Es muss verhandelt werden, wie Rechtsextremismus in Zukunft definiert wird

„Das gesellschaftliche Lagebild und die Ermittlungen driften zu weit auseinander“, resümiert Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, im Zuge einer Fachkonferenz zur Erfassung rechtsextremer Straftaten der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der Prozess, wann eine Straftat als rechtsextrem einzustufen sei, wäre von einer „eigenartigen Intransparenz“ geprägt. Diese scheint nicht immer beabsichtigt fahrlässig zu sein. Größter Mängelpunkt sind die schlichtweg fehlenden einheitlichen Begrifflichkeiten und Definitionen. Statistik-Experte PD Dr. Bert Götting weist darauf hin, dass dadurch ungeschulte und persönliche Einschätzungen von Einzelpersonen zu oft das Zünglein an der Waage darüber sind, wie ein Fall bearbeitet werde. Auf Bundesebene fehle zusätzlich eine gesetzliche Regelung, die die Erfassung statistischer Daten im Bereich der Justiz regelt.

Podiumsdiskussion bei der FES-Veranstaltung

Podiumsdiskussion bei der FES-Tagung „Lagebild mit politischer Brisanz. Zur kriminalstatistischen Erfassung rechtsextremer Straftaten“ (Quelle: FES)

Das Ausmaß des Terrors wurde Kollektiv übersehen

Die Entscheidung über die Einordnung einer Straftat, welche oft die Kompetenzen einzelner Personen überschreitet und das Übersehen möglicher rassistischer Motive durch Medien, Behörden und Ermittler erklärt Frank-Michael Schwarz vom Thüringer Justizministerium wie folgt: „Wir wollten und konnten uns nicht vorstellen, dass so etwas überhaupt möglich ist“. Selbst Frank Jansen stellte sich nie die Frage, ob es sich bei den Fällen um eine rechtsextreme Strafserie handeln könnte. Er „werfe sich das noch heute vor“, und müsse sich aufgrund dieser Nachlässigkeit „mehrere drückende Schuhe anziehen“.

Zurück zu den Statistiken. In Brandenburg forscht seit Mai die Projektgruppe “Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt in Brandenburg“ im Rahmen der Studie „Erforschung und Prävention von Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus im Land Brandenburg“ an der Überprüfung umstrittener Altfälle. Für die Experten des Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam dreht sich auch hier wieder alles um die Frage nach den Zahlen. Wie viele Menschen sind durch rechtsextreme Straftaten in Brandenburg ums Leben gekommen? 31 Fälle werden aktuell behandelt und bei allen lassen sich rechtsextreme Einflüsse feststellen, welche jedoch aufgrund der erneuten Sichtung in die Opferliste aufgenommen werden ist bis dato noch unklar. Anetta Kahane hält das für einen „sehr guten Ansatz“, da „Statistiken in Deutschland so ernst genommen werden“ und Zahlen nicht zuletzt auch eine Wirkung bei der Zuteilung von Ressourcen haben – diese fehlen leider vor allem in der Präventionsarbeit.

Mehr Informationen im Netz:

Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt seit 1990 (Mut gegen rechte Gewalt)Erinnerung an die Opfer rechter Gewalt (Amadeu Antonio Stiftung)Todesopfer rechter Gewalt – eine furchtbare Bilanz (netz-gegen-nazis.de)

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