Tenzin Sekhon interviewte Max–Fabian Wolff Jürgens, einen der Initiatoren des Projekts.
Warum habt Ihr dieses Projekt ins Leben gerufen?
Wir gehen zusammen aufs Gymnasium in Kyritz und sind in derselben Klasse. Das Projekt haben wir gestartet, weil es uns wichtig war, Position gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu beziehen und uns dagegen zu engagieren. Die Motivation kommt vor allem daher, dass sich heutzutage immer mehr Jugendliche nicht mehr mit der Vergangenheit und der Bedrohung von Rechts auseinander setzen.
Gibt es auch persönliche Erfahrungen, die Euch dazu bewegt haben, dass Ihr „Jung gegen Rechts“ ins Leben gerufen habt?
Ich persönlich habe noch keine wirklich schlimmen Erfahrungen mit Rechtsextremen gehabt. Allerdings habe ich schon miterlebt, dass mal auf der Schule der rechte Arm gehoben oder irgendeine Nazi-Parole gerufen wurde. Einige Personen machen das sicher auch aus Spaß, aber gerade da wollen wir ansetzen und zeigen, dass das kein Spaß ist und nicht toleriert werden darf. Jamal hat vor ein paar Jahren tatsächlich mal Schlimmeres erlebt. Er wurde mit einem Freund zusammen von Neonazis umzingelt, dem Freund wurde dann mit einer Bierflasche auf den Kopf geschlagen. Das war für ihn auch ein Beweggrund, dieses Projekt auf die Beine zu stellen.
Was für Aktionen habt ihr bisher gemacht?
Eine große Aktion war die Reise während der Fußball-Europameisterschaft, mit der wir zeigen wollen, dass man die Beschäftigung mit der Geschichte durchaus auch mit Spaß und Fußballbegeisterung verbinden kann. Wir haben dabei das ehemalige Konzentrationslager in Auschwitz besucht und waren in Krakau und Warschau und haben auch dort Gedenkstätten besucht. Gleichzeitig waren wir auch bei dem Halbfinalspiel Deutschland gegen Italien und haben dadurch deutlich gemacht, dass antirassistisches Engagement und historisches Bewusstsein dem Spaß am Fußball auf keinen Fall im Wege stehen. Über die Reise wird es jetzt auch einen Dokumentationsfilm geben, er zurzeit noch in Arbeit ist und an Schulen gezeigt werden soll. Zudem sind wir auch auf einigen Demonstrationen gewesen. In Neuruppin haben wir beispielweise gegen einen Neonaziaufmarsch demonstriert, genauso wie am 2. Juni, als wir uns an der Demonstration in Hamburg beteiligt haben.
Und was plant ihr für die Zukunft?
Ein noch ausstehendes Projekt in Planung ist unsere „Reise gegen Rechts“, bei der wir innerhalb Deutschlands herumreisen und mit Jugendlichen vor Ort Aktionen machen wollen, die ein Bewusstsein für die Bedrohung durch den Rechtsextremismus schaffen und gleichzeitig auch Spaß machen.
Ihr beschäftigt euch sehr intensiv mit Fußball. Auf eurer Website findet man Fotos von antirassistischen Fußballturnieren, an denen ihr euch beteiligt habt. Warum steht Fußball bei Euch so sehr im Mittelpunkt?
Einerseits ist es großes persönliches Interesse, andereseits sind wir aber auch der Meinung, dass der Fußball so beliebt ist und eine so große Rolle in Deutschland spielt, dass der Sport ein sehr guter Träger für dieses Projekt und für Toleranz ist. Ich finde, dass Fußball das auch sehr gut macht bisher – die Bundesliga ist sehr international und im Vergleich zu anderen europäischen Topligen findet sich wenig Diskriminierung. Gegen die Fans, die den Fußball als Plattform nutzen, um ihre fremdenfeindlichen und rechtsextremen Gedanken zu propagieren, versuchen wir anzugehen und andere Fans zu ermutigen, das auch zu tun.
Nochmal zu eurer Reise während der Fußball-Europameisterschaft. Welche Erlebnisse würdest du hervorheben?
Den Besuch im ehemaligen Konzentrationslager in Auschwitz und die Eindrücke, die ich dadurch bekommen habe, werde ich niemals vergessen. Auch ein Gespräch mit dem 92-jährigen Zeitzeugen Josef Paczynski war sehr schockierend und eindrucksvoll. Er war einer der ersten Häftlinge in dem Lager und verbrachte fünf Jahre in Auschwitz. Die Geschichten, die er erzählt hat, haben mich sehr bewegt und werden mich mein Leben lang begleiten. Was uns ebenfalls aufgefallen ist, war die Gastfreundschaft, die wir und andere Besucher in Polen erlebt haben. Gerade im Bezug auf deutsche Fans und Touristen hat uns das sehr beeindruckt, denn wenn man überlegt, dass die Verbrechen der NS-Zeit garnicht so lange her sind, ist es sehr erstaunlich mit welch offenen Armen man dort empfangen wird.
Ihr beschreibt auch positive Erlebnisse, die ihr in Auschwitz gemacht habt. Wie würdest du die Gefühlslage beschreiben, die die Konfrontation mit den Gräueltaten des Konzentrationslagers auf der einen Seite und der Spaß und die Begeisterung am Fußball auf der anderen Seite ausgelöst haben?
Es war natürlich schon ein großer Kontrast. Auf der anderen Seite war die Fußballbegeisterung auch eine willkomene Abwechslung zu den Eindrücken aus dem Konzentrationslager und ist uns sehr entgegen kommen. Wir haben zum Beispiel in Auschwitz mit Reisebusfahrern Fußball gespielt, nachdem wir mit ihnen über unser Projekt und die Europameisterschaft gesprochen hatten. Solche Erlebnisse haben auch uns selbst noch einmal deutlich gemacht, wofür die Reise steht und was wir damit erreichen wollen.
Wird so eine Aktivität wie Fußballspielen denn der Bedeutung des Konzentrationslagers in Auschwitz gerecht?
Ich sehe keinen Widerspruch darin, auch in Auschwitz die Fußballbegeisterung auszuleben. Mir hat sie auch dabei geholfen, mich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen und die ganzen schrecklichen Eindrücke zu verarbeiten. Ich glaube gerade für junge Menschen ist es leichter, so mit der Thematik umzugehen.
Ihr habt euch in Warschau das Halbfinalspiel zwischen Deutschland und Italien im Stadion angeschaut. Wie ist es dazu gekommen?
Wir hatten schon vor der Reise Kontakt mit dem DFB aufgenommen, um nach Unterstützung für die Initiative zu fragen. In Krakau haben wir dann eine Email von denen bekommen, in der uns mitgeteilt wurde, dass sie noch vier Karten für uns und unser Team zu vergeben hätten, um das Spiel Deutschland gegen Italien anzuschauen. Die sind also aus Eigeninitiative auf uns zugekommen und haben uns die Karten bereitgestellt, auch, um unsere Reise und das Projekt zu unterstützen.
Wie war die Stimmung im Stadion? Im Bericht schreibt ihr von einigen vereinzelten Buh-Rufen, allerdings hat man ja schon im Vorfeld von diskriminierenden Kommentaren und Parolen im Bezug auf Mario Ballottelli und der italienische Nationalmannschaft gehört.
Die Stimmung und die Emotionen im Stadion waren überwältigend. Im deutschen Block waren auch einige italienische Fans dabei, die keine Tickets mehr für den italienischen Block bekommen hatten. Der Großteil der Fans war fair und friedlich, die Atmosphäre war super.
Ihr wart während der Reise mit vielen Personen im Gespräch, zwei polnische Fernsehsender haben Euer Projekt sogar in die Berichterstattung mit eingebaut. Wie war die allgemeine Reaktion auf „Jung gegen Rechts“ und die Reise?
Alle haben das Projekt sehr positiv aufgenommen und waren begeistert von der Idee. Mit einigen sind wir auch immernoch in Kontakt, mit zwei Straßenkünstlern aus Warschau planen wir sogar eine weitere Aktion. Wir haben sehr viele interessante Gespräche gehabt und viele neue Menschen kennengelernt, die unsere Reise geprägt haben.
Was habt ihr von der Reise mitgenommen? Auch im Bezug auf eure Arbeit mit dem Projekt.
Eines unserer Ziele ist es, dass Schüler und Schülerinnen bis zur zehnten Klasse einmal so eine Reise mit der Schulklasse machen. Nach der Reise sind wir zu dem Entschluß gekommen, dass solch eine Reise sehr wichtig für die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist.
Ihr habt mit dem Projekt eine ganz spezifische Zielgruppe. Wieso beschäftigt ihr euch gerade mit Jugendlichen und was versprecht ihr euch davon?
Die Vergangenheit darf nicht vergessen werden. Damit dies nicht geschieht, müssen Jugendliche sich dafür interessieren und sich damit auseinander setzen. Wir sind natürlich auch aufgeschlossen Anderen gegenüber und freuen uns, wenn auch ältere Personen uns unterstützen wollen. Trotzdem beschäftigen wir uns hauptsächlich mit Jugendlichen und versuchen diese dazu zu motivieren, sich zu informieren und zu engagieren und rechtsextreme Parolen und Aktionen nicht zu tolerieren.
Mehr über Jung gegen Rechts:
| Reisebericht von Jung gegen Rechts