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Wie sozial ist die NPD wirklich?

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Von Gideon Botsch und Christoph Kopke

Die Öffentlichkeit reagierte überrascht, als die NPD und ihr ihr Umfeld aus Neonazi-„Kameradschaften“ vor ein paar Jahren begann, die „soziale Frage“ zu besetzen. Dabei handelt es sich keineswegs um etwas Neues oder Originelles. Rechtsextreme haben stets soziale Ungerechtigkeiten aufgegriffen und in ihre Propaganda eingebaut, die Nationalsozialisten taten dies in den Jahren vor ihrer Machtergreifung ausgiebig. Auch die NPD hat in ihrer über 40jährigen Geschichte immer wieder mal versucht, sich „sozial“ zu geben. Und als Udo Voigt 1996 den Parteivorsitz übernahm, ließ er diesem Themenfeld wieder einen zentralen Stellenwert zukommen zu lassen, nachdem es jahrelang eher vernachlässigt worden war.

Aber ist es der NPD mit ihrer sozialpolitischen Agitation ernst? Der Chemnitzer Politologe Steffen Kailitz meint: „Der NPD lässt sich vieles vorhalten, aber nicht, dass sie ihre soziale Programmatik nur vertritt, um Wähler anzulocken.“ Demgegenüber betont Armin Pfahl-Traughber, Professor an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, die hohe Bedeutung des Themas auf der „Nachfrageseite“ ? in der Zielgruppe der NPD-Propaganda, soviel steht fest, gibt es eine breite Ablehnung der jüngeren Gesetzesänderungen im Sozialbereich (die sog. Hartz-Gesetze) und der Wahl rechtsextremer Parteien. Unter Gewerkschafts-Mitgliedern ist, wie Studien zeigten, rechtsextremes Gedankengut überdurchschnittlich oft vertreten. Auch zahlreiche Wahlanalysen bestärken die NPD in der Hoffnung, aus sozialen Ängsten Kapital schlagen zu können.

Viele Wähler und v. a. auch Wählerinnen der NPD und anderer rechtsextremer Parteien sind ehrlich berührt durch soziale Ungerechtigkeit. Meinungsumfragen haben ergeben, dass diese Gruppe stärker am Wert „soziale Gerechtigkeit“ orientiert ist, als etwa die Anhänger von F.D.P. und CDU/CSU (vgl. Richard Stöss, Rechtsextremismus im Wandel. Berlin 2007, S. 22ff). Die wichtige Einschränkung: Solche Anteilnahme gilt nur, solange Menschen von Ungerechtigkeit betroffen sind, die im rechtsextremen Weltbild als vollwertige Glieder der „deutschen Volksgemeinschaft“ gelten. Allen anderen, insbesondere Ausländern oder Menschen, die dazu erklärt werden, verweigert man Mitleid: „Wir helfen gern, doch irgendwann ist Schluss / weil auch irgendwann mal das Volk / an sich alleine denken muss“, singt etwa die „Liedermacherin“ Annett Müller auf der sogenannten NPD-Schulhof-CD.

Neben ‚Fremden‘ werden auch Menschen, die keine Arbeit oder Wohnung haben, leicht als „Arbeitsscheue“ oder „Asoziale“ aus der „Volksgemeinschaft“ ausgegrenzt. Es entspricht dem rechtsextremistischen Weltbild, sie zu „Schmarotzern“ zu erklären oder die Ausgrenzung wegen ihrer „Schwäche“ im „Daseinskampf“ als Prozess „natürlicher Selektion“ darzustellen. Folgerichtig sind immer wieder Obdachlose, Arme, Alkoholkranke oder andere sozial Schwache von rechtsextrem motivierten Gewalttätern grausam misshandelt oder gar getötet worden. Auf Usedom in Vorpommern etwa brachten rechtsextreme Jugendliche im Jahr 2000 den 51-jährigen Norbert Plath um, nachdem bereits vier Jahre zuvor in dieser NPD-Hochburg ein Obdachloser ermordet worden war.

