Die Odyssee der Aussteigerin Tanja Privenau
Wenn Nazis – gerade solche aus Führungspositionen – die rechtsextreme Szene ernsthaft hinter sich lassen wollen, müssten staatliche Stellen froh und unterstützend sein – oder? Aussteigerin Tanja Privenau hat andere Erfahrungen gemacht. Auf einer Pressekonferenz der Aussteigerorganisation EXIT in Berlin erzählt die bis heute nur vermummt auftretende Frau von ihrem Ausstieg im Jahr 2005. Bereits mit 13 kam Privenau in die Szene. Ihr Ex-Mann Markus Privenau ist auch heute noch aktiver Neonazi. Durch ihre berufliche Ausbildung und die häusliche Gewalt durch ihren Mann, die generell ein Problem für Frauen in der rechten Szene sei, habe sie sich in einem langen Prozess gedanklich immer mehr von der rechtsextremen Szene entfernt. Ihr Ausstieg gestaltete sich sehr schwierig, da sie mit ihrem Ex-Mann gemeinsame Kinder hat, für die sie mitdenken musste. Heute leben sie und ihre Kinder mit neuer Identität, um sich vor dem Ex-Mann und Racheaktionen der rechtsextremen Szene zu schützen. Der Ausstieg selbst „verlief nicht ganz glücklich“. Mit ihren Kindern zog Privenau mehrmals um und durchlief dabei mehrere Bundesländer. Das Problem bei ihrer Odyssee sei auch gewesen, dass die einzelnen Behörden nicht miteinander kommunizierten. In Baden-Württemberg wollte man ihr sogar gar nicht helfen. Einzelne Staatsschutz-Beamte empfahlen ihr hinter vorgehaltener Hand gar die Rückkehr in die Szene. Hinzu kam außerdem, dass ihr Ex-Mann das Umgangsrecht mit den Kindern einklagte. Dies wäre sowohl für die Kinder, als auch für Tanja Privenau gefährlich geworden. Als Aussteigerin steht sie quasi auf der schwarzen Liste der Rechtsextremen. Dank einer einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichtes sind Privenau und die Kinder im Moment vor dem Vater geschützt.
Was Behörden bedenken müssten
Neben dem Umgang mit den Opfern des Rechtsextremen sei die Frage des Umgangs mit Aussteiger*innen aus der rechtsextremen Szene von entscheidender Bedeutung, meint Annetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. Gerade in Deutschland, wo der Holocaust stattfand, dürfe man diese Auseinandersetzung nicht umgehen.
Gregor Gysi, der die Aussteigerin Privenau persönlich beriet, weist darauf hin, dass die Gefahr des Rechtsextremismus bis zum Bekanntwerden der NSU-Mordserie maßlos unterschätzt wurde. Wenn ganze Dörfer, wie Jamel in Mecklenburg-Vorpommern, in die Hände der Neonazis fallen und so die von ihnen propagierten „nationalbefreiten Zonen“ entstehen, müsse der Staat Einfluss nehmen. Doch auch schon viel früher müsse man aktiv werden. Schließlich biete der Rechtsextremismus „Selbstbewusstsein zum Nulltarif“, da man nur einer bestimmten Gruppe angehören müsse, um Wertschätzung zu erfahren. Dies sei bei anderen politischen Ideologien nicht so, da man in diesen erst etwas leisten müsse. Der Rechtsextremismus verführe so Jugendliche.
Strukturen und Kultur der Unterstützung nötig
Prof. Dr. Dierk Borstel von der Fachhochschule Dortmund mahnt an, dass es einerseits „eingefahrene Strukturen“, an die sich Aussteiger*innen wenden können, geben müsse, anderseits auch eine „Kultur der Unterstützung“, da auch ehemalige Rechtsextreme ein Recht auf Veränderung, Emanzipation und ein neues Leben haben. Ausstiegsangebote seitens des Staates sieht Borstel zwar kritisch, da der Staat in der rechtsextremen Szene gleichzeitig als Repressionsorgan wahrgenommen werde, dennoch sei er natürlich für den Schutz von Aussteiger*innnen unabdingbar, da dieser nicht allein von zivilgesellschaftlichen Akteuren gewährleistet werden könne.
EXIT betreute bereits 513 Aussteiger*innen
Laut Bernd Wagner habe EXIT-Deutschland bis heute 513 Personen beim Ausstieg geholfen, ein Viertel davon seien Frauen. Dass davon nur 13 Personen rückfällig geworden seien, erklärt Wagner mit der Freiwilligkeit des EXIT-Programms. Im Gegensatz zu diversen staatlichen Programmen erzeuge man keinen Druck, weshalb die Rückfallquote wesentlich geringer sei. Wagner sieht ein großes Problem der staatlichen Rechtsextremismus-Bekämpfung in der „Kleinstaaterei und im Behörden-Egoismus“, die effektive Zusammenarbeit und Informationsaustausch zwischen den Behörden verhindern.
Privenau ermutigt andere Frauen zum Ausstieg
Trotz ihrer nicht immer leichten Erfahrungen ermutigt Tanja Privenau auch andere Frauen aus Szene zum Ausstieg, vor allem auch im Hinblick auf ihre Kinder. Für den Ausstieg empfiehlt sie, wenn möglich, das nötige „Kleingeld“ mitzubringen, sich einen guten Anwalt zu suchen und sich an Profis in der Ausstiegsarbeit zu wenden. Aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen verweist sie auf EXIT und die Amadeu Antonio Stiftung, die sie finanziell unterstützt habe. Von den staatlichen Stellen erhielt sie leider nicht die erhoffte Hilfe.