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Wie würdig gedenken? Ein Kommentar

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Dresden im Februar (Quelle: attenzione photographers)

Innerhalb der letzten anderthalb Monate wurde in Magdeburg (12.01.), Dresden (13.02.) und Cottbus (15.02.) zu rechtsextremen „Gedenkmärschen“ aufgerufen. Der intendierte Zweck dieser Aufzüge war es, die Geschichte Deutschlands im Zweiten Weltkrieg zu relativieren und historische Kriegsangriffe auf die jeweiligen Städte für die eigenen, aktuellen Zwecke zu missbrauchen.

In Dresden und Cottbus konnten die Nazi-Demonstrantinnen und Demonstranten wenig bis gar nicht laufen. In Magdeburg musste der Aufzug aufgrund starker Gegenproteste in ein äußeres Stadtgebiet ausweichen. Es fiel auf, dass in den beiden letztgenannten Städten so gut wie kein öffentliches Interesse am Gedenken der großen Luftangriffe auf die Städte zum Ende des Zweiten Weltkriegs bestand. Der Tag war dominiert von rechtsextremen Aufzügen und den sich darauf beziehenden Gegenprotesten. In Dresden nahmen diese ebenfalls einen Großteil der lokalen wie überregionalen Aufmerksamkeit ein. Die Bürger und Bürgerinnen der Stadt, sowie städtische Vertreter und Politiker des Freistaats Sachsens gedachten aber auch der Bombardierung Dresdens vor 68 Jahren. Sicher lässt sich dies auch auf die Bedeutung Dresdens in der deutschen Nachkriegszeit zurückführen: Zahlreiche historische Schätze der Stadt wurden zerstört oder beschädigt, weshalb Dresden als Symbol für zerstörte deutsche Städte des Zweiten Weltkriegs im Allgemeinen gilt.

So wurde in diesem Jahr erneut das öffentliche Gedenken dem „Gedenken“ der aufziehenden Nazis als „würdiges“ gegenübergestellt. Das heißt nach offizieller Definition, dass das Gedenken beispielsweise auf dem Dresdner Heidefriedhof und an der Frauenkirche „der Sache“ angemessen war. Offensichtlich rechtsextrem eingestellte und häufig aggressiv auftretende Menschen werden „der Sache“ demnach nicht gerecht. Aus dieser Deutungslage kann man zwei sinnvolle Schlüsse ziehen, die zu teilen sind. Erstens: Ein würdiges Gedenken der Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs auf Dresden und allgemeiner auf deutsche Städte ist möglich. Zweitens: Nazis können dies nicht leisten.

Grundproblematik dabei: Wie kann man Menschen gedenken, d.h. diese in positiver Weise herausheben, obwohl sie (zu großen Teilen) eine Diktatur bemächtigten und unterstützten, die für Millionen Tote in Holocaust und Zweiten Weltkrieg verantwortlich sind? Wie kann man Menschen betrauern, die Teil eines Nazi-Regimes waren, welches in Dresden vor 68 Jahren herrschte, ohne deren Opfer zu gedenken? Wie kann solches Gedenken geschehen, ohne die historischen Zusammenhänge miteinzubeziehen?

Die Oberbürgermeisterin Dresdens Helma Orosz (CDU) ging in ihrer Rede auf dem Heidefriedhof der Stadt auch auf die Kriegstoten anderer Nationen etwa in Coventry, Rotterdam und Lidice ein. Ermordete Menschen vor allem jüdischen Glaubens in Buchenwald, Sobibor oder Auschwitz ließ sie aber unberücksichtigt. An die Frauenkirche im Zentrum der Altstadt wurde am Abend des 13.02. eine Kerze projiziert. Ein paar hundert Menschen versammelten sich an diesem Ort, um lautlos zu gedenken. Planmäßig durchbrochen wurde diese Stille durch das um 22.45 Uhr einsetzende Glockenläuten. Neben Gedenkenden der Bombardierung wohnten diesem eine mutmaßlich satirische Gruppe, welche die Auflösung der Boy-Band „Take That“ vor 17 Jahren thematisierte, und Einzelpersonen bei, deren Ziel es war, auf Geschichtsverdrehung hinzuweisen bzw. diese zu kritisieren. Die pauschale Unterstellung, dass dies die Intention oder der Inhalt der Trauer der Menschen wäre, ist sicherlich in ihrer Allgemeinheit nicht zutreffend. Wie so oft liegt die diesbezügliche Wahrheit wohl in der Mitte.

Es gibt Menschen, die über persönliche Verluste das Leid ihrer Meinung nach Außenstehender vergessen oder verdrängen. Wenn man sich mit der Geschichte einer Stadt so stark identifiziert, dass man in Bezug auf diese trauern kann, dann sollte man auch Verantwortung für die darin liegenden Verbrechen übernehmen. Dresden, Magdeburg oder Cottbus können dabei nur Sammelbegriffe für Zusammenhänge sein, die Menschen in diesen Verbünden erlebten und erst geschaffen haben.

Konsequenz dessen: Die Bombardierung deutscher Städte ist ohne die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich und dessen Verbrechen nicht schlüssig zu denken. Das heißt im Gegenschluss allerdings auch: Sie ist zu denken. Dresden wurde vor 68 Jahren bombardiert und stark zerstört. Menschen haben Angehörige, Familienmitglieder, Freunde und Bekannte verloren und trauern um sie. Wenn darüber die Taten, die diese begangen oder gestützt haben, vergessen werden, ist das allerdings Geschichtsverfälschung. Oder Selbstbetrug.

Die Luftangriffe auf deutsche Städte sollten nicht vergessen werden. Gleichzeitig muss man aber an die Ursachen und Umstände dieser Bombardierungen erinnern. Man sollte thematisieren, dass das Leid außerhalb der Städte das individuelle erlebt oder erfahrene um ein vielfaches übersteigt. Man sollte dieses Leid nicht nur erkennen, sondern sich selbst aneignen. Gerade dann, wenn man die betrauert, die dafür Verantwortung tragen. Nur so kann den Toten der damaligen Zeit würdig gedacht werden.

 

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