Als Partei greift die NPD bestehende soziale Ungerechtigkeiten auf, um sie für ihre ausländerfeindliche, rassistische und aggressive Propaganda zu nutzen ? vor allem, um Angst zu erzeugen und verbreitete Vorurteile zu bestärken. Bei genauem Blick aber erweisen sich die wenigen konkreten Aussagen der NPD zur Sozialpolitik entweder als von anderen (meist linken, gewerkschaftlichen oder kirchlichen) Initiativen abgekupfert ? oder sie enthalten gar ganz und gar unsoziale Forderungen. Im NPD-Parteiprogramm findet sich beispielsweise der Passus: „Sozialpolitik bedeutet die Solidarität des Volkes mit seinen Angehörigen [?] Sie hat die Aufgabe, den Wohlstand des ganzen Volkes zu festigen, den einzelnen in allen Wechselfällen des menschlichen Lebens vor unverschuldeter Not zu bewahren [?]. Eine Sozialpolitik nach dem Traumbild des totalen Wohlfahrtsstaates, dessen Belastungen für alle Schaffenden zum Albdruck werden, verfehlt ihre Aufgabe und ist unsozial.“ Vor „unverschuldeter“ Not bewahren ? damit fällt die NPD weit hinter den Stand der gesetzlich garantierten Sozialleistungen für jedermann zurück, auch nach Umsetzung der auch von ihr lautstark kritisierten „Agenda-2010“-Maßnahmen.

Für die NPD ist die Rechnung simpel: Wohlstand entstehe durch Arbeit, und nur wer arbeitet, verdient Leistungen aus den Sozialversicherungsystemen; im Zweifel soll es einen Arbeitszwang geben. Garant für Vollbeschäftigung sei eine von ausländischen Einflüssen abgeschirmte, staatlich subventionierte mittelständische Wirtschaft. Die Sozial- und Wirtschaftspolitik entspricht weniger den Interessen der Arbeitslosen, Angestellten und Facharbeiter unter den Wählerinnen und Wählern der NPD als den Vorstellungen der Parteifunktionäre, die vor allem aus dem kleinen unternehmerischen und selbständigen Mittelstand stammen. In diesen Kreisen wird sehr häufig auf Bezieher von Transferleistungen geschimpft, die „anständig arbeitenden Deutschen“ nur auf der Tasche lägen. Im Modell der „organischen Volksgemeinschaft“ dagegen, wie es die Weltanschauung der NPD prägt, hat jeder „Deutsche“ seinen festen Platz. Unterschiede in Einkommen und sozialem Status gelten als „natürlich“ und „gerecht“, sofern sie nicht zu groß werden. Bei Vollbeschäftigung und florierender Wirtschaft werde, so die illusionären Vorstellungen der NPD, unternehmensbezogene Gewinnbeteiligungen und Mitarbeiteraktien eine „gerechte“ Verteilung des „Volksvermögens“ garantieren und den Betriebsfrieden sichern können. Eine solche „Betriebsgemeinschaft“, von der etwa Parteivize Jürgen Rieger im April/Mai 2007 in der Deutschen Stimme schrieb, sei Voraussetzung für eine „gesunde Volksgemeinschaft“.

Eine harmonische „Volksgemeinschaft“ aber, wie die NPD sie erträumt, hat nie existiert und wird auch nie existieren. Mit den Realitäten in einer pluralen Gesellschaft ist die Volksgemeinschaftsideologie unvereinbar: Rechtsextremes Denken denunziert unterschiedliche Interessen als „Gruppenegoismen“ und lehnt ihre Vertretung ? beispielsweise durch unabhängige Gewerkschaften ? als Störung des Betriebsfriedens und der Volksgemeinschfat ab. Andere gesellschaftliche Konflikte werden „Gemeinschaftsfremden“ angelastet, seien es „ausländische Schmarotzer“ oder ein „jüdisches Finanzkapital“.

Darum ist auch faktisch das einzige Mittel, das die NPD zur Lösung sozialer Probleme anbietet, die „Entausländerung“: Laut Parteiprogramm sind „Ausländer [?] aus dem deutschen Sozialversicherungswesen auszugliedern. Asylanten dürfen keinen einklagbaren Anspruch auf deutsche Sozialleistungen besitzen.“ Ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber haben in die Sozialkassen eingezahlt, oft über Jahrzehnte. Das Ausgrenzungs- und Vertreibungsprogramm, das den eigentlichen Kern der NPD-Programmatik bildet, würde in der Praxis auch zu Plünderung und Raub erworbener Ansprüche führen. Gegen alle ökonomische Vernunft und alle empirisch gestützten Prognosen über die Entwicklung der europäischen Arbeitsmärkte glaubt man in den Kreisen der NPD, dass die Verwirklichung ihrer ethnischen Säuberungsphantasien zur Beseitigung sozialer Not führen könne.

