Seit etwa fünf Jahren beobachten Fachkreise der Prävention gegen Rechtsextremismus, dass die Frage des Umgangs mit (ehemaligen) Sexualstraftäterinnen und Sexualstraftätern kampagnenartig von Neonazis aufgegriffen und besetzt wird. Sie fordern „Todesstrafe für Kinderschänder“, ihre Kampagnen finden online, aber auch im öffentlichen Raum oft sehr schnelle und breite Unterstützung. Doch Rechtsextremen geht es nicht um den Schutz von Kindern oder um eine sachliche Auseinandersetzung und Suche nach angemessenen, rechtsstaatlichen Lösungen. Sie nutzen das Thema, um auf sich aufmerksam zu machen und neue Mitglieder und Stimmen zu werben. So erhoffen sie sich einen Weg in die Mitte der Gesellschaft für ihre Ideologien. Dabei knüpfen sie verstärkt an Proteste von Bürgerinnen und Bürgern an (z.B. gegen die Unterbringung von entlassenen Sexualstraftätern) oder initiieren diese selber.
Hierauf reagiert die neue Broschüre „Instrumentalisierung des Themas sexueller Missbrauch durch Neonazis. Analysen und Handlungsempfehlungen“: Anlass waren Versuche von Neonazis, sich Initiativen und Betroffenengruppen sexuellen Missbrauchs anzuschließen und deren wichtige Arbeit für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Die Handreichung wendet sich an Zivilgesellschaft, Politikerinnen und Politiker sowie Medien. Sie ist gefördert vom Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs und wurde von der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus bei der Amadeu Antonio Stiftung erarbeitet.
Häufig ist es eine Herausforderung für NGOs und Vereine, die Strategien der Neonazis zu erkennen und mit ihnen umzugehen. Es gibt einen Bedarf an Aufklärung und Beratung: Woran erkenne ich, wer sich zum Thema äußert? Wie distanziere ich mich von rechtsextremen Kampagnen und was lässt sich dagegen tun? Wie kann ein Verein präventiv gegen eine Instrumentalisierung durch Nazis aktiv werden?
Was beinhaltet die Broschüre?
Auf diese und weitere Fragen gibt das Heft Antworten: Es klärt umfassend über Ziele und Strategien heutiger Neonazis auf. Dabei wird der Komplex zunächst aus historischer Perspektive beleuchtet: In einem ersten Artikel wird gefragt, wie der Umgang mit dem Thema im Nationalsozialismus war, wie die extreme Rechte es nach 1945 aufgriff und was sich daraus für heute lernen lässt. In einem zweiten Artikel wird der Zusammenhang zur rechtsextremen Ideologie der „Volksgemeinschaft“ hergestellt und die besondere Rolle diskutiert, die rechte Frauen bei der Instrumentalisierung des Themas einnehmen. Wichtig hierbei: Werden rechtsextreme Frauen mit ihrem Engagement seitens der Zivilgesellschaft, des Staates, der Verwaltung etc. nicht wahrgenommen sondern als „friedliebende“ und „unpolitische“ Frauen übersehen – wie es in der Praxis häufig geschieht und nicht zuletzt im Umgang mit Beate Zschäpe deutlich wird – besteht die Gefahr, dass Neonazi-Aktivitäten unentdeckt bleiben und ihnen nichts entgegengesetzt wird. Im Anschluss liefert das Heft eine detaillierte Analyse der Nazi-Strategien im öffentlichen Raum genauso wie online. Es werden konkrete Fälle aus vier Kommunen vorgestellt und analysiert. Dabei gibt es Beispiele, die in den vergangenen Jahren mehrfach in den Medien diskutiert wurden: Joachimsthal (Brandenburg), Insel (Sachsen Anhalt), verschiedene Orte in Schleswig Holstein und Berlin. Für den Online-Bereich wird analysiert, wie Nazis das Thema sprachlich und bildlich aufgreifen und woran man in den Sozialen Netzwerken rechte Kampagnen erkennt. Mit der Analyse werden zugleich Empfehlungen für den Umgang damit gegeben.
Konkrete Empfehlungen für demokratische Vereine
Demokratische Vereine und Betroffenengruppen erhalten juristische, aber auch gestalterische Informationen, wie sie das Infomaterial ihrer Kampagnen nicht nur schützen können, sondern eigene Kampagnen von Beginn an so gestalten, dass sie den fachlichen Standards in der Missbrauchsprävention entsprechen und somit auch weniger anschlussfähig für Nazis sind. Hier gibt die Broschüre ganz konkrete Empfehlungen – einige Beispiele:
Nazis verwenden oft gewaltverherrlichende Bilder, mit denen die Situation der Opfer instrumentalisiert wird. Es wird darauf gesetzt, dass Gewaltdarstellungen viele Betrachtende faszinieren. Um Opferschutz oder die Frage einer angemessenen Prävention oder Fragen der Verarbeitung von Missbrauchserfahrungen geht es hierbei jedoch nicht. In eigenen Darstellungen sollten Gewaltverherrlichungen daher vermieden werden.
Ebenso häufig verwenden Nazis menschenverachtende Formulierungen, insbesondere die Bezeichnung „Kinderschänder“ und die Forderung nach Todesstrafe. Auch hier gilt: Eine kritische Auseinandersetzung über solche Bezeichnungen ist innerhalb von Vereinen oder Bürgerinitiativen unabdingbar. Die Broschüre liefert hier Argumentationshilfen und Hintergrundwissen.
Rechtsextreme verwenden bevorzugt die Farben schwarz/weiß/rot, die mit geschichtsrevisionistischer Absicht für das Deutsche Reich stehen. Es ist sinnvoll, dies zu berücksichtigen und in der eigenen Farbgebung auf Vielfalt zu achten. Auf rechtsextremen Seiten werden fast ausschließlich blonde Kinder gezeigt und sich auf die „Volksgemeinschaft“ bezogen. Da es aber grundsätzlich immer um alle Kinder geht, ist es sinnvoll, die Vielfalt der Migrationsgesellschaft abzubilden.
Der vielleicht wichtigste und wirksamste Ansatz gegen eine mögliche Unterwanderung und für eine fundierte Abgrenzung stellt die inhaltliche Auseinandersetzung in der Gruppe bzw. im einem Verein selbst dar. Hierbei handelt es sich um einen demokratischen Prozess, der nicht von heute auf morgen zu realisieren ist und der darüber hinaus auch nicht verordnet werden kann. Hilfreich hierfür ist die Erstellung eines demokratischen Leitbildes, in dem das Wie eines demokratischen Miteinanders möglichst konkret geklärt wird. Die Broschüre gibt hierfür Anleitungen und Hinweise.
Service:
Gern sendet Ihnen die Fachstelle Gender und Rechtsextremismus bei Interesse Exemplare der Broschüre zu. Diese ist auch online auf den Seiten des UBSKM und der Amadeu Antonio Stiftung zu finden.
Sollten Sie Unterstützung zu diesem Themenfeld wünschen oder fallbezogene und prozessbegleitende Beratung, melden Sie sich gern bei der Fachstelle Gender und Rechtsextremismus.
Mehr Informationen im Netz:
Fachstelle Gender und Rechtsextremismus
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