Nach dem Wahlerfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern sah sich das deutschnationale Milieu zu den schönsten Hoffnungen berechtigt. Erst der spektakuläre Erfolg in Sachsen, nun der triumphale Einzug ins Schweriner Schloss. Künftig werde man „von Mitteldeutschland aus eine nationale Welle über das Land schwappen“ lassen, tönte die NPD, die „die geistig-kulturellen Fundamente des Systems unterspülen“ werde.
Ein Jahr ist das nun her. Was hat die NPD in Mecklenburg-Vorpommern seither erreicht? Knapp zusammengefasst: Weniger, als sie sich erhofft hatte. Aber mehr, als es auf den ersten Blick scheint.
Zu Beginn ihrer Parlamentskarriere waren die frisch gewählten Abgeordneten noch voller Elan. Gleich am Montagmorgen nach der Wahl platzte eine Abordnung im Büro der Landtagspräsidentin in eine kleine Sektrunde und forderte Schlüssel zu den künftigen Büros. „Wir wollen anfangen mit der Arbeit.“
Die demokratischen Abgeordneten mussten schnell feststellen, das ihre neuen Kollegen alle Geschäftsordnungstricks kannten: Der beste Zeitpunkt für Dringlichkeitsanfragen, die Ausdehnung der Redezeit durch Zwischenfragen aus der eigenen Fraktion ? all das war den Neuen vertraut. Die Kenntnisse verdankten sie ihrem Fraktionsgeschäftsführer Peter Marx, einem Multifunktionär, der bis letzten Sommer den gleichen Job in Dresden erledigte. Doch außer ihm sind nur zwei Referenten klassische NPD-Kader, und unter den Abgeordneten hat lediglich einer, Landeschef Stefan Köster, eine Parteikarriere hinter sich. Dagegen stellen Neonazi-Kameradschafter etwa die Hälfte von Fraktion und Referentenstab. Sie bezeichnen sich offen als „nationale Sozialisten“ und halten die NPD wegen ihres legalistischen Auftretens für verweichlicht. Die Arbeit im Parlament ist nicht ihre Sache.
Fraktionsmitarbeiter dürfen nun nicht mehr vorbestraft sein
Das geschlossene Auftreten der demokratischen Mehrheit im Parlament trug das ihre dazu bei, den Schwung der Neuen zu bremsen. Gleich zu Beginn der Legislaturperiode änderten SPD, CDU, PDS und FDP einmütig die Geschäftsordnung. Die NPD hat nun keinen Ausschussvorsitz und weniger Redezeit. Die Zuschüsse für kleine Fraktionen wurden gekürzt, statt 850000 Euro pro Jahr bekommt die NPD nun nur 600000 Euro, die ebenfalls betroffene FDP erhielt zum Ausgleich einen zusätzlichen Vizepräsidenten-Posten. Als Spitze gegen die NPD wurde eine generelle Regel erlassen, dass Fraktionsmitarbeiter nicht vorbestraft sein dürfen. Und da die NPD in Sachsen Videomitschnitte aus dem Parlament zu Schulungs- und Propagandazwecken einsetzt, wurden Filmaufnahmen im Plenarsaal in Schwerin untersagt.
„Wir wollten nicht wehrlos dastehen“, sagt Landtagspräsidentin Sylvia Bretschneider (SPD). Mehrfach haben sich Schweriner Politiker in Dresden Rat geholt. Anders als anfangs in Sachsen verlassen die Demokraten nicht den Saal, wenn die NPD das Wort ergreift, sondern sie widersprechen. Oft ist es die FDP, die einen überzeugenden Ton trifft. In Dresden konnte die NPD öffentlichkeitswirksame Eklats („Bomben-Holocaust“) provozieren, die Schweriner produzieren nur überregionale Schlagzeilen, wenn mal ein Mitarbeiter im Landtag mit einem Schlagstock ertappt wird. In Sachsen gelang es der NPD mehrfach, die anderen Parteien gegeneinander auszuspielen und fremde Stimmen für ihre Anträge zu gewinnen. In Schwerin dagegen ist auch die CDU anders als in Sachsen bereit, mit der PDS gegen die NPD zusammenzuarbeiten.
Im kleinen Plenarsaal im Schweriner Schloss sitzt die NPD ganz rechts, vom Rest des Landtags trennt sie ein breiter Gang. Die Bänke der NPD sind stets voll besetzt, Besuchern macht das Eindruck. An der Arbeit in den Ausschüssen beteiligen sich die Abgeordneten dagegen kaum; Redebeiträge und Zwischenrufe sind Sache weniger. Das Präsidium wiederum rügt Entgleisungen der NPDler so entschlossen, dass Schüler auf der Zuschauertribüne bisweilen nicht verstehen, wofür nun wieder ein Verweis erteilt wurde. Die NPD schmückt sich mit dem Tadel mittlerweile wie mit einer Trophäe, ihre Fraktionszeitung trägt den Titel Der Ordnungsruf.
Die radikalsten Reden halten NPD-Leute sowieso nicht im Landtag. Auf einer Nazidemo rief Fraktionschef Udo Pastörs dazu auf, „diese ganze verfaulte Republik zu unterwühlen“. Im Plenum widmet er sich lieber dem Thema Gleichberechtigung, welche „bei den Männern die Entfaltung ihrer Männlichkeit“ blockiere.
