Das Interview führte Simone Rafael.
Welchen Reiz übt Dark Social auf die rechte Sphäre aus?
Als im vergangenen Jahr im Sommer mehrere große Soziale Netzwerke begonnen haben, ihre Community Standards besser durchzusetzen und rechtsextreme Gruppierungen ihre Kommunikationsplattformen zu nehmen, zog es rechte Aktivist*innen vermehrt zu Diensten wie Whatsapp oder vor allem Telegram. Vorreiter war dabei Martin Sellner, Kopf der “Identitären Bewegung” in Deutschland und Österreich. Im Sommer haben Facebook und Instagram die „Identitäre Bewegung“ zur „Hassorganisation“ erklärt und sämtliche Kanäle, Seiten und Profile mit offenem Bezug zur IB gelöscht. Sellner hat dann angefangen, unter seinen verbliebenen YouTube-Kanälen für Telegram Werbung zu machen. Hierbei hat er von der amerikanischen rechtsextremen „Alt-Right“-Bewegung gelernt, die den Messengerdienst Telegram schon länger für ihre Kommunikation nutzt, weil dort praktisch kaum Inhalte gemeldet werden können und entsprechend auch fast nichts gelöscht wird. Als etwa nach dem Mord in Chemnitz illegalerweise der Haftbefehl eines Tatverdächtigen auf Social Media veröffentlicht wurde, hat Facebook ihn innerhalb von Stunden plattform-weit gelöscht – auf dem Telegram-Kanal von Lutz Bachmann steht er noch heute.
Keine Löschungen helfen der rechten Sphäre – aber gibt es sonst noch mehr Vorteile beim Instant Messaging-Dienst Telegram?
Telegram bietet verschiedene Kommunikationsformen: Gruppen, in denen alle Mitglieder schreiben und sich austauschen können, und Kanäle, die nur vom Betreibenden bespielt werden – also Propaganda ohne Kommentare, Kritik und Widerspruch. Rechtsextreme mögen das. Die Gruppen sind etwa beliebt bei Menschen, die „Gelbwesten“-Proteste auch in Deutschland anstoßen wollten und sich darin organisieren, austauschen. Auch hier haben Rechtsextreme innerhalb kurzer Zeit versucht in diesen Gruppen ihre Propaganda zu verbreiten. Kanäle dienen der Propaganda, sind also beliebt zur Verbreitung „alternativer“ „Nachrichten“. Der größte rechte deutschsprachige Kanal ist wiederum von Martin Sellner, der dort die Weltlage kommentiert und seine YouTube-Videos bewirbt.
Ein weiterer Vorteil: Der Informationsfluss ist unabhängig von Algorithmen, sondern erfolgt direkt. Ich muss nicht hoffen, dass mein Post irgendwann im Feed meiner Abonennt*innen auftaucht – er kommt direkt aufs Handy, und zwar in dem Moment, in dem ich ihn poste. Deshalb ist Telegram gerade für Mobilisierungen sehr beliebt. Der direkte, ungefilterte Zugang ist dafür perfekt.
Wie kommen Menschen in diese Gruppen und auf diese Kanäle?
Zum einen durch crossmediale Promotion: Zuganglinks werden auf YouTube, Instagram, Twitter, Facebook oder Websites verbreitet. Viele Gruppierungen und Akteur*innen sind auf mehreren Plattformen vertreten und werben so. Dann ist es ein Schneeballsystem: Man kann in Gruppen Posts aus Kanälen oder anderen Gruppen teilen – und alle, die in der Gruppe den Beitrag lesen, können mit einem Klick in die weiteren Gruppen eintreten oder Kanäle abonnieren. Es gibt aber auch eigentlich unproblematische Gruppen, in denen nur verschiedene Einladungslinks gepostet werden, doch auch hier werben Rechtsextreme für ihre Kanäle. Es gibt allerdings auch geheime Gruppen, für die man Bewerbungsfragen bewältigen muss, oder bei denen man sich zuvor auf anderen Medien oder Gruppen durch einschlägige Argumentationen „bewähren“ muss. Dann findet direkte Akquise statt: Auf Telegram aktive Menschen werden privat angeschrieben, ob sie Gruppen beitreten wollen.
Nutzen auch „alternative“ rechte Medien Telegram?
„Nachrichtenseiten“ wie „Jouwatch“ bedienen einen Telegram-Kanäle per Bot, der alle Artikel prompt dort postet. Youtuber wie der „Volkslehrer“ oder Hagen Grell promoten dort ihre Videos. Den größten deutschsprachigen Kanal betreibt Martin Sellner, hier sind 13.000 Menschen Abonennt*innen. Sellner bespielt die Gruppe mit Videoschnipsel-Kommentaren zur politischen Lage oder aus seinem Privatleben, promotet seine Videos und verbreitet plaudernd Ideologie und hasserfüllte Abwertung. Er ist auch besonders geschickt darin, seine Kanäle zu promoten: So betrieb er die Telegram-Gruppe „Migrationspakt stoppen“, die ein breiteres Publikum als nur IB-Sympathisant*innen erreichte – und nutzte die Gruppe fleißig, um seinen eigenen Kanal zu bewerben. Der Erfolg lässt sich am rasanten Anstieg seiner Follower hinterher nachvollziehen.