Doch es gibt auch noch andere Gruppen, die vom Arbeitsmarkt verdrängt werden sollen: Frauen werden auf eine angeblich biologische vorbestimmte Rolle als Mutter reduziert. Daran hält die NPD mitsamt ihrer Frauenorganisation Ring Nationaler Frauen (RNF) fest in anderen Bereichen des rechtsextremen Lagers aqber werden inzwischen vereinzelt auch andere Rollenbilder akzeptiert („Kameradin“, „Aktivistin“, „Kämpferin“).

Ein weiterer Kern der NPD-Politik ist die Abschottung Deutschlands gegen globale Märkte, gegen das „globale Kapital“ und insbesondere gegen das angeblich „jüdische“ Finanzkapital. Das Konzept einer „raumorientierten Volkswirtschaft“ und der Entkopplung vom Weltmarkt geht auf vorindustrielle Vorstellungen eines „geschloßnen Handelsstaats“ (Fichte) zurück, in dem die Obrigkeit eine vorwiegend mittelständische Wirtschaft steuert und reglementiert. Sofern die NPD von „Sozialismus“ spricht, meint sie einen solchen Obrigkeitsstaat auf kleinkapitalistischer Grundlage.

Eine ähnliche Mischung aus ressentimentgeladener, rassistisch-antisemitischer Problembeschreibung und unrealistisch-simplifizierenden Problemlösungen bieten die Ausführungen der NPD zur Frage, wie ihre sozialpolitischen Forderungen denn zu finanzieren seien: „Geld ist genügend da, es muss nur wieder dem eigenen Volk zugute kommen, indem Auslands- und Ausländerzahlungen radikal zusammengestrichen werden. Auf einer nationalen Streichliste“, so die NPD-Broschüre Argumente für Kandidaten & Funktionsträger, „stünden die Sühnezahlungen an sogenannte NS-Opfer, kostenlose Waffenlieferungen an Israel, die Subventionierung der EU-Osterweiterung, Milliardenbeträge für Auslandseinsätze der Bundeswehr im Dienst der imperialistischen USA, Sozialleistungen für Ausländer und die Milliardenkosten des Asylbetrugs.“ Die NPD macht damit Ausgaben verantwortlich, die so zum Teil gar nicht stattfinden, stark übertrieben oder völlig einseitig dargestellt werden. Das Zitat enthüllt zugleich den spezifischen Trick rechtsextremer Weltanschauungen: alle negativen Erscheinungen, die das Wunschbild einer harmonischen Volksgemeinschaft stören, werden ‚feindseligen Fremden‘ angelastet.

Dennoch ist es der NPD sehr wichtig, das sozialpolitische Feld in Wahlkämpfen und Propagandafeldzügen plakativ zu besetzen: Armut, sozialer Abstieg und gesellschaftliche Desintegration sind derzeit die zentralen „Angst“-Themen, an die rechtsextreme Propaganda anknüpfen kann. Die NPD versucht, existierende Probleme zu „nationalisieren“ und völkisch-rassistisch aufzuladen. Mit anderen Worten: Ihre soziale Demagogie dient der Verbreitung ihrer eigentlichen völkisch-rassistischen, antidemokratischen und menschenverachtenden Inhalte.
In ihrer Programmatik aber bleibt die NPD eine unsoziale und anti-soziale Partei.

Christoph Kopke und Dr. Gideon Botsch sind Politikwissenschaftler und wissenschaftliche Mitarbeiter am Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam.

Zum Thema

| Homogene Volksgemeinschaft

| Die soziale Frage als Themenfeld der extremen Rechten

Literatur

| Das Buch Gewerkschaften und Rechtsextremismus von Bodo Zeuner/Jochen Gerster/Michael Fichter/Joachim Kreis/Richard Stöss (Münster 2007)

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