Zusammengestellt von Simone Rafael
Nach dem überraschenden Tod des rechtsextremen Anwalts, Geldgebers und NPD-Vizes Jürgen Rieger nach einen Schlaganfall am 29.10.2009 ist im Nachlass einiges zu regeln. Wer beerbt Jürgen Rieger finanziell, politisch, die Kanzlei, die Immobilien?
Während es Gerüchte gab, Rechtsextreme aus dem Spektrum der „freien Kameradschaften“ hätten am Wochenende nach dem Bekanntwerden vom Tod des Anwaltes Jürgen Riegers Haus und Kanzlei nach einem Testament durchsucht, dementiert dies die Polizei, allerdings mit den Worten, es lägen „keine Hinweise auf unberechtigtes Eindringen vor“. (Ad hoc news). Später stellte sich heraus: Aus dem Testament sind die Firmenakten zur „Wilhelm Tietjen Stiftung“ in die rechtsextreme Szene „verschwunden“ (mehr unten).
Gemeinden, in denen Rieger als Immobilienkäufer aktiv war, hoffen nun auf Ruhe von der rechtsextremen Szene, falls die Immobilien an private Erben fallen (Pößneck), oder dass ein Kauf mit dem Tod Riegers hinfällig ist (Faßberg). In Pößneck entbrennt im Laufe des November allerdings ein Streit um das „Schützenhaus“: Der Bürgermeister lässt es zur Wahrung für die Erben versiegeln, die rechtsextreme Szene kontert mit einer ominösen und juristisch nicht relevanten „Vollmacht“ Riegers (mehr unten).
Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelte zuletzt noch wegen des Verdachts der Volksverhetzung und Verstoßes gegen das Waffengesetz gegen Rieger. Die Verfahren werden nun voraussichtlich eingestellt. Auslöser waren ein rassistisches Flugblatt der Hamburger NPD aus dem Februar 2009 und ein Sturmgewehr aus dem Zweiten Weltkrieg, dass die Polizei bei einer Razzia in Riegers Privathaus in Hamburg-Blankenese fand (FTD).
Als aussichtsreicher Nachrücker in den NPD-Bundesparteivorstand gilt laut NDR Info der sächische NPD-Chef Holger Apfel. Damit bekäme innerhalb der NPD der Kurs gemäßigteren Auftretens wieder Rückenwind, dem besonders der NS-apologetische Rassenfanatiker Rieger im Weg stand (NDR Info).
Ein anonymer Schreiber berichtet auf indymedia, es gäbe Zerwürfnisse zwischen parteifreien Neonazis und der NPD, weil diese nach Riegers Schlaganfall keinen Krankenwagen rief, sondern ihn im Privatauto ins Krankenhaus brachte, weil sie Aufsehen fürchtete (indymedia).
Die NPD meldete währenddessen einen „Gedenkmarsch“ für Jürgen Rieger in Wunsiedel für den 14. November an (npd-blog.info, aida-Archiv). In Wunsiedel liegt Adolf Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess begraben. Rieger hatte dort bis 2010 Gedenkmärsche angemeldet, die aber seit 2005 verboten werden. Die Demonstration fand statt, rund 800 Neonazis kamen (bnr).
Auf Neonazi-Seiten wird derweil verbreitet, eine „nicht-nationale“ Anwaltskanzlei übernehme die Nachlassverwaltung von Riegers Kanzlei mit vollen Zugriff auf alle Akten. Es handelt sich um einen abwickelnden Anwalt der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, der in der vergangenen Woche beantragt wurde. Nun sind Neonazis in Sorge, die von Jürgen Rieger vertreten wurden, dass ihre Daten staatlichen Stellen zu Gesicht kommen (npd-blog.info, Ad Hoc News).
Im von Rieger geführten NPD-Landesverband Hamburg hat laut redok.de mittlerweile sein Stellvertreter Torben Klebe das Kommando übernommen (redok.de).
Ergänzungen 03.11.2009
Nazi-Anwalt Jürgen Rieger hatte in Wunsiedel „Rudolf Heß“-Demonstrationen bis 2010 angemeldet. Diese werden seit 2005 verboten, Rieger klagte dagegen durch alle Instanzen – seit Juni 2008 liegt der Fall beim Verfassungsgericht. Er wird trotz Riegers Tod nicht eingestellt werden, denn es geht um ein Problem von allgemeiner und fortwirkender Bedeutung: Sind Versammlungsverbote verfassungsgemäß, die auf das im Jahr 2005 neugefasste Versammlungsgesetz und auf den damals erweiterten Volksverhetzungsparagraphen 130 gestützt werden? Diese Änderungen geschahen seinerzeit ausdrücklich mit dem Ziel, das bis dahin übliche rechtliche Hin und Her bei Neonazi-Demos zu beenden. Konkret geht es um den Absatz 4: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.“ Wird der gekippt, geht der Ärger um Neonazi-Aufmärsche von vorn los (sueddeutsche.de).
Jürgen Rieger wollte zuletzt auch den Traditionsgasthof Puchtler in Warmensteinach (Bayern) als Schulungszentrum erwerben – noch ist unklar, was daraus wird (Nürnberger Nachrichten).
Ergänzung 04.11.2009
IG Metall Wolfsburg fordert Möbelhaus-Besitzer auf, keine Geschäfte mit der rechtsextremen Szene mehr zu machen und ein „KdF“-Museum in der Stadt zu verhindern. Ursprünglich war das ein Projekt des jüngst verstorbenen Jürgen Rieger. (die-newsblogger.de)
Ergänzung 05.11.2009:
Laut Berichten von npd-blog.info und NDR Info hat der vermögende Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger in seinem Testament nur seine Kinder als Erben eingesetzt, die nichts mit der rechtsextremen Szene zu tun haben. NPD und Co. gehen leer aus (npd-blog.info).
Ergänzung 12.11.2009:
Wie der niedersächsische Verfassungsschutz bestätigte, sind aus dem Testament des rechtsextremen Anwalts und NPD-Vizes Jürgen Rieger Firmenakten der Wilhelm-Tietjen-Stiftung verschwunden. Rieger war alleiniger Gesellschafter der Stiftung. Mitte der Woche präsentierte ein rechtsextremer Anwalt in Pößneck, wo besagter Stiftung das „Schützenhaus“ gehört, eine „Vollmacht„, die die Geschäfte auf Riegers langjährigen Weggefährten und Kameradschaftskader Thomas Wulff überträgt. Da diese Vollmacht aber weder ins Handelsregister in Deutschland noch in England eingetragen ist, ist sie offenbar juristisch bedeutungslos (tagesschau.de).
Ergänzung 16.11.2009:
Unklarheiten zum Erbe von Jürgen Rieger. Offenbar hatte er die „Wilhlem Tietjen Stiftung“ in eine 2001 in London registrierte Firma überführt, um mit dem darin gebündelten Erbe unrechtmäßig die NPD zu unterstützen, statt sich um die „Gründung eines Instituts zwecks Mehrung der Träger elitärer Erbanlagen“ sowie die „Errichtung einer entsprechenden Spermienbank“ zu kümmern (Spiegel online).
Ergänzung 18.11.2009:
Urteil des Bundesverfassungsgerichtes: Volksverhetzungs-Paragraph 130 ist rechtmäßig, Verherrlichung und Rechtfertigung des NS-Regimes bleiben strafbar (Artikel).
Zum Thema:
| Rechtsextremer Anwalt, Scharnierfigur und Finanzier: Jürgen Rieger ist tot