Ihre größten Erfolge erzielt die NPD abseits ihrer ursprünglichen Themen. Als einzige Landtagspartei tritt sie gegen die Nutzung der grünen Gentechnik ein, die im agrarisch geprägten Mecklenburg-Vorpommern mit seiner wachsenden Biobranche ein heiß umstrittenes Thema ist. Inzwischen ist es der NPD gelungen, einzelne Bürgerinitiativen zu unterwandern.
Das ist die Kehrseite des parlamentarischen Misserfolgs. In der Provinz gräbt die NPD ihre Wurzeln immer tiefer. Hier zeigt sich die Stärke der Kameradschaftskader, die im fernen Schwerin so unauffällig auftreten.
Vor dem Wahlkampfbüro des Abgeordneten Tino Müller wartet ein junges Paar mit Baby, drinnen sitzt ein älterer Mann mit seinem Sohn auf dem Ledersofa. Der Büroangestellte, ein kräftiger junger Mann mit sehr kurzen Haaren, telefoniert gerade. Der Kopierer ist nagelneu, es gibt Fax und Laptop, die Flugblätter auf dem Infotisch sind akkurat zu einem Fächer ausgebreitet. Da liegen nicht nur Blättchen der NPD, sondern auch von einer „Initiative für Volksaufklärung e.V.“ und der „Bürgerinitiative Schöner und Sicherer Wohnen“. Beides sind Vorfeldorganisationen örtlicher Neonazis. Der Landtagsabgeordnete Tino Müller, 29, war in Neonazi-Kameradschaften aktiv, bevor er vor zwei Jahren zur NPD fand. Damals verdiente er seinen Lebensunterhalt als Maurer und machte Politik nur am Wochenende. Nun ist er Politiker, und die Steuerzahler finanzieren seine Propaganda mit.
Tino Müller ist anzumerken, dass er im vergangenen Jahr sicherer geworden ist im Reden. „Die kommunale Arbeit ist mir persönlich viel wichtiger“, sagt er, aber der Landtag sei sehr nützlich. Dort holt er sich Geld und Informationen. Bürgersorgen trägt er mit schriftlichen Anfragen nach Schwerin, die Antworten verarbeitet er zu Hause in Flugblättern. In seiner Eigenschaft als Volksvertreter interessiert sich der NPD-Abgeordnete Müller etwa für Krebserkrankungen im Umfeld einer Mobilfunkstation oder die Zukunft der Justizvollzugsanstalt in Ueckermünde („Können bei einer eventuellen Schließung betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen werden?“). Die Wähler wissen das zu schätzen.
Die Demokraten sind in einigen Dörfern nicht mehr vertreten
„Wir sind angekommen im Volk“, sagt Müller. Die Ausgrenzung im Landtag nimmt in Ueckermünde kaum jemand wahr. Sein Kollege aus Anklam, Michael Andrejewski, berät Hartz-IV-Empfänger und verteilt Infoblätter zum „Verhalten bei Hausbesuchen durch das Arbeitsamt“. Andrejewski trägt wie vor der Wahl alte, ausgebeulte Hosen und Strickjacken. Von den 4464 Euro monatliche Diäten spart er so viel wie möglich. „Das ist meine kleine Kriegskasse“, sagt er.
Sein Wahlkreismitarbeiter ersteigerte kürzlich gemeinsam mit dem Mitarbeiter von Tino Müller eine alte Kaufhalle im Zentrum von Anklam, 500 Quadratmeter für 17000 Euro. Die örtliche Sparkasse sagt, sie habe die Neonazis beim Verkauf nicht erkannt. Gut möglich, dass die NPD dort ein Schulungszentrum einrichten wird. Die Immobilie ist nun Privateigentum der Kameraden. Bei einem möglichen NPD-Verbot, feixt Andrejewski, „haben wir hier verbotssichere Strukturen“. Mit der Lkw-Zufahrt samt Lieferrampe ist die Halle für die Auslieferung von Druckerzeugnissen wie geschaffen. Kürzlich hat sich Andrejewski eine Schneide- und eine Druckmaschine zugelegt.
Tino Müller baut seine Infostände auch außerhalb der Wahlkämpfe auf. Wenn auf einer Bürgerversammlung über Abwasserrohre gestritten wird, ist Andrejewski oft der einzige Politiker, der sich überhaupt sehen lässt. „Es schmerzt, so was zu hören“, sagt im fernen Schwerin CDU-Fraktionschef Armin Jäger. Seine Partei schulte schon vor der Wahl ihre Kommunalpolitiker. Aber in manchen Dörfern gibt es schlicht niemanden mehr von der CDU ? und schon gar nicht von der SPD, die in ganz Mecklenburg-Vorpommern weniger Mitglieder hat als in der Großstadt Dortmund.
2009 sind wieder Kommunalwahlen. Dann könnte es sich auszahlen, dass der Abgeordnete Tino Müller eine Belohnung zur Ergreifung der Übeltäter ausgesetzt hat, die den Ueckermünder Badestrand verschmutzen. „Wir“, steht auf einem bunten Plakat vor seinem Büro, und die drei Buchstaben sind doppelt so groß wie der Rest des Satzes: „Wir sind für Sie da!“
Erschienen in der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 13.09.2007