Welchen Effekt hat diese Kommunikation auf Telegram?
Instant Messanging Dienste erhöhen die Wirkungsmacht rechter Falscherzählungen enorm. Die Abonennt*innen haben ja das Gefühl einer parasozialen Beziehung – sie glauben nach einiger Zeit, den Absender wirklich zu kennen, eine Bindung entsteht. Und wen ich „kenne“, dem glaube ich auch viel mehr, wenn er Inhalte verbreitet, auch wenn diese ideologisch verzerrt oder falsch sind. Durch das Vertrauen wird die Echtheit von Inhalten viel weniger hinterfragt. Außerdem sind die Diskurse offener und radikaler als auf öffentlichen Plattformen. Man fühlt sich „unter sich“, spricht offener, teilt eindeutigere Memes.
Welche Gruppierungen der rechten Szene sind auf Telegram besonders aktiv?
Die „Identitäre Bewegung“ ist in voller Breite dort, Österreich, Deutschland, alle kleine Bundesland- und Ortsgruppierungen – aber denen wurden ja auch all ihre Facebook- und Instagram-Präsenzen genommen, sie müssen sich hier vernetzen. Es gibt eine große „Patrioten“-Szene, deren Mitglieder aus Besorgtbürger*innen, Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen bestehen – diese Vernetzung funktioniert in den thematischen Gruppen und Kanälen nämlich auch sehr gut. Es gibt auch diverse offene Neonazi-Gruppen. Die fühlen sich hier gänzlich unbeobachtet. Holocaustleugnung, Hakenkreuze posten – alles, was strafbar ist, ist hier auf der Tagesordnung.
Welche Funktionen erfüllt Dark Social für die Szene?
Dark Social wird also vor allem genutzt, um zu vernetzen und zu mobilisieren, und um auch unbedarft strafbare Inhalte zu posten, weil sie hier schwer zu verfolgen sind. Aber in den Gruppen wird auch zur Meinungsmanipulation auf anderen Netzwerken aufgerufen, für eigene Beiträge und Videos geworben und Falscherzählungen verbreitet mit der Bitte, sie auch wieder auf Facebook, Twitter und YouTube zu posten.
Wir beobachten hier also einen Rückzug aus der digitalen Öffentlichkeit in privatere Communities – man kann auch von einer Tribalisierung sprechen. Weil die große Öffentlichkeit hemmt, werden kleinere, privatere Communities organisiert von Gleichgesinnten. Die sind aber wiederum intensiv vernetzt.
Funktionieren Falscherzählungen auf Telegram besser?
Die schnelle und aktuelle Form der Instant Messages ist besonders beliebt für Falschinformations-Kampagnen. Die starten inzwischen oft auf Telegram, wo die Desinformationen schnell viele Leute erreichen, die sie teilen und verbreiten – und das in Kanälen ja auch noch ohne Widerspruch. Dazu kommt der Effekt: Wenn ich 10 rechtsalternative Kanäle abonniert habe, die mir alle inhaltlich das Gleiche erzählen, fange ich an, es mehr zu glauben. Das hat übrigens in anderen Teilen der Welt schon zu drastischen Maßnahmen geführt: In Indien etwa durfte man über WhatsApp nur noch mit maximal 5 Menschen gleichzeitig teilen – weil es zuvor massive religiös begründete Hasskampagnen gab, die auch zu Gewalt führten. Die Beschränkung auf nur noch maximal fünf gleichzeitig weitergeleiteten Nachrichten gilt nun international.
Gibt es auch wenig erwartbare Gruppen auf Telegram?
Es gibt etwa auch Single-Börsen für Rechtsextreme. Sie sind offenbar weiterhin einsam.
Ersetzt Dark Social für die rechte Sphäre die klassischen Sozialen Netzwerke?
Es ist eine Ergänzung. Aber in Zeiten, in denen Menschen gern Informationen über ihr Handy konsumieren und verbreiten, haben Instant Messenger den Vorteil einer bequemen Handhabung, es ist leicht, durch die Gruppen und Kanäle zu wechseln und gezielt die Sender und Themen anzusehen, die interessieren. Das macht Dark Social zusätzlich attraktiv.
Ist diese Entwicklung gefährlich?
Rechtsextreme hatten schon immer einen guten Riecher, was Trends und die Nutzung neuer Techniken angeht. Auch hier sind sie vorn dabei. In der geschlossenen Kommunikation im Dark Social-Bereich vollzieht sich eine Radikalisierung der Beteiligten schneller. Das zeigen auch Gruppen, die sich nah an Rechtsterrorismus bewegen. Aber: Die Vertreibung von großen Netzwerken hat ihnen auch Öffentlichkeit und Wirksamkeit genommen. Unbedarfte kommen nicht zufällig in diese Strukturen und an diese Inhalte. Das ist positiv und auch eine Folge der strikteren Politik gegen diskriminierende Inhalte der großen Netzwerke, da sie jetzt konsequenter ihre Community Standards umsetzen und klar menschenverachtenden Inhalt eher gelöscht